Kohlschreiber erreicht Tennis-Finale:Altes Gewohnheitstier

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Ärger: Der 33-jährige Philipp Kohlschreiber (hier im März in Miami) war lange bester deutscher Tennisprofi. Er verpasste in Marokko seinen achten Turniersieg. (Foto: Julian Finney/AFP)

Philipp Kohlschreiber erreicht bei seinem Auftritt in Marrakesch sein erstes Turnierfinale in diesem Jahr. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich endlich die Prioritäten beim 33-Jährigen ändern.

Von Max Ferstl, Marrakesch/München

Philipp Kohlschreiber gehört zu den Gewohnheitsmenschen. Er schätzt es, wenn er sich auskennt. Wenn er weiß, in welchen Restaurants das Essen schmeckt und welche Hotels hohen Komfort bieten. Kohlschreiber ist als Tennisprofi viel herumgekommen, und kennt sich aus in den meisten Städten, wo Tennisturniere stattfinden. Aber nicht in allen: "Das Schlimmste sind die neuen Turniere", sagte Kohlschreiber im Februar der Augsburger Allgemeinen. Dort werde man sich "seiner eigenen Hilfslosigkeit schnell bewusst". In dieser Woche hat Kohlschreiber jedoch gelernt, dass es sich lohnt, die ausgetretenen Pfade ab und an zu verlassen.

Um Marokko, wo zu Beginn der Sandplatz-Saison ein kleines Turnier ausgetragen wird, hat Kohlschreiber lange Zeit einen großen Bogen gemacht. Weder die Hotelsituation in Marrakesch noch die besten Restaurants sind ihm bekannt. Und trotzdem spielt Kohlschreiber dort sehr gutes Tennis. Zum ersten Mal in dieser Saison hat er bei einem Turnier drei Partien hintereinander gewonnen und sein erstes Finale 2017 erreicht. Am Samstagnachmittag schlug er im Halbfinale den Franzosen Benoit Paire locker 6:2 und 6:2.

Paire ist eigentlich keiner, gegen den ein Gewohnheitsmensch wie Kohlschreiber gerne spielt. Paire ist unberechenbar: Der Franzose besitzt ein beinahe unverschämtes Ballgefühl und einen krachenden Aufschlag. Allerdings hat Paire auf dem Platz mindestens zwei Persönlichkeiten: eine genialische, die ihn zu wahnwitzigem Angriffstennis befähigt; und eine selbstzerstörerische, die ihn lustlos über den Platz schlurfen lässt, so wie am Samstag. Kohlschreiber, der immer relativ ähnlich spielt, hatte keine Mühe.

Kohlschreiber ist immer noch zweitbester Deutscher, interessiert aber wenig

Üblicherweise beginnt Kohlschreiber seine Sandsaison eine Woche später, beim großen Masters in Monte Carlo. Doch die Saison 2017 läuft bisher eher unterdurchschnittlich. Zwar konnte Kohlschreiber die Topspieler ein paar Mal ärgern. In Indian Wells zum Beispiel knöpfte er Rafael Nadal einen Satz mit 6:0-Spielen ab. In Dubai erarbeitete er sich gegen den Weltranglistenersten Andy Murray sogar sieben Matchbälle. Doch am Ende gewannen immer die anderen. Kohlschreiber ist in der Weltrangliste aus den Top 30 gerutscht. Der Finaleinzug wird ihn immerhin in sein gewohntes Biotop zurückbringen.

Kohlschreiber ist mittlerweile 33 Jahre alt, er ist immer noch der zweitbeste deutsche Tennisspieler. Das große Interesse gilt jedoch längst dem sehr jungen, hochveranlagten Alexander Zverev, dem viele zutrauen, irgendwann um Grand-Slam-Titel zu kämpfen. Kohlschreiber weiß, dass ihm diese höchsten Meriten des Sports sehr wahrscheinlich verwehrt bleiben werden. Ein Halbfinale bei einem Grand-Slam wäre immer noch "ein Traum", sagt er. Die Australian Open mit dem Revival der Veteranen Roger Federer und Nadal haben ja gezeigt, dass es auch im fortgeschrittenen Alter noch geht. Aber es werde eben auch nicht leichter mit den vielen aufstrebenden Talenten.

"Deswegen macht es vielleicht Sinn, sich auch kleinere Ziele zu stecken", findet Kohlschreiber, "zum Beispiel den jungen Spielern so lange es geht Paroli zu bieten". Am Sonntag, im Finale (15.30 Uhr), wartet mit dem Kroaten Borna Coric, 20, einer dieser aufstrebenden Nachwuchsprofis, die die ATP öffentlichkeitswirksam als "Next Gen" vermarktet, die neue Generation. Kohlschreiber hat schon zwei Mal gegen Coric gespielt und beide Duelle gewonnen. Kohlschreiber weiß, dass ihn der Kroate vermutlich in zähe Grundlinienduelle verwickeln will. Coric ist fitter, Kohlschreiber hat die besseren Schläge. Unwahrscheinlich, dass einer den anderen überrascht. Kohlschreiber mag das ja, wenn er sich auskennt.

© SZ vom 16.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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