Kölner 1:2-Niederlage:Erste Kränze

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Lieber noch mal fernsehen: Schiedsrichter Benjamin Cortus nimmt seine Elfmeter-Entscheidung nach persönlichem Augenschein zurück. (Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty)

Elfmeter nicht bekommen, Krümpels-Gegentor in der Nachspielzeit - nach der doppelt harten Niederlage des 1. FC Köln in Stuttgart erreicht die Punktekrise der Rheinländer eine neue Dimension: Die Gegner bekunden Mitleid.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Von Beileidsbekundungen in der Interviewzone ist eigentlich abzusehen. Kein Trauernder mag es, wenn ihm im Angesicht einer schmerzhaften Niederlage noch ein paar Kränze gewunden werden, Ihr habt toll gespielt, Ihr steigt bestimmt nicht ab, so ein Zeug halt. Zumal man ja nie so recht weiß, wie man solche Pseudohymnen zu nehmen hat, Sieger neigen im Angesicht eines glücklichen Sieges gerne mal zur freundlichen Heuchelei, die nichts kostet und niemandem weh tut, außer eben dem Verlierer.

Die Stuttgarter Simon Terodde und Ron-Robert Zieler waren der Heuchelei aber sehr unverdächtig, sie haben beide mal beim 1. FC Köln gespielt, und deshalb hatten sie bei der Übermittlung ihres Mitleids fast schon Mitleid mit sich selbst. "Ich weiß, Mitleid können die Kölner heute gar nicht gebrauchen", sagte der Stürmer Terodde und versuchte es probeweise mit einem anderen Wort. "Oder soll man sagen: Mitgefühl?" Der Torwart Zieler sagte es an derselben Stelle ein paar Minuten später so: "Das war eine wahnsinnig emotionale Schlussphase heute, und so groß unsere Freude auch ist, so fühle ich doch auch mit den Kölnern mit."

Am Ende war es aber doch ganz gut, dass wenigstens die Stuttgarter ihr Mitgefühl zeigten, wenn es sonst schon keiner tat. Die Kölner selbst waren jedenfalls auf das Tapferste entschlossen, sich nicht selbst leid zu tun. "Sie werden von mir nicht hören, dass wir aufgeben", sagte der Flügelspieler Bittencourt, "wir werden am kommenden Sonntag unsere ersten drei Ligapunkte holen."

Stögers Gesetze

Wenn in dieser bemerkenswert unglücklichen Niederlage in Stuttgart wenigstens ein Quantum Trost steckte, dann vielleicht dieses: Nach den bisherigen Niederlagen konnten sich selbst Wohlmeinende eher schwer vorstellen, mit welchen Mitteln dieser FC demnächst zu Siegen kommen sollte; nach dem 1:2 beim VfB übersteigen mögliche Kölner Siege aber keineswegs mehr die Vorstellungskraft der FC-Sympathisanten. Vor allem in der ersten halben Stunde lief der Ball flotter und mitunter auch selbstverständlicher, als man das laut der gängigen Branchenregeln von einem abgeschlagenen Tabellenachtzehnten erwarten dürfte. Weil der FC aber selbst in dieser Phase über die Chancenverwertung eines Tabellenneunzehnten verfügte, trat am Ende doch wieder jenes Gesetz in Kraft, das - wenn es so weitergeht - bald nicht mehr Murphys, sondern Stögers Gesetz heißen sollte: Jeder Ball, der danebengehen kann, geht daneben. Und jeder Elfmeter, der gegeben wird, wird dann doch nicht gegeben.

Ach, er habe "keine Lust mehr", über den Videobeweis zu sprechen, sagte Trainer Peter Stöger später, denn auch das gehört ja zum zunehmend fiesen Humor dieses bösen Gesetzes: dass ausgerechnet die Kölner, die zu den leidenschaftlichsten Befürwortern des Videobeweises zählten, nun ständig unter ihm leiden müssen. Jene rätselhaften Menschen, die immer zum rechten Moment die Stoppuhren starten, behaupteten später, es habe 3:43 Minuten gedauert, bis Schiedsrichter Benjamin Cortus nach Konsultation des ironischerweise in Köln sitzenden Videoassistenten sowie nach eigener Ansicht der Szene endgültig einen Schiedsrichter-Ball verhängte - womit dann auch dem Letzten klar war, dass die Aktion von Stuttgarts Dennis Aogo gegen Kölns Sehrou Guirassy offenbar doch nicht elfmeterreif war.

"Keine Lust auf Trauermesse"

Inhaltlich war das wohl eine korrekte Entscheidung (siehe Zweittext), weil es sich bei näherem Hinsehen eher um eine Aktion von Guirassy gegen Aogo gehandelt hatte - dramaturgisch aber war das katastrophal für die Kölner, die in diesem Moment mental auf den 20. Tabellenplatz zurückstürzten. Die Jungs seien in der Kabine "schon mal besser aufgestellt" gewesen, sagte Stöger später mit angemessenem Galgenhumor und erklärte dann sehr ernst, man werde nun eben das anstehende Europa-League-Spiel in Borissow am kommenden Donnerstag zu nutzen versuchen, um sich endlich wieder mal ein gutes Gefühl zu holen. Er habe "keine Lust", meinte Stöger, "da eine Trauermesse hin zu machen".

Der Elfmeter hätte die Kölner im bestmöglichen und die Stuttgarter im übelsten Moment erwischt, unmittelbar nach dem Fernschusstor des Verteidigers Dominik Heintz (77.), der damit Stuttgarts Führung durch Anastassios Donis (38.) ausgeglichen hatte. Der aberkannte Elfmeter drehte diese Logik aber einmal um die eigene Achse: Nun fühlten sich die gerade zunehmend siegesgewissen und dann plötzlich 3:43 Minuten von einer Niederlage bedrohten Stuttgarter vom Schicksal beschenkt und zwangen dem FC eine wilde Schlussphase auf, die sich für die Nachspielzeit eine besonders höhnische Pointe aufgespart hatte - jenes kleine Querfeldein-Solo des eingewechselten Stuttgarters Chadrac Akolo, dessen Schuss auch noch boshaft abgefälscht wurde. Übrigens, aber das nur nebenbei, vom Fuß eines eingewechselten Kölners namens Handwerker. Und als wäre all das nicht genug gewesen, scheiterte Guirassy danach mit einer sehenswerten Volley-Abnahme am fabelhaft reagierenden Zieler.

Seltsamer Schiedsrichterball

Er frage sich, warum der Videoassistent in Köln sich überhaupt eingemischt habe, grummelte Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke später, es habe einen Kontakt gegeben, der Schiedsrichter habe "eine Entscheidung getroffen, und es war keine klare Fehlentscheidung. Die Szene zeigt, dass das, was besprochen wurde und das, was getan wird, zwei unterschiedliche Dinge sind". Somit haben die Kölner dem Videobeweis - immerhin - eines zu verdanken: Das Thema ist einstweilen so mächtig, dass die in solchen Fällen branchenübliche Trainerdebatte deutlich leiser geführt wird als sonst. "Ich starte keine Trainerdebatte, sondern ich schütze den Trainer und vermittle das Gefühl, dass wir als Gruppierung eine schwierige Aufgabe zu lösen haben", sagte Schmadtke, "man kann auch hektisch agieren, dazu neige ich aber weniger."

Eine sehr spezielle Regelfrage ging später im allgemeinen Getöse übrigens leider unter - jene, warum Schiedsrichter Cortus beim Schiedsrichterball einfach dem Stuttgarter Torwart Zieler den Ball hinwarf. Zieler erklärte später, er habe dem Schiedsrichter gesagt, das sei sein Strafraum, und in seinem Strafraum gebe es keinen Schiedsrichterball, weil er - Zieler - sich sowieso sofort vor den Ball werfe. Dieser Satz muss für alle Kölner besonders bitter geklungen haben. Denn so sprechen nur Sieger.

© SZ vom 15.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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