Klinsi amerikanisiert Deutschland:Der Beschleuniger

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Dass Jürgen Klinsmann die Deutschen amerikanisiert, interessiert vor allem auch die Amerikaner.

Robert Jacobi

Der gemeine sportinteressierte Amerikaner ist doch etwas enttäuscht von der Weltmeisterschaft. Man dachte, das eigene Land befinde sich endlich auch im Soccer auf dem Weg zur Weltmacht. Dann aber kam Ghana.

Warum sollten wir nicht Weltmeister werden? Klinsmann macht seine Arbeit Spaß - das merken alle. (Foto: Foto: AFP)

Freundlich und mit Respekt betrachtet jetzt eine Minderheit den Rest des Turniers.

Doch da gibt es eine blonde Ausnahme, einen fröhlichen Mann, der die Kriterien eines Posterboys des amerikanischen Sports perfekt erfüllt: Das weite Land liebt Jürgen Klinsmann. Und weil der Bundestrainer nicht nur in Kalifornien wohnt, sondern auch das Fitnesstraining für sein Team aus der neuen Heimat importiert hat, gilt er fast schon als Amerikaner. Sogar als Nationaltrainer des amerikanischen Teams würden sie ihn verpflichten.

Genussvoll berichten die Medien darüber, wie Klinsmann die deutsche Mentalität verändert. Der gesellschaftliche Missmut weicht der farbenfrohen Zukunftsfreude. Wenn es einen Wert gibt, der Amerika vereint, dann ist es das Gefühl, dass alles möglich ist.

Man muss es nur machen. Und an sich glauben. Hat Klinsmann Deutschland amerikanisiert? Warum nicht Weltmeister werden? Wer sagt denn, dass diese Deutschen nicht mithalten können? Verteufelt haben sie ihn, die Trübseligen, fast schon verjagt wegen mangelnder Heimattreue. Der graue Verbandsfunktionär in der deutschen Seele aber reibt sich längst die Augen und versucht zu verstehen, was gerade passiert.

Land der Motivationstrainer und Fitnessgurus

Amerika also, das Land der Motivationstrainer und Fitnessgurus, in dem Fernsehprediger ganze Familien auf der Wohnzimmercouch zu Tränen rühren. Der Europäer spottet, doch der Amerikaner geht erleichtert ins Bett.

Training in Leadership ist der Trend an den Business Schools. Erwachsene Studenten schreien sich den Erfolgsglauben herbei oder summen bei geschlossenen Augen ihre Gefühle. Schon die Sprache macht es dem Deutschen schwer, mitzuhalten.

Denn wer will schon Führer werden oder sich in Menschenführung unterrichten lassen? Der antitotalitäre Reflex ist stark, die Psychologie der Masse gilt als gefährliches Terrain. Man gefällt sich doch sehr in der Rolle des Mannes ohne Eigenschaften, der das Treiben ironisierend beobachtet und sich als letzter Hort der Weltvernunft versteht.

Ohne die Last des historischen Kollektivversagens in deutscher Dimension spielt der Amerikaner freier auf, sei es im Sport oder in der Weltpolitik. Wie Jürgen Klinsmann eben, der nach dem Argentinien-Spiel zunächst einmal auch den letzten Kritiker abschüttelt und unkontrolliert über den Berliner Rasen hüpft.

Nach Berti Vogts und Rudi Völler sieht der deutsche Fußball plötzlich wieder gut aus. Kaum eine Chance mehr, dass die Amerikaner den Klinsmann demnächst auf ihre Bank bekommen. Vorerst tröstet sich die United States Soccer Federation damit, dass diese Weltmeisterschaft der Punkt gewesen sei, an dem die amerikanischen Fans als "internationale Kraft" hervorgetreten sind.

Es ist nicht so, dass sich ganz Amerika dank Klinsmann plötzlich für Fußball interessiert. Passanten bleiben verwundert vor vollen Kneipen stehen, betrachten schreiende Europäer und können sich nicht erklären, was vor sich geht.

Die Spiele werden landesweit live übertragen, aber die Einschaltquoten für Fußball sind niedrig, sie bieten sich gar nicht erst an zum Vergleich mit Baseball oder mit den Finalspielen der Basketballiga vor ein paar Wochen.

Dann schaut Amerika zu

Was aber in den USA für den aus Würzburg stammenden Basketballer Dirk Nowitzki galt, das gilt erst recht für Jürgen Klinsmann: Wenn sich große, blonde und eigensinnige Deutsche hervor tun, dann schaut Amerika zu. Bei aller Skepsis mögen die Amerikaner jenes ferne und lange düstere Land, aus dem die Vorfahren fast jedes zweiten Staatsbürgers stammen.

In nicht wenigen Zeitungen sind in den vergangenen Tagen Artikel über die Trainingsfirma von Mark Verstegen im Wüstenstädtchen Tempe/Arizona erschienen. Klinsmann kennt sie aus seiner Zeit als Berater beim Fußballclub Los Angeles Galaxy.

Drei Verstegen-Trainer ließ er nach Deutschland fliegen - auf dass die deutschen Nationalkicker Laufen lernen. Denn die Deutschen schienen sich an ein mentales Tempolimit zu halten, obwohl es auf der Autobahn häufig keines gibt.

In diesem Sommer sieht allerdings noch der letzte Berufspessimist ein, dass er beschleunigen muss, um mitzuhalten (man darf nur nicht aus der Kurve fliegen). Ganz so, als würden die Deutschen jeden Morgen von Verstegen geweckt und in den Wald getrieben.

Ewiges Abendrot über Herne

Auch der Einsatz psychologischer Hilfe wird auf einmal akzeptiert. Während es in Amerika vom gesellschaftlichen Mittelstand aufwärts zum guten Ton gehört, sich einen Therapeuten zu halten, flüchtet sich der deutsche Protestant vor zuviel Innen-Ausstellung und der Katholik erwartet sich letzte Klarheit nur von der Beichte. Klinsmann aber hat einen Teampsychologen, mit dem er vor jedem Spiel eine neue Motivationsstrategie entwirft.

Ganz ähnlich wie Pat Riley, der legendäre Basketballcoach, der gerade mit den Miami Heats die Meisterschaft gewann. Und Deutschland gewöhnt sich nach monatelanger Schlechtmacherei daran: Die drei amerikanischen Trainer schauen sich die erste Spielhälfte von der Tribüne an, dann ziehen sie in die Kabine, um ihre Erholungselixiere vorzubereiten. Auf dem Weg dorthin werden sie von den Fans abgeklatscht.

Kommt es zu einem Revival der achtziger Jahre? Werden nach Jahren des grantigen Antiamerikanismus die Liebe, das Streben nach Freiheit und die beständige Suche nach Glück auch in Deutschland zu Menschenrechten? Wenn es eine Nation gibt, in der in guten Momenten trotz Terror-Paranoia noch immer die Welt zu Gast bei Freunden ist, dann ist das Amerika, dem Alter nach der Schulbub unter den Nationen, der seine frühreifen Muskelberge nicht beherrschen kann.

Es ist erst recht nicht schwer, auf ansteckende Weise fröhlich zu sein, wenn man, wie Jürgen Klinsmann, in Huntington Beach wohnt. In der Surferstadt südlich von Los Angeles ist der Strand mehrere hundert Meter breit, und täglich gleitet die Sonne abendrot in den Pazifik.

Mit dem Prinzip der positiven Autosuggestion, das zeigt die Fußball-WM, lässt sich aber auch Deutschland in ein sorgenfreies Surferparadies verwandeln, zumindest auf Zeit.

Jürgen Klinsmann hat sich nicht nur deshalb verdient gemacht, weil er den Deutschen Fußball-Bund (DFB) aufgeweckt und das Team, dem kaum einer etwas zutraute, mit amerikanischen Ideen ins Halbfinale gebracht hat. Es ist fast so, als hätte er ein großes Stück Huntington Beach nach Halle und Herne importiert. Auf dass die Sonne dort nach dem Finale jeden Tag weiter scheine und abends in knallroter Schönheit versinke.

Selbst der Mann ohne Eigenschaften kommt im von Robert Musil geschriebenen Roman zu einer späten Einsicht: "Die Welt ist schön, wenn man sie nimmt, wie sie ist." Besser wird sie dann ganz von selbst. Stimmt nicht? Doch. Einfach mal ausprobieren.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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