Kanu:Achtes Gold für Birgit Fischer

Lesezeit: 3 min

Die erfolgreichste deutsche Olympionikin war schon vor 24 Jahren in Moskau dabei. In Athen wollte sie es nochmal wissen - und trieb ihre Mitstreiterinnen zum Sieg.

Von Josef Kelnberger

Es ist ein albernes Spiel, Medaillen zu vergleichen. Jede Medaille zieht ihren Wert aus der Zeit, in der sie gewonnen wurde. Also ist die erste Olympische Goldmedaille, die Birgit Fischer 1980 mit 18 Jahren im Boot der DDR gewonnen hat, nicht mehr und nicht weniger wert als ihre achte Goldmedaille, gewonnen am Freitag im Alter von 42 Jahren als Unternehmerin in eigener Sache. Sie steht eben nur für eine andere Zeit.

"Sie kann sich hineinfühlen ins Boot": Birgit Fischer (Foto: Foto: reuters)

"Einen besonderen Stellenwert" habe die Goldmedaille, sagte Fischer, "weil man davon ausgehen muss, dass dies meine letzten Olympischen Spiele sind." Wirklich ihre letzten? "Weiß ich doch nicht", rief sie fidel vom Podium. Als ihre Antwort übersetzt war, lächelten die Rivalinnen aus Ungarn und der Ukraine links und rechts von ihr. Die dachten, dies sei ein Scherz. Ihre drei deutschen Kolleginnen lachten nicht. Sie kennen ihre Alte Dame und deren Unberechenbarkeit.

Mit schrägem Humor

Niemand wird richtig schlau aus Kanutin Birgit Fischer, Deutschlands erfolgreichster Olympionikin, und das ist kein Wunder. Sie wird ja aus sich selbst nicht schlau. Immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, nach einem neuen Sinn. Die Freiheit, gewonnen aus der Wende, geht ihr über alles. Als sie Ende vorigen Jahres überlegte, ob sie noch einmal Olympia in Angriff nehmen solle, konnte es wildfremden Menschen passieren, dass Fischer sie um Rat fragte.

Sie hatte vieles versucht, um ihr Leben nach dem Sport in Bahnen zu lenken. Aber angesichts der Freiheit konnte sie sich offenbar für nichts so recht entscheiden. Sie hat viele Gründe für ihr Comeback genannt. Einmal sagte sie, sie wolle ihre körperlichen Grenzen ausloten. Dann sagte sie, sie wolle Gleichaltrigen ein Beispiel geben.

Tatsächlich suchte sie nochmal den Weg zurück zu dem, was sie am besten kann, in eine übersichtliche Welt: ein Start, ein Ziel, und ein Boot samt Paddel, um die Strecke vom Start ins Ziel so schnell wie möglich zurückzulegen. Die Trainer nahmen ihr Angebot dankbar an. Keine andere hat ihren Fanatismus, ihren Willen zum Erfolg. "Erfahrung reinbringen", wollte Kanu-Bundestrainer Josef Capousek. Er hätte auch sagen können: Feuer entfachen in einem Team, das einzuschlafen drohte.

Katrin Wagner, 26, hat für normale Kajak-Rennen einen Saughund als Glücksbringer, "voll fertig sieht der aus", sagt sie. Zu Olympia aber nimmt sie einen kleinen grünen Dinosaurier mit. Mit Dinosaurier zu Gold, so lautete vor vier Jahren eine Bildunterschrift zum deutschen Kajak-Vierer in Sydney. Viele haben damals gedacht, mit dem Dinosaurier sei Fischer gemeint. Fischer, Fischer, Fischer, ob das nicht nervt?

Fischer entschied das Rennen - wie vor vier Jahren in Sydney

"Ich bin damit aufgewachsen", sagt Wagner, Brandenburgerin wie Fischer. Sie ist eine sehr direkte Frau mit etwas schrägem Humor, vermutlich nicht einfach zu nehmen, aber in Birgit Fischers Schatten kann sie sehr gut leben. Sie sieht das sehr pragmatisch: "Ohne Birgit hätten wir heute nicht Gold gewonnen." Sie und ihr Dino.

Es ist leicht, im Boot hinter Birgit Fischer zu sitzen. "Birgit gibt mir Sicherheit", sagt die 19-jährige Caroline Leonhardt. Maike Nollen, die vergangenes Jahr an Fischers Stelle am Schlag saß, sagt: "Sie kann sich hineinfühlen ins Boot und merkt, wenn die anderen nicht mitkommen. Aber wenn sie los macht, müssen wir einfach hinterher." Die Fischer kann derart gewaltig losmachen mit ihrem Paddel, dass das Boot voll Wasser läuft. 20 Liter auf 500 Meter, hat man gemessen, schaufelt sie herein. Deshalb trugen die Deutschen diesmal Spritzwasser abweisende Anzüge, die im Rodelsport entwickelt wurden.

Mag sein, dass dieser Vorteil ihnen zum Gold verhalf. Letztlich aber entschied Fischer das Rennen, im Endspurt, als die Ungarinnen 50 Meter vor dem Ziel immer noch in Führung lagen, genau wie vor vier Jahren in Sydney. Und wieder wurden sie abgefangen. Fischer gab das Tempo vor, und im Takt der alten Dame paddelten sie zum Gold. Kaum hatten sie die Ziellinie durchquert, schleuderte Birgit Fischer ihre Faust in die Luft. Sie spürte die zwei Zehntel Vorsprung.

"Wir sind ein witziger Haufen"

Es ist allerdings ein Geben und Nehmen gewesen in diesem Team, auch in den Stunden vor dem Rennen. "Im Dorf geht die Party ab, und wir sitzen auf dem Zimmer und gucken Rhythmische Sportgymnastik, um Kräfte zu schonen", klagte Wagner. Sie hat begonnen, die Langeweile zu vertreiben, indem sie Freundschaftsbänder knüpfte. Zusammen mit Kollegin Maike Nollen lackierte sie sich Finger- und Zehnägel schwarz-rot-golden. Diesen Spaß hat Fischer dann doch nicht mitgemacht.

Ansonsten geht sie auf in der Gruppe. Es heißt ja immer, sie sei verbiestert und verbissen. So habe sie die Kollegin gar nicht kennen gelernt, sagt Nollen. "Wir sind ein witziger Haufen, wir machen viel Albernheiten, und da macht sie mit." Da bewegt sich die Alte Dame im Takt der Jungen. Am heutigen Samstag kämpft die 42-Jährige im Kajak-Zweier um ihr neuntes Gold bei ihren sechsten Olympischen Spielen. Zusammen mit Caroline Leonhardt, die in etwa so alt ist wie ihre beiden Kinder.

Ob dies nun ihr letztes olympisches Rennen sein wird? Nur für ein Jahr sei sie nicht zurückgekehrt, sagte sie, und im Übrigen sei Peking eine schöne Stadt. Weiteren Fragen entzog sich Fischer per Flucht. Irgendwann müsse Schluss sein, rief sie zurück über ihre Schulter, bevor sie hinter einer Absperrung verschwand. Schluss mit den Fragen, Schluss mit der Karriere. Sie nimmt sich die Freiheit, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen.

© Süddeutsche Zeitung vom 28.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: