Kahns Entscheidungsfindung:Mail für Klinsmann

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"Viele aus der Mannschaft" hätten ihm gut zugeredet, sagt Oliver Kahn. Damit meint er nicht nur die Kollegen vom FC Bayern.

Andreas Burkert

So seriös gekleidet wie am Montag erscheint Oliver Kahn nicht immer auf dem Trainingsgelände des FC Bayern. Zu seiner im Nachrichtenfernsehen live ausgestrahlten Pressekonferenz in eigener Sache kam er in einer grauen Flanellhose und einem leicht verknautschten, modisch gestreiften hellen Oberhemd. Kahn wollte in jeder Hinsicht einen guten Eindruck hinterlassen an jenem Tag, an dem er für sich endgültig die Entscheidung zum Verbleib in der Nationalmannschaft getroffen hatte.

Wie benommen war er noch am Samstag in Bremen aus dem Weserstadion geflüchtet, und nach dem 0:3 der Bayern schien es, als habe er nichts und niemanden mehr wahrgenommen. Nicht Werders Stürmer Ivan Klasnic oder auch die deutschen Nationalspieler Patrick Owomoyela und Tim Borowski ("als Typ ist Olli für uns sehr wichtig"), die vor und nach dem Spitzenspiel äußerst fürsorglich mit dem tags zuvor demontierten Nationaltorwart umgegangen waren. Kahn indes erwähnt am Montag, er habe durchaus gespürt, "was in meinem Umfeld passiert ist, nach dem Spiel in Bremen kamen viele zu mir und haben gesagt: ,Das wäre super, wenn du bei der WM dabei wärst.'" Und auch telefonisch hätten sich "viele aus der Mannschaft" bei ihm gemeldet, und mit Mannschaft meinte er nicht den FC Bayern.

Torsten Frings etwa, im Sommer aus München nach Bremen zurückgekehrt (und am Samstag gesperrt gewesen), wählte Kahns Nummer und machte seinen Einfluss bei seinem Freund geltend. Auch die mehr oder weniger eindeutigen Reaktionen von Werder-Stürmer Miroslav Klose ("ich möchte lieber nichts sagen") sowie des Teamkollegen Michael Ballack blieben Kahn nicht verborgen. Ballack und Kahn haben in München lange gebraucht, einander als gleichberechtigte Bewohner der obersten Hierarchieebene zu akzeptieren. Samstag jedoch sagte der gewöhnlich äußerst diplomatische Kapitän der Nationalelf: "Ich hatte meine Meinung - die Entscheidung hat auch uns Bayern-Spielern weh getan."

Zerstreuung in der Diskothek

Dieser Zuspruch ist das eine gewesen. Den Rest hat Kahn mit sich selbst ausgemacht. Am Samstag nach der Rückkehr aus Bremen suchte er zunächst Zerstreuung in der Münchner Diskothek P1, in unruhigen Zeiten braucht er das offenbar. Am Sonntag dachte er nach. Beim einsamen Waldlauf vormittags im Perlacher Forst. Und zuhause. Vermutlich hat er dort sehr viel telefoniert, obwohl Kahn am Montag betont, er habe "die letzten 24 Stunden eigentlich mit gar niemandem mehr gesprochen". Er sei für sich gewesen. "Ich habe mir das gestern überlegt", berichtet er, "und dann habe ich eine Nacht drüber geschlafen, dann bin ich heute morgen aufgewacht." Als er wach war, stand seine Entscheidung immer noch: "Klammheimlich sich verdrücken, das gibt mir keine innere Zufriedenheit."

Am Montagmorgen, als sich Klinsmann in Kalifornien im Bett wohl noch einmal umdrehte, informierte Kahn den Bundestrainer per Mail über seine Entscheidung; auch Bayern-Manager Uli Hoeneß - der am Wochenende betont hatte, er wolle den eigenen Spielführer "unbedingt überzeugen, dass er die Weltmeisterschaft mitmacht" - weihte er am Morgen ein. Ebenso Bayerns PR-Direktor Markus Hörwick, der umgehend die Presse einbestellte.

Uli Hoeneß verfolgte die Fernsehübertragung in seinem Büro. Er ist sehr zufrieden gewesen. Nicht nur wegen dieser schicken Flanellhose.

© SZ vom 11.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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