Jan Ullrich:Eine Flucht als Winkelzug

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Der Radsportler will sich per Verbandsaustritt dem Schweizer Verfahren entziehen - sein Karriere-Ende naht.

Andreas Burkert

Es ist ein Abschied auf Raten, den Jan Ullrich seit einigen Monaten vollzieht, genau genommen seit dem ersten Juli-Wochenende, als ihn sein damaliger Arbeitgeber T-Mobile am Tag vor der Tour de France suspendierte, offenbar aus gutem Grund.

Flucht vor der Sperre: Jan Ullrich. (Foto: Foto: ddp)

Eine 44-seitige Inhaltsangabe hatten die Tour-Organisatoren damals erhalten über die Ermittlungen der spanischen Behörden, die ein internationales Dopingnetzwerk mit einer groß angelegten Razzia unter dem Arbeitstitel Operación Puerto enttarnt hatten.

Ullrich beteuert seitdem seine Unschuld, doch Erhellendes oder gar Aufklärendes hat er bislang nicht beigetragen. Vorwürfe gegen recherchierende Medien ("tägliche Lügengeschichten") und seine bisherigen Partner vom Schweizer Radsportverband Swiss Cycling waren das einzige, was er kundtat über seinen Manager Wolfgang Strohband, der für die Formulierungen auf seiner Internetseite verantwortlich zeichnet.

Am Donnerstag stand dort sinngemäß zu lesen, Ullrich stehe nicht zwangsläufig vor dem Ende seiner Sportlerkarriere - dabei impliziert sein jüngster Winkelzug in dem peinlichen Versteckspiel genau dies: Ullrich ist aus dem Schweizer Radsportverband ausgetreten, seine Lizenz ist damit ungültig.

Vertrauensverhältnis zerstört

Der Eindruck, den Ullrich mit diesem Schritt hinterlässt, ist ebenso verheerend wie seine bisherigen Platitüden. Denn fraglos möchte der am Schweizer Ufer des Bodensees logierende Radprofi dem von Swiss Cycling angestrebten Disziplinarverfahren wegen mutmaßlichen Kontakte zum spanischen Dopingsumpf entgehen - eine Flucht anstelle von aktiver Klärungshilfe, auch diese Aktion spricht Bände.

Der bald 33-Jährige begründet seine Entscheidung freilich mit dem angeblich rufschädigenden Verhalten von Swiss Cycling, der stets offen von einer gravierenden Indizienkette gegen Ullrich gesprochen hatte.

"Das Vertrauensverhältnis ist jetzt zerstört. Dieser Austritt aus dem Verband bedeutet nicht, dass ich meine Karriere beende, es bestehen Kontakte zu anderen Radsportverbänden wegen einer Lizenz 2007", hat Ullrich in seinem Sinne schreiben lassen.

Wenn dem wirklich so wäre, verhandelt Strohband sicherlich gerade mit der Velo-Organisation der Malediven oder eines anderen Kleinstaates. Ob dieser perfide Zug aber wirklich zum Ziel führt, ist eher zweifelhaft. Denn nach den Statuten des Weltverbandes UCI wird ein Radprofi in jenem Land lizensiert, in welchem er seinen Hauptwohnsitz hat.

Schadlos in den Vorruhestand

"Er muss in dem Land leben für eine neue Lizenz", sagte UCI-Sprecher Enrico Carpani der SZ, "ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Fahrer, der Deutscher ist und in der Schweiz lebt, beispielsweise eine italienische oder russische Lizenz bekommt." Mit einem solchen Ausweichmanöver einem Dopingverfahren zu entkommen, ergänzte Carpani, "das wäre etwas einfach."

Vermutlich liegen die Dinge ohnehin anders, denn dass sich Ullrich angesichts der für ihn eher aussichtslosen Lage noch einmal in Form bringt für eine Saison, zu deren Höhepunkt im Juli ihm die rigide Tour-Organisatoren sowieso den Zutritt verwehren würde - das ist bei diesem hochbegabten Teilzeitsportler vergangener Jahre kaum anzunehmen.

Jan Ullrich ist stattdessen ganz offensichtlich darauf aus, halbwegs schadlos in den Vorruhestand zu treten. Darauf hat ja zuletzt auch die von ihm betriebene Trennung von seiner langjährigen Physiotherapeutin Birgit Krohme hingewiesen, deren Handschlagvertrag er vor knapp drei Wochen am Telefon für beendet erklärt hatte - weil er sie nicht mehr brauche.

Klage erwogen

Vielleicht verlässt Ullrich die Schweiz nun trotzdem und zieht um, womöglich erhält er irgendwo und irgendwo doch eine Lizenz; die Gauner wollen ja nicht aussterben in diesem schönen wie verseuchten Sport.

Doch bei den Profiteams wird er nach dieser Flucht erst recht nicht mehr landen können, "er ist ja nicht ausgetreten, weil ihm die Schweizer stinken", sagt ein Manager eines Top-10-Rennstalls, "er will sich der Sache nur entziehen".

Vor den bei deutschen Justizbehörden in Hamburg und Bonn anhängigen Verfahren kann Ullrich ohnehin nicht fliehen. Die - erstinstanzlich erfolgreiche - Hamburger Klage gegen den Heidelberger Wissenschaftler Werner Franke, der von Zahlungen Ullrichs als an den spanischen Dopingarzt Fuentes gesprochen hatte, hat ja übrigens erst die Gegenoffensive des streitbaren Professors provoziert; auch sie könnte Ullrich somit zum Verhängnis werden.

Insofern darf man Ullrichs gestrige Drohung, er behalte sich Schadensersatzansprüche gegen Swiss Cycling vor, als vorletzte Äußerung eines angehenden Frühpensionärs deuten. Denn bei einem Verfahren kämen dann auch in der Schweiz alle Fakten auf den Tisch. Jan Ullrich kann das nicht wollen.

© SZ vom 20.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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