Jan Ullrich:Das Duell hat längst begonnen

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Jan Ullrich möchte Lance Armstrong endlich bei der tour de France besiegen. Die letzte Chance dafür ist in drei Wochen. Doch der Kampf um den Sieg beginnt schon heute bei der Tour de Suisse.

Andreas Burkert

Zu Beginn des Monats sind sie sich plötzlich sehr nahe gewesen. Ein seltsames Gefühl war das, berichtete Jan Ullrich hinterher, "aber eigentlich war es mir auch egal". Er hat sich daran gewöhnt, dass Lance Armstrong zu seinem Leben gehört, die beiden verbindet seit Jahren die Passion fürs Rad fahren und eine innige Rivalität.

Im Juli werden sie sich ein letztes Mal duellieren beim größten Wettbewerb ihres Sports, der Tour de France, und natürlich ist Armstrong, 33, der Sechsfach-Champion aus Texas, auch bei seinem Abschiedsrennen der Favorit. Beim Start im Département Vendée an der Atlantikküste würde er ihn also wiedersehen, das wusste Ullrich, doch dann fuhr der Amerikaner beim Tour-Training in den Pyrenäen in einem dunklen Wagen an ihm vorbei, als er sich gerade erfrischte.

Oben auf dem Gipfel des Col de Monté erzählten ihm dann einige Radtouristen, Armstrong und seine Leute seien eine halbe Stunde vorher dagewesen. Natürlich hat er nicht auf den Deutschen gewartet. Auch diesmal nicht.

Das ewige Duell Armstrong vs. Ullrich ist längst in vollem Gange, obwohl die Protagonisten in dieser Saison spät wie selten auf der Bildfläche erschienen sind. Der Titelverteidiger bringt sich derzeit bei der Dauphiné Libéré in Südfrankreich in Form, seinem bevorzugten Vorbereitungsrennen. Er hat dort schon zweimal gewonnen, derzeit belegt er Rang zwei und sagt: "Ich fühle mich gut. Ich bin nicht super, aber ich weiß, dass es erst in einem Monat zählt."

Ullrich, 31, startet am Samstag in die Tour de Suisse, die er 2004 erstmals gewinnen konnte. Gewinnen wolle er diesmal aber nicht, sagt er, ein wenig habe das mit Aberglaube zu tun. Schließlich belegte er später bei der Tour nur Platz vier. Ullrich empfand dieses Resultat als "meine schwerste Niederlage". Er wolle sich in den nächsten neun Tagen "nur testen, auch übers Limit gehen, allerdings in dosierter Form - damit ich nicht überdrehe".

Wie so oft offenbaren die mutmaßlichen Hauptdarsteller der Konkurrenz ungern ihren tatsächlichen Leistungsstand; Radprofis sind sensible Schauspieler, und Armstrong liegt dieses Metier erwiesenermaßen wie niemandem sonst. Im Frühjahr, bei der Georgia-Tour in den Staaten, ließ er andere vorne fahren, und sein Umfeld lancierte darauf, der Meister sei seltsam formschwach und darob ernsthaft irritiert. Schließlich las man, er habe sich von Freundin Sheryl Crow getrennt.

Gerüchte um Lance Armstrong

Auch das stimmte nicht, die Popsängerin begleitet ihn momentan bei der Dauphiné. Dort ließ er sich am Donnerstag auf dem berüchtigten Mont Ventoux einige Male abhängen von den Tagesbesten. Am Ende war Armstrong, der die Fahrt auf den ungeliebten Steinriesen der Provence hasst, guter Vierter. "Es gab viele Attacken", sagte er hinterher gelassen, "ich bin deshalb mein eigenes Tempo gefahren."

Auch seine Gegner wie Landsmann Levi Leipheimer, der starke Gesamtführende vom Team Gerolsteiner, geben sich nicht der Illusion hin, der Champion erscheine womöglich bei der Tour nicht in der Verfassung der vergangenen Jahre. Leipheimer sagte: "Ich glaube, er ist einfach nur schlau gefahren - er ist im Plan." Selbstredend ist er das.

Jan Ullrich behauptet das ebenfalls von sich, und seine Begleiter loben ihn sogar. Das war nicht immer so. Wie sein Rivale hat sich der Rostocker im Frühjahr rar gemacht, den geplanten Einstieg bei der Murcia-Rundfahrt Anfang März sagte er ab. Grippe.

Doch seitdem, findet sein Sportlicher Leiter, Mario Kummer, habe sich die Form erstaunlich entwickelt: "Er ist diesmal mit besserer Kondition eingestiegen, ist nicht mehr krank geworden - letztes Jahr war das alles anders." Betreuer Rudy Pevenage betont, sein Athlet habe "regelmäßiger, besser und härtet gearbeitet".

Doch um das Fernduell ausgeglichen zu gestalten, müsse Ullrich "schon am Sonntag mal ganz vorne ankommen". Sonntag findet in Weinfelden ein Zeitfahren über 36 Kilometer statt. Mario Kummer sagt: "Dann werden die Karten auf den Tisch gelegt."

Alexander Winokurow hat sein Blatt bereits öffentlich gemacht mit seinem grandiosen Triumph auf dem Mont Ventoux. Und Ullrichs kasachischer Freund hat damit in etwa die Vorleistungen von Armstrongs Edelkomparsen Savoldelli (Sieg beim Giro) und Popowitsch (Sieg in Katalonien) ausgeglichen.

Jan Ullrich ist der Kapitän

Armstrong betont, seine aktuelle Discovery-Crew sei "das beste Team, das ich jemals hatte". Kummer glaubt das gerne und entgegnet freundlich: "Wir haben auch die beste Mannschaft, die wir je hatten." Er weiß, dass Winokurow, 31, der bei der Tour 2004 verletzt fehlte, mit seinem offensiven Stil Armstrongs Männer mehr Arbeit bescheren könnte als jemals zuvor.

Oder wird er Ullrich sogar gefährlich, zumal Winokurow ja derzeit ständig mitteilt, "natürlich" könne auch er die Tour gewinnen, "warum denn nicht?" Kummer und Ullrich vernehmen das noch gelassen. "Von der Linie her ist alles klar", sagt Kummer, "und Wino akzeptiert auch, dass Jan der klare Kapitän ist."

Ohnehin zählt das bald alles nicht mehr: Linien, das Frühjahr, Triumphe auf Steinriesen oder in Italien. Armstrong sitzt dann nicht mehr im Wagen, sondern er fährt neben Ullrich. Und es geht sehr steil bergauf.

© SZ vom 11.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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