Italiens Serie A:Im Fußball-Spinnennetz

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Carlo Ancelotti sagt immer, es sei ein Spiel wie jedes andere. Aber mit dieser Ansicht steht er ziemlich allein da.

Von Birgit Schönau

Damals hatten sie in Turin gesagt, ein Schwein könne nicht die Juve trainieren, und das Schwein war er. 70 Punkte hatte er geholt und war zum zweiten Mal Zweiter geworden. Nur Zweiter.

Juventus reichte das nicht, sie baten Marcello Lippi zurück und Ancelotti wechselte zum AC Mailand. Seither hat er die Champions League gewonnen. Gegen Lippis Juve, die wurde Zweiter. Nur Zweiter? "Unser Ziel", sagte Lippi am Sonntagabend, "ist jetzt der zweite Platz."

Intelligenter Ansturm

Soeben hatte Ancelottis Milan die Gastgeber im Turiner Alpenstadion 3:1 besiegt und sie vorgeführt. Nicht einmal eine Halbzeit lang hielt die Juve dem intelligenten Ansturm des Tabellenführers stand, um nach der Pause unaufhaltsam zu zerbröseln. "Wir müssen nicht spektakulär spielen, nur klug", hatte Trainer Carlo Ancelotti seine Mannschaft angewiesen, die sich lange daran hielt.

Abwarten, den richtigen Moment abpassen, kontern. Nach dem 1:0 durch einen wunderbar präzisen Kopfball durch Schewtschenko aber ließ sich Milan doch noch zum Spektakel hinreißen. Selbstbewusst zelebrierten sie jetzt ihren Spinnennetz-Fußball mit dem coolen Andrea Pirlo im Zentrum und den pfeilschnellen Brasilianern Cafù und Kakà, die die Fäden weit nach vorne zogen.

Seedorfs Gala

So entzauberte Milan die schwerfällig erscheinende Alte Dame am Ende mühelos, und den Löwenanteil daran hatte der in Italien lange verkannte Holländer Clarence Seedorf. Bei Inter Mailand (anfangs trainierte ihn dort Lippi) kümmerte Seedorf nach verheißungsvollem Auftakt auf der Bank - zu wenig konstant, zu unberechenbar für die ebenso strikten wie ergebnislosen taktischen Schemata der wechselnden Inter-Trainer.

Anstatt durch seine Leistungen kam er durch eine angebliche Romanze mit der damaligen Ronaldo-Gattin Milene in die Schlagzeilen. Gerüchte, die Seedorf sehr entschieden und ernsthaft dementierte. Aber seine Position bei Inter hatte offensichtlich gelitten, und Seedorf wechselte zum Lokalrivalen Milan.

Unter Ancelotti spielte er sich langsam aber stetig nach vorn. Mittlerweile ist der 28-Jährige als einziger Spieler dreifacher Champions-League-Gewinner mit Klubs aus drei verschiedenen Ländern (Ajax, Real Madrid, Milan), und durch seine Vorstellung am Sonntag hat er dem AC Mailand womöglich auch noch den Meistertitel gesichert.

Inzaghi blass

"Milan hat genug Spieler, die treffen können", hatte Seedorf am Anfang der Saison gesagt und damit Inzaghi und Schewtschenko vorgeschoben. "Wenn die fertig sind, komme ich auch mal dran." In Turin war es endlich soweit. Schewtschenko vergab nach dem Führungstreffer viele Chancen und der nicht in Höchstform spielende Inzaghi blieb blass, Seedorf hingegen inspirierte unermüdlich das Mittelfeld, bereitete Schewtschenkos Treffer vor und erzielte zwei Tore selbst.

Zweizunull, dreizunull- Matchwinner. "Meine Tore widme ich den Familien der Opfer von Madrid", sagte Seedorf später, in die Festlaune des AC Mailands herein, getreu seiner Maxime: "Es gibt Wichtigeres als Fußball."

Haltloser Optimismus

Der sonst so reservierte Ancelotti verbreitete einen für seine Verhältnisse schier haltlosen Optimismus: "Es ist noch nicht geschafft, aber wir sind nahe am Ziel." Der Meisterschaft nämlich, die für Juventus wohl endgültig verloren ist. Neun Punkte trennen die Verfolgerin jetzt von Milan, sieben Punkte sind es bei der Roma, die nur ein torloses Unentschieden gegen die Reggina aus Reggio di Calabria erreichte.

Juventus kann sich nicht allzu lange die Wunden lecken. Der Anschlusstreffer von Ciro Ferrara war in der Schlussphase gegen Milan ein kleiner Trost. Am Mittwoch geht es im Pokalfinale gegen Lazio Rom um die Coppa Italia. Und dabei will Lippi nicht nur Zweiter werden.

© SZ v. 16.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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