Italiens Fußball und der Skandal:Von Grund auf reformieren

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Die Schuldigen des Skandals haben auch im Falle des Titelgewinns keine Amnestie zu erwarten. Trotzdem könnte ein Sieg der Azzuri das Land einen.

Birgit Schönau

Es ist noch gar nicht so lange her, da war die WM für die großen italienischen Klubs ein prächtiger Laufsteg für viel versprechende Talente aus aller Welt. Ein riesiger Einkaufsmarkt, bei dem der nächste Gegner vor allem aus der Perspektive beäugt wurde: Wen könnten wir von denen kaufen?

Das ist vorbei. Die tonangebenden Trainer und Talentscouts sind zu Hause geblieben, die mächtigsten Manager stehen in Rom beim Maxiprozess um die Manipulationsaffäre vor dem Sportgericht, und passend am Tag vor dem Halbfinale hat nun auch noch die Börsenaufsicht gebeten, den Ball flach zu halten.

In Mailand referierte Aufsichts-Präsident Lamberto Cardia bei seinem Jahresbericht sehr ausführlich über die Lage der drei Aktiengesellschaften Juventus Turin, Lazio Rom und AS Rom. Die Aktien der drei sind im freien Fall - Juve und Lazio droht zudem die Aussicht auf einen Zwangsabstieg durch den Sportrichter.

Es sei schon sehr ungewöhnlich, welche Finanzhilfen und Erleichterungen börsennotierte Fußballklubs in der Vergangenheit genossen hätten, erklärte Lamberto Cardia und sagte dann kategorisch: "Wenn die Klubs aus der Börse aussteigen, müssen sie ihre Aktien Stück für Stück zurückkaufen. Weitere Unterstützung darf hier niemand mehr erwarten."

Vor allem für Juventus, den Klub mit acht Spielern im Halbfinale (fünf Italienern, drei Franzosen) wäre der Zwangsabstieg ein Fiasko. Der Vertrag mit Trainer Fabio Capello läuft noch ein Jahr, aber der Klub hätte Schwierigkeiten, dem Trainer sein Gehalt von angeblich 4,5 Millionen Euro netto zu zahlen.

Kündigt Juve Capello, so wären rund acht Millionen Euro Abfindung fällig. Die Spieler Cannavaro und Del Piero haben zwar beteuert, dem Rekordmeister die Treue halten zu wollen, werden dafür aber wohl auch Gehaltskürzungen hinnehmen müssen. Gianluigi Buffon gab eine solche Absichtserklärung erst gar nicht ab.

Keine Amnestie

Die Squadra Azzurra hat sich in Deutschland freigespielt und auch den Schock um den Selbstmordversuch des früheren Nationalspielers Gianluca Pessotto überwunden. Pessotto hatte am vergangenen Dienstag versucht, sich mit einem Sprung von der Juve-Geschäfts-stelle das Leben zu nehmen.

Er befindet sich auf dem Weg der Besserung. Seine früheren Teamgefährten haben ihn zwischen zwei Spielen besucht und ihm den Sieg im Viertelfinale gewidmet.

Die WM und der Skandal, das sollen jetzt zwei Paar Schuhe sein. Verbandskommissar Guido Rossi hat den vormals scharf attackierten Nationatrainer Marcello Lippi vor dem Spiel gegen die Ukraine aufgefordert, bitte am Ruder zu bleiben, gleichgültig, wie weit seine Mannschaft käme.

Auch von höchster Stelle kam am Montag ein Signal zur Entspannung. "Die Nationalmannschaft ist immer ein Instrument zur Einigung unseres Landes gewesen", schrieb Ministerpräsident Romano Prodi in einem offenen Brief an die Gazzetta dello Sport.

Das Halbfinale gegen Deutschland solle jedoch die Missstände nicht verdecken: "Unser Fußball muss von Grund auf reformiert werden. Aber die Azzurri stehen für die positiven Werte unseres Volkes: Einsatz, Fantasie und Talent. Sie werden von der Leidenschaft ihres Landes getragen."

Tatsächlich wird Lippi inzwischen auch von seinen Kritikern zugestanden, ein kompaktes Team geschaffen zu haben, als handele es sich bei seiner Squadra Azzurra um eine Klubmannschaft.

Die Häme der Anfangsphase scheint vergessen zu sein. Dennoch erwartet die Schuldigen des Skandals auch im Falle des Titelgewinns keine Amnestie. "Das wäre ja", sagte ein bekannter Komiker, "als würden wir alle Autodiebe straffrei ausgehen lassen, nur weil Ferrari noch einmal Weltmeister würde."

Im Olympiastadion zu Rom, dem Schauplatz des Maxiprozesses, gab es auch am zweiten Verhandlungstag nicht viel Neues. Am Donnerstag war der Prozess nach wenigen Stunden vertagt worden, um den Verteidigern die Möglichkeit zu intensivem Aktenstudium zu gewähren.

An diesem Montag unterbrach der Vorsitzende Richter Cesare Ruperto die Sitzung, um über die zahlreichen Anträge der Anwälte zu entscheiden, die die Zuständigkeit des Sportgerichts anzweifeln. "Wir werden den ganzen Tag über arbeiten und nur alle 90 Minuten eine Zigarettenpause machen", hatte der 81-jährige Ruperto vor der Prozesseröffnung angekündigt.

Das erstinstanzliche Urteil sollte bis zum 9. Juli gesprochen werden. Doch daraus wird wohl nichts. Egal, wie weit die Azzurri kommen - die Zukunft bleibt für viele von ihnen ungewiss.

© SZ vom 4.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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