Italienischer Fußball:Malerisches Fegefeuer

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Kulisse für große Fußballer ist Venedig nur noch, wenn Nationaltorwart Gianluigi Buffon (links) mal zum Segeln vorbeikommt. (Foto: imago)

Unione Venezia hat den Besitzer gewechselt: vom russischen Oligarchen zum amerikanischen Seifenhändler. In Italiens Amateur-Serie D trifft Venedig auf Traditionsklubs, die auch nicht mehr Glück hatten.

Von Birgit Schönau, Rom

In der schier endlosen Soap-Opera um den Niedergang des italienischen Fußballs hat eigentlich nur noch James Daniels gefehlt. Daniels, 48, leitet die Firma High Ridge Brands in Stamford, Connecticut, nicht zu verwechseln mit dem piekfeinen Stanford, Kalifornien, Sitz einer weltberühmten Universität. Stamford ist nicht so berühmt und die Produkte von High Ridge Brands schon gar nicht. Es handelt sich um Duschgel, Shampoo und Seife, für jeden erschwinglich, von jedem gebraucht. James Daniels aber hat seit Kurzem einen sehr glamourösen Nebenjob. Er ist Fußballpräsident in Italien, beim traditionsreichen Klub Unione Venezia, dem 1907 gegründeten Verein der Lagunenstadt. "Ein hundertjähriger Verein in einer tausendjährigen Stadt", heißt der Slogan der Tifosi. Und jetzt also ein amerikanischer Seifenfabrikant. Eigentlich zu schräg, um wahr zu sein.

High Ridge Brands gibt es erst seit 2011. Aber Daniels, sagen die Fans, mache einen soliden Eindruck. Wenigstens verglichen mit seinem Vorgänger. Der heißt Juri Korablin und ist eigentlich ein Musterbeispiel russischer Bodenständigkeit, als erfolgreicher Unternehmer und Politiker, vor allem aber als Träger des "Ordens der Ehre Russlands". In seiner Heimatstadt Chimki bei Moskau gründete Korablin einen Basketball- und einen Fußballklub, aus beiden hat er sich inzwischen zurückgezogen. Er war Bürgermeister und Parlamentsabgeordneter, kurzum: ein Oligarch wie aus dem Bilderbuch. Als Korablin vor vier Jahren erfuhr, dass der Fußballklub von Venedig zum Verkauf stand, fackelte er nicht lange. Venedig, davon träumen auch in Russland viele. Korablin übernahm den Klub, der damals in der dritten Liga spielte, und gründete das Unternehmen "Venice Football Academy".

In der Ehrenloge des Stadio Pier Luigi Penzo ließ Korablin sich als erster russischer Präsident eines italienischen Fußballklubs feiern. Jedenfalls anfangs, denn die Ehrenloge erwies sich als ziemlich zugig. Das Penzo liegt, wie sich das für Venedig gehört, auf einer Insel und ist nur mit dem Boot zu erreichen - und das wäre ja noch ziemlich pittoresk. Weniger malerisch ist die Tatsache, dass die zweitälteste italienische Fußballarena nie so richtig renoviert wurde. Bereits 2007 war das Penzo derart baufällig, dass die Nordtribüne abmontiert werden musste. Also ausgerechnet die Stammplätze der eingefleischten Venezia-Fans. Korablin schuf da keine Abhilfe, er hielt eigentlich überhaupt keines seiner prahlerischen Versprechen, und am Ende löste er sich einfach in Luft auf. Zahlte keine Gehälter mehr, zahlte nicht mehr für die Lizenz und antwortete auf gar nichts. Vielleicht, so mutmaßt man in Venedig, ja eine Folge des EU-Wirtschaftsboykotts gegen Russland.

Im Juli war der Klub pleite. Keine Lizenz für die Profiliga, ab zu den Amateuren in die Serie D. Und da trat nach dem Russen der Amerikaner auf den Plan, der Seifenmann Daniels. Mit der Marke Venedig verkaufen mittlerweile eine Menge Leute eine Menge Träume und Daniels vielleicht demnächst noch mehr Seife. Auch für Amerikaner ist Venedig eine Traumstadt. In Las Vegas haben sie es nachgebaut und scharenweise reisen sie jedes Jahr zum Original. Man darf davon ausgehen, dass der Klub Unione Venezia weitaus weniger kostete als eine Zweizimmerwohnung hinter San Marco. Was den Unterhalt angeht, wird man ja sehen. Die Venezianer jedenfalls sind enthusiastisch. In dieser Woche wurde der neue Trainer vorgestellt, ein Mann, der mit Lagunenwasser getauft wurde. Die neue Klubleitung besteht durchweg aus alten Kämpen, die für Unione schon so manchen Ball aus dem Rio di Sant'Elena hinterm Stadion gefischt haben.

Begeisterung für die Serie D! Nun, in dieser Saison ist die oberste Amateurliga ja fast so interessant wie die Serie A, als Auffangbecken für Traditionsvereine, die wieder ganz von vorne anfangen müssen. Da wäre der FC Parma, Uefa-Cup-Sieger 1995 und 1999, Heimat von Trainern wie Carlo Ancelotti und Cesare Prandelli und Fußballern wie Fabio Cannavaro und Gianluigi Buffon. Der FC Parma hieß früher AC Parma und wurde gerade als Parma Calcio 1913 wieder gegründet, nachdem er im vergangenen Jahr in der Serie A mehr Präsidenten als Punkte geholt hatte. Dass die Fußballer ohne Bezahlung noch die Saison zu Ende spielten, rührte Italiens Fußballwelt, half ihnen aber nichts. Mit der Pleite kam der Zwangsabstieg.

Ähnlich erging es der Reggina, dem Klub der süditalienischen Stadt Reggio di Calabria, in dem einst ein gewisser Andrea Pirlo seine Karriere begann. Bei gutem Wetter kann man von Reggios Uferpromenade aus weit nach Sizilien herüberschauen, bis zum Ätna und der unterhalb des großen Vulkans liegenden Stadt Catania. Wie die Dinge liegen, könnte es in der nächsten Saison heiße Derbys geben zwischen Kalabrien und Sizilien, denn Reggio und Catania treffen sich in der Serie D. Wobei Catania gar nicht pleite ist, sondern die Zeche zahlt für die krummen Geschäfte seines Ex-Präsidenten Antonino Pulvirenti. Der bezahlte seine Kollegen und einige Spieler in der zweiten Liga dafür, dass sie Catania ein bisschen gewinnen ließen. Pech für Pulvirenti: Die Sache flog auf. Und Catania wird sehr wahrscheinlich mit Zwangsabstieg in die vierte Liga bestraft.

Die neue Liga-Hymne: "Schütze deine Seele, auf dass sie nicht der Verderbtheit anheimfalle."

Die Lage ist also wirklich hoffnungslos, aber deshalb noch lange nicht ernst. In den Stadien jener Profiklubs, die wunderbarerweise noch nicht pleitegegangen sind, wird mit Beginn der neuen Saison erstmals eine Hymne zu hören sein, die der Ligaverband in Auftrag gegeben hat. Der Song heißt "O Generosa" (Oh Großzügige) und soll melodisch die italienische Renaissance evozieren, in der ja angeblich die Medici schon den Fußball erfinden ließen. Wirklich interessant ist der Text - wenn man ihn denn versteht, ist er doch größtenteils lateinisch. Sensationell klingt vor allem diese Zeile: "Custodi animum tuum ut a corruptione abstineat." Schütze deine Seele, auf dass sie nicht der Verderbtheit und Bestechung anheimfalle.

Zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen liegt manchmal nur ein Halbton. Schon fordern die Tifosi die kostenlose Verteilung von Ohrstöpseln an den Stadiontoren. Wenigstens für die Klubs der ersten Ligen. Denn die Verderbten und Bestochenen in der Amateurliga werden wenigstens von dieser Hymne verschont.

Das Problem ist, dass die Serie D bereits aus allen Nähten platzt. So viele Pleiten großer Klubs erlebt der Calcio halt auch nicht alle Tage. Für einige Traditionsvereine ist die Zukunft vollkommen ungewiss, weil sich partout keine Investoren finden. Monza, Cuneo, Martina Franca könnten sich ganz auflösen. Gut, dass wenigstens Robur Siena, der Nachfolger des Pleiteklubs AC Siena, nach einem Jahr im Fegefeuer der Amateure wieder in die dritte Liga aufsteigt. Alle anderen bereiten hektisch ihre Unterlagen für den 4. August vor, wenn in der Serie D die Lizenzen vergeben werden. Wann in der überfüllten Amateurliga die Saison angepfiffen wird, steht noch in den Sternen. Aber wahrscheinlich hat Venezia-Präsident James Daniels noch genügend Zeit, sein Stadion für die Landsleute aus Amerika aufzumöbeln. Und vielleicht reicht es ja auch noch für den Bootsführerschein.

© SZ vom 31.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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