Italien:Das Boot wartet in Viareggio

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Italiens Trainer Marcello Lippi fühlt sich attackiert wie noch nie, aber er hat einen Plan: Wegfahren, nur weg.

Birgit Schönau

Im Fernsehen konnte man sehen, wie Lippi seinen Kaugummi aufblies. Es waren keine besonders gelungenen Blasen, sie wurden nicht sehr groß und hielten nicht sehr lange. Rauchkringel wären besser gekommen. Aber Lippi darf ja auf der Bank nicht mehr Zigarre rauchen.

Italiens Trainer Marcello Lippi lächelt nach dem Sieg gegen Australien (Foto: Foto: AFP)

Damit fängt es schon mal an. Lippi und die Zigarre, dieses Bild vermittelte erfolgsgewohnte Lässigkeit. Lippi und der Kaugummi, das riecht nach Therapie. Auch so kann man Männer entwaffnen. Lippi fühlt sich nicht nur entwaffnet. Lippi fühlt sich zutiefst unwohl.

Eine Maske der Anspannung war sein Gesicht beim zähen Achtelfinale gegen Australien. Und als dann die Erlösung kam, mit Tottis Elfmeter in der Nachspielzeit, da brauchte der Commissario Tecnico Sekunden, um sich aus seiner Erstarrung zu lösen.

Alle waren schon aufgesprungen, die meisten waren schon losgelaufen zum Torschützen, da stand Lippi noch reglos da, das Gesicht noch vereist. Erst dann gab er sich einen Ruck und versuchte, in das Knäuel der Jubelnden zu stoßen. Er schaffte es nicht mehr ganz hinein, er blieb außen vor.

Nachher wirkte Lippi gelöster. "Ich freue mich unbeschreiblich, ich bin wirklich glücklich." Nein, er sei noch nicht verzweifelt gewesen nach dem Platzverweis gegen Marco Materazzi, nein, er habe sich noch nicht draußen gesehen aus dem Turnier nach torlosen 90 Minuten, "es hätte ja noch die Verlängerung gegeben und dann eventuell die Elfmeter". Die Italiener sind Meister im Leiden.

Für ihren Trainer ist die Weltmeisterschaft dennoch eine Härteprüfung. Am Sonntag, bei seinem Wutausbruch vor den Journalisten, entschlüpfte ihm dieser Satz: "Es dauert sowieso nicht mehr lange."

Hingemurmelt nach einer furiosen Anklage: "Ich gebe euch die Aufstellung nicht vorher, weil ich meinen Gegnern keinen Gefallen tun will, nicht um euch das Leben schwer zu machen. Aber ihr versteht das nicht und manche von euch rufen mich jeden Abend im Hotel an, um was Neues zu erfahren. Bitteschön, lasst uns Scheißkerle sein, ich dann aber auch."

Lippis Vorbild ist Enzo Bearzot, der Weltmeistertrainer von 1982. Bearzot durfte noch rauchen, auf der Bank; und ein silenzio stampa verhängen, die Totalverweigerung gegenüber der Presse. Als Lippi noch Trainer bei Juventus Turin war, war das Silenzio stampa ein Mittel, um sich lästige Journalisten vom Hals zu halten.

Besonders vor wichtigen Spielen. Lippi ist zwar kein Schweiger wie Bearzot. Er erzählt gern und redet dabei wie gedruckt. Niemand spricht so perfekt Italienisch wie er, ohne die klitzekleinste Färbung eines Dialekts. Die Sprache eines zutiefst kontrollierten Mannes.

Lippi gehört zu der Spezies Trainer, die glauben, ihre Arbeit getan zu haben, wenn sie die Mannschaft ordentlich aufstellen und ein positives Resultat einfahren. Italien war Gruppenerster und hat sich soeben für das Viertelfinale qualifiziert. Dort treffen die Azzurri auf die Ukraine, eine glückliche Fügung.

Seit 21 Spielen ist Lippis Team ungeschlagen, das hatte früher nur der legendäre Vittorio Pozzo geschafft, in den dreißiger Jahren. Wen interessiert da, ob man Totti als hängende Spitze schickt oder DelPiero? Wieso über alles reden?

Wenn Lippi zu Hause im toskanischen Viareggio Fußballspiele im Fernsehen sieht, will er dabei keine Gesellschaft: "Es gefällt mir nicht, Leute um mich zu haben, die dauernd quatschen und kommentieren. Hast du den gesehen?! Diese Flanke? Den Schuss?! Nein, danke, ich will meine Ruhe."

Vor der WM ging es ja noch. Er hatte die Mannschaft revolutioniert, Leute aus der Provinz geholt, junge Offensive, man spürte einen neuen Teamgeist, eine neue Spielfreude. Es war, als hätte sich Italien vor dem Druck befreit, nicht unbedingt besser sein zu müssen als die anderen, aber auf jeden Fall schlauer.

Die Squadra Azzurra spielte wie Klinsmanns Team jetzt bei der WM spielt, und als sie die Deutschen im April in Florenz so locker und fröhlich 4:1 überrannte, da glaubten alle, jetzt würde sie Weltmeister. Vielleicht hat es Lippi da auch geglaubt.

Es kamen dann aber der Skandal, die Anschuldigungen gegen seinen Sohn, die Verdächtigungen gegen ihn selbst, den ehemaligen Juve-Coach und Moggi-Subalternen, es kamen die Fragen besonders der ausländischen Journalisten, die auch jetzt noch nicht aufhören.

Und Lippi nimmt das alles nicht locker. Nichts verletzt ihn mehr als die Skepsis in den Augen der anderen. Dass man ihn examiniert, ihn sogar nach seinem Seelenzustand fragt. "Was machen wir hier? Eine Wettervorhersage der Gefühle?", hat er vor dem Spiel gegen Australien gehöhnt.

Sollen sie doch auf gut toskanisch zum Teufel gehen, diese Hobby-Psychologen, Fußball ist ein Männersport und die Gefühle bewahrt er sich für seinen Enkel auf. Einer wie er will kein Verständnis, sondern Respekt, vor allem aber will er Distanz.

Abends im Hotel anrufen, wo kommen wir denn da hin? Dieses elende Gequatsche und Gestichel und Gefeilsche! Lippi fühlt sich getrieben und gejagt und attackiert wie noch nie, ausgerechnet jetzt, da er seine Karriere erfüllen wollte.

Vorher hatte er noch gesagt: "Ich fühle mich nicht mehr so unter Druck wie damals bei Juventus, als wir alle drei Tage spielten und immer Höchstleistungen bringen mussten." Als Nationaltrainer gäbe es ja nur diese wenigen, harten Wochen - sicher "härter als früher in den härtesten Zeiten. Ich denke aber, wenn der Stress am größten ist: Bald ist es ja wieder vorbei."

Bald ist es vorbei. Dann geht es auf das Boot, denn "das Boot wartet auf mich in Viareggio". Wegfahren, nur weg, auf dem Meer ist man endlich allein. Allein mit dem Wind und der Zigarre, die Trophäen bleiben sowieso an Land.

Obwohl - es wäre schon nicht schlecht, wenn die Leute sagen müssten: "Sympathisch war er nicht, der Lippi. Ein Entertainer wollte er nie werden. Aber er hat uns bis ins Finale gelitten."

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