Interview mit Hans-Peter Briegel:"Vielleicht hol' ich Burruchaga irgendwann noch ein"

Lesezeit: 4 min

Der ehemalige Nationalspieler Hans-Peter Briegel über die letzte große Niederlage gegen Argentinien - und was die aktuelle deutsche Elf daraus lernen kann.

Interview: Christof Kneer

SZ: Herr Briegel, haben Sie Lust, über das Tor zum 3:2 zu reden?

Das entscheidende Tor im WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien: Der deutsche Torhüter Schumacher stürzt aus seinem Gehäuse, aber der von Abwehrspieler Hans-Peter Briegel bedrängte argentinische Stürmer Burruchaga zieht vorbei und erzielt den 3:2-Siegtreffer. (Foto: Foto: dpa)

Briegel: Ich weiß ja, dass es zu meinem Leben gehört. Ich sage mir immer, dass ich so wenigstens in Erinnerung bleibe.

SZ: Also: WM-Finale 1986, Deutschland gegen Argentinien, 83. Minute, es steht 2:2, aus dem Mittelfeld kommt dieser geniale Pass von Maradona ...

Briegel: ... Moment, man muss zu diesem Pass doch mal eines sagen: Wenn ihn irgendein Spieler spielt, sagt man: Okay, guter Pass. Spielt ihn aber Maradona, sagt man: Der war genial!

SZ: Heißt das, Diego Maradona wird überhöht?

Briegel: Nein, natürlich war Maradona ein außergewöhnlicher Spieler und einer der besten der Welt, aber er hatte im Finale nicht seinen besten Tag. Und dieser Pass war doch auch nicht so schwer. Den hätte ich auch spielen können.

SZ: Nur nicht in dieser Situation, Sie sind ja Burruchaga hinterhergerannt.

Briegel: Ja, vielen Dank, dass Sie mich daran erinnern.

SZ: Burruchaga hat das 3:2 gemacht, Deutschland hat das Finale verloren. Mit Ihrer Person und mit der von Torwart Schumacher verbindet sich die letzte große Niederlage gegen Argentinien. Haben Sie wenigstens ein schlechtes Gewissen?

Briegel: Ich habe alles versucht, aber am Ende hat ein Meter gefehlt. Viele haben mich gefragt, warum bist du da nicht reingegrätscht, aber ich konnte einfach nicht mehr. In der Situation hätt' ich ihn ja gerne umgehauen, aber ich hab's einfach nicht mehr geschafft. Aber manchmal denke ich: Vielleicht hol' ich den Burruchaga irgendwann noch ein.

SZ: Kann die aktuelle deutsche Nationalmannschaft etwas lernen aus dem Spiel von damals?

Briegel: Es ist natürlich schwer, das zu vergleichen, der Fußball hat sich ja völlig verändert. Aber eines kann man auf jeden Fall sagen: Man hat damals gesehen, wie gefährlich es sein kann, sich von der Euphorie mitreißen zu lassen. Wir hatten von 0:2 auf 2:2 aufgeholt, und da muss man normalerweise doch erst mal sagen: So, jetzt retten wir uns in die Verlängerung. Aber wir sind alle nach vorne gelaufen, wir haben gedacht, jetzt machen wir das 3:2. Das war einfach taktisch falsch.

SZ: Jürgen Klinsmanns Elf lebt auch sehr stark von der Euphorie.

Briegel: Ja, eben, da wird sie aufpassen müssen. Aber man muss auch sagen, dass bei uns damals ein bisschen das Denken ausgesetzt hat. Es war das siebte Spiel im Turnier, Mexiko-City, 2500 Meter Höhe, zwölf Uhr mittags. Wir waren ziemlich müde und leer im Kopf, und dann passiert so was halt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der aktuellen Mannschaft das passiert. Ich glaube, dass sie eine bessere Vorbereitung hatte als alle anderen und dass sie deshalb auch viel fitter ist. Ist ja auch kein Wunder, die haben ja mindestens acht Trainer. Oder siebeneinhalb, wenn man den Psychologen wegrechnet.

SZ: Würden Sie als Athlet und Sprinter nicht gerne auch noch mal mitspielen in einer Mannschaft, die sich zu Euphorie, Fitness und Tempo bekennt?

Briegel: Ich habe mir vor kurzem noch mal das WM-Halbfinale Deutschland gegen Frankreich von 1982 angeschaut, und soll ich Ihnen was sagen: Das hat sogar schneller ausgesehen als der heutige Fußball! Aber das täuscht natürlich: Damals gab's noch einen Libero, da waren die Räume im Mittelfeld noch nicht so eng, deswegen konnte man da spektakulärer durchpreschen.

SZ: Die aktuelle argentinische Elf ist berühmt dafür, dass sie die Räume besonders perfekt eng machen kann, sie ist listig und taktisch versiert. Ist sie nicht ein besonders schwieriger Gegner für eine Euphorie-Mannschaft wie Deutschland?

Briegel: Ja, das waren sie ja immer. Ich glaube, dass das eine Konstante im argentinischen Fußball ist: Sie spielen sehr europäisch, viel europäischer als die anderen Südamerikaner. Das war 1986 so, trotz eines überragenden Maradona, das war im WM-Finale 1990 erst recht so, das war ja ein ganz schlechtes Endspiel mit ganz wenigen Torchancen, und die Argentinier haben eigentlich nur zerstört. Gerade defensiv haben die ja immer ganz anders gespielt als zum Beispiel die Brasilianer, da gab's schon mal den einen oder anderen Platzverweis. Ich glaube nicht, dass die besonders Druck machen werden am Freitag. Die spielen ja nicht mit fünf Offensiven wie die Brasilianer. Die werden Deutschland kommen lassen und versuchen, schnell umzuschalten. Das ist sicher ein sehr unangenehmer Gegner.

SZ: Sie reden über Argentinien, als sei das Ecuador. Dabei gilt die Mannschaft neben als Brasilien als Topfavorit.

Briegel: Ich sehe sie nicht so stark. Beim Confed-Cup vor einem Jahr wurden sie sehr gelobt, aber mir haben sie nicht so gefallen, das Finale gegen Brasilien hätten sie auch 0:7 verlieren können.

SZ: Damals, 1986, war das noch ein Spiel nach dem alten Muster: die so genannten deutschen Panzer, mit fünf Vorstoppern im Kader, gegen die argentinischen Ballkünstler um Maradona. Haben sich die Klischees verändert?

Briegel: Ja, eindeutig, zum ersten Mal seit langem. Ich finde, dass die deutsche Mannschaft bislang den schönsten Fußball bei dieser WM spielt, aber man darf nicht vergessen, dass die Mannschaft dank der Euphorie manchmal besser spielt, als sie wirklich ist.

SZ: Ist es heute leichter, die Argentinier zu schlagen als damals?

Briegel: Zunächst mal bezweifle ich, dass die aktuelle argentinische Elf besser sein soll als die von damals. Das wird oft behauptet, weil die Mannschaft von damals immer nur auf Maradona reduziert wird. Man darf aber nicht vergessen, dass das ein Team war, das durchs gesamte Turnier hervorragend harmoniert hat, das waren erfahrene Burschen mit einer Superabwehr. Außerdem fühlen sich Südamerikaner bei einem Turnier in Mexiko viel wohler als in Deutschland, die laufen da ganz anders auf.

SZ: Also ist es heute leichter?

Briegel: Wenn die Euphorie erhalten bleibt und man gleichzeitig nicht in Konter läuft: ja. Dann glaube ich, dass der Fitnessvorsprung sich auswirken wird. Allerdings würde ich gerne mal Tevez und Messi von Anfang an sehen. Wie unsere langen Kerls in der Abwehr gegen die aussehen würden, das wäre sehr interessant.

SZ: Haben Sie auch schon einen neuen Burruchaga entdeckt?

Briegel: Das nicht, aber der Riquelme gefällt mir sehr gut. Der ist, wenn Sie so wollen, eine Mischung aus Maradona und Burruchaga. Er ist nicht so spektakulär wie Maradona, aber er ist auch kein Arbeiter wie Burruchaga. Ich würde sagen, er ist ein sachlicher Spielmacher. Der spielt geradlinig und ohne Schnörkel und kann ein Spiel lesen.

SZ: Er ist also der ideale Mann, um einen Pass zu spielen wie Maradona im 1986er-Finale.

Briegel: Leider ja.

© SZ vom 29.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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