Interview:"Unser Erfolg hat nichts mit Euphorie zu tun"

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Erklärungsversuche eines Aufsteigers: Uwe Rapolder, Trainer des Überraschungsteams Arminia Bielefeld, über seine Pappenheimer, Mentalverträge und Ballzirkulation.

Von Christoph Biermann

Trainer Uwe Rapolder, 46, ist mit Arminia Bielefeld der zur Zeit beste Aufsteiger in der Fußball-Bundesliga. Seinen Erfolg begründet Rapolder unter anderem mit neuen theoretischen Konzepten und konsequenter Teamarbeit. Ein Gespräch über Bergspezialisten des Fußballs, Mentalverträge mit Spielern und die Korrektur seiner persönlichen Geschichte.

Er liebt nicht nur die Theorie - er kennt auch seine "Pappenheimer": Uwe Rapolder. (Foto: Foto: AP)

SZ: Vor sieben Jahren haben Sie ein Essay über den AC Mailand geschrieben und über dessen Coach Arrigo Sacchi gesagt: "Er liebt die Theorie als Mutter der Praxis." Gilt das für Sie auch?

Rapolder: Ja, denn es gibt keine Praxis ohne funktionierende Grundlage. Theorie ist in meiner praktischen Arbeit wichtig, wenn ich den Spielern etwas an die Tafel male, damit sie ihre Aufgaben visualisieren können. Komme ich neu zu einer Mannschaft, wie im Frühjahr in Bielefeld, zeige ich in den ersten Wochen so lange jede Übung erst an der Tafel und dann auf dem Platz, bis sie sitzen. Kommen neue Spieler, wird das wiederholt.

SZ: Bringt diese Schulung etwas?

Rapolder: Es steigert die Bereitschaft der Spieler enorm, wenn sie genau erklärt bekommen, wie ihnen eine Übung im Training am Samstag beim Spiel helfen wird. Man kann heute nicht mehr den Ball hinwerfen und sagen: Spielt mal!

SZ: Sie haben 1988 als Spieler bei den Young Boys Bern unter dem schwedischen Trainer Tord Grip, heute Assistent von Sven-Göran Eriksson beim englischen Nationalteam, offenbar ein Erweckungserlebnis gehabt, was konzeptionelles Arbeiten betrifft.

Rapolder: Ich habe mich dort jedenfalls auf neue Art als Teil einer Mannschaft gefühlt. Es war ein Fußball, der von der Spezialisierung wegging und bei dem Werte wie Solidarität und Loyalität groß geschrieben wurden.

SZ: Sie kommen doch aus dem Land, das dem Mannschaftsgedanken seit Sepp Herberger höchsten Rang einräumt.

Rapolder: Aber im deutschen Fußball waren Teams traditionell ähnlich denen beim Radfahren: Man hat einen Star und dessen - im wahrsten Sinne des Wortes - Wasserträger, es gibt Bergspezialisten und Sprinter. Im Fußball hatte man den im Raum orientierten Libero und die beiden mannorientierten Innenverteidiger. Vor der Abwehr gab es Staubsauger, die dem Mittelfeldstar den Rücken freigehalten haben. Diese Spezialisierung hat sich in den letzten zehn Jahren zu Gunsten einer Generalisierung aufgelöst, denn ein Stürmer muss Defensivarbeit verrichten und umgekehrt. Daher ist es ganz wichtig, dass systemorientiert trainiert wird.

SZ: Verfolgen sie dabei ein "Antistar-Konzept"?

Rapolder: Nein, erst kommt zwar das Team, aber aus Konzeptfußball kann durchaus ein Star erwachsen. Bei uns in Bielefeld kann man Delron Buckley fast schon so bezeichnen, aber er hat weiterhin eine große Bereitschaft, für die Mannschaft zu arbeiten.

SZ: Sehen sie Ihrer Arbeitsweise geistesverwandte Trainer in der Bundesliga?

Rapolder: Selbstverständlich, Jürgen Klopp und Ralf Rangnick arbeiten ganz ähnlich. Volker Finke in Freiburg setzt mehr auf Flexibilität, während unser 4-4-2-System eine relativ feste Ordnung verlangt. Es ist ein System zum Forechecking und Pressing, das den Gegner vom Tor weghalten will. Wir haben mit der Arminia nämlich nicht deshalb relativ wenig Gegentore bekommen, weil unsere Verteidiger so gut sind, sondern weil wir den Gegner schon früh stören.

SZ: Und dann kontern.

Rapolder: Ja. Es gab vor einigen Jahren eine große Untersuchung, bei der Hunderte von Spielen ausgewertet wurden. Demnach fallen 80 Prozent aller Tore nach spätestens fünf Pässen. Lange Ballzirkulation ist nicht effizient, daher finde ich es auch richtig, dass Jogi Löw in der Nationalmannschaft predigt, schnell in die Spitze zu spielen.

SZ: Sie machen es sich offensichtlich zur Gewohnheit, die neue Führung der Nationalmannschaft zu loben.

Rapolder: Ja, weil Klinsmann, Löw und Bierhoff fast schon eine Ideallösung sind. Sie stehen für einen Wandel im Fußball, von dem ich persönlich ebenfalls profitiere. 1998 hatte ich als Trainer bei Waldhof Mannheim wegen der Viererkette noch richtig Stress. Roland Dickgießer kam vom DFB zurück und sagte: "Da lachen alle über die Viererkette."

SZ: Hat Ihre Neubewertung als Trainer mit diesem veränderten Umfeld zu tun, so eine gute Presse hatten Sie nie?

Rapolder: Was ich heute über Fußball sage, habe ich vor zehn Jahren auch schon gesagt, und Kritik an mir war meist eher persönlich als fachlich. Das ergab sich in Mannheim vor allem aus meiner Doppelfunktion Trainer/Manager, wo ich die Ellenbogen ausfahren musste. Zudem war der Klub zutiefst gespalten, obwohl er innerhalb von vier Jahren von der dritten Liga bis fast in die erste gehievt wurde. Heute bin ich froh, dass ich viele Fehler schon gemacht habe.

SZ: Sie haben neulich beim von Journalisten viel genutzten Nachschlagewerk "Munzinger-Archiv" angerufen, das Sie als "eine Art Dr. Jekyll und Mister Hyde der perversesten Art" beschreibt. Wollen Sie Ihre Geschichte umschreiben lassen?

Rapolder: Nein, aber da stimmte einiges erwiesener Maßen nicht und wurde trotzdem immer wiederholt. So ein Unhold, wie es dort stand, bin ich jedenfalls nicht.

SZ: Darf man denn weiter behaupten, dass Sie mit ihren Spielern "Mentalverträge" schließen?

Rapolder: Ja, in Bielefeld werde ich dieser Tage den ersten abschließen. Dazu setze ich mich mit betreffendem Spieler hin und bespreche mit ihm, wie er sich sieht und wie ich ihn sehe. Das geht von spielerischen Fähigkeiten über Charaktereigenschaften bis zu sozialer Kompetenz innerhalb der Mannschaft.

Wo wir Defizite ausmachen, setzen wir uns Ziele, legen fest, wie wir sie erreichen wollen und unterschreiben dann beide. Damit steht der Spieler für sich in der Verantwortung, aber auch ich für ihn. Das ist gut für Profis, die mental nicht so stabil oder mit ihrer Situation unzufrieden sind.

SZ: Für Vatmir Vata gilt das nicht, er spricht schon vom Uefa-Cup. Sorgt Sie das?

Rapolder: Ach, ich kenn doch meine Pappenheimer. Da wird geredet, was ihnen in den Sinn kommt. Ich selbst werde auch schauen müssen, dass ich meiner Mannschaft kein Alibi gebe, wenn wir zu lange an der Zielsetzung von 40 Punkten gegen den Abstieg festhalten. Es darf keine Stimmung aufkommen, dass man die fehlenden Punkte noch eben so holen kann. Der Ehrgeiz muss bleiben, aber darüber wird erst in der Winterpause entschieden.

SZ: Sehen Sie andere Gefahren für Ihr Team?

Rapolder: Nein, denn unser Erfolg hat nichts mit Euphorie zu tun. Auf- und Abstieg sind in Bielefeld fast Routine, und nach vier Spielen hatten wir gerade mal zwei Punkte. Wir haben uns das Stück für Stück erarbeitet, denn unsere Idee vom Spiel ist in der Mannschaft tief verwurzelt.

© SZ vom 26.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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