Interview:"So kann es nicht weitergehen"

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Gerhard Berger, ehemaliger Rennfahrer und BMW-Motorsportdirektor, über den Technik-Fetischismus der Formel 1, fehlende Überholmanöver und Michael Schumachers Aussetzer.

Interview: René Hofmann

SZ: Wie hat Ihnen der Formel-1- Auftakt gefallen?

"Michael hätte Nick Raum zum Bremsen geben müssen." (Foto: Foto: AP)

Gerhard Berger: Ganz gut. Es war ein interessantes Rennen mit einem sympathischen Sieger: Giancarlo Fisichella. Ich finde, Renault ist ein tolles Team. Die bringen viel Farbe ins Spiel. Die Auftritte von Teamchef Flavio Briatore wären ohne gute Ergebnisse sicher fragwürdig, aber mit der Leistung finde ich: Das ist bunt, das ist Formel 1, das passt.

SZ: In Deutschland sorgte eine Aktion für Aufsehen: Michael Schumachers Kollision mit Nick Heidfeld. Wer war Schuld?

Berger: Michael. Er hätte Nick wenigstens den Raum zum Bremsen geben müssen. Er hat ihm keine Chance gelassen.

SZ: Registriert ein Rennfahrer in dem Moment, wen er neben sich hat?

Berger: Schon, aber das ist egal. Ich glaube, Michael Schumacher hätte bei jedem anderen genauso gehandelt. In dem Moment ging es ihm darum, seinen Platz zu verteidigen. Bis aufs Letzte. Dabei hat er den Bogen ein bisschen überspannt.

SZ: Nicht zum ersten Mal. Seit er seinen siebten WM-Titel einfuhr, zeigt er eine erstaunliche Fehlerkette. In China drehte er sich im vergangenen Jahr im Qualifying und im Rennen, in Brasilien wurde er von Startplatz 18 aus Siebter. Jetzt wieder ein Patzer.

Berger: Michael ist auch nur ein Mensch. Er macht auch seine Fehler, die hat er immer gemacht. Aber zum richtigen Zeitpunkt macht er dann doch immer wieder das Richtige.

SZ: Sie rechnen mit ihm?

Berger: Ich glaube, in diesem Jahr wird die Entscheidung zwischen drei Teams fallen: Ferrari, Renault und McLaren-Mercedes. Juan Pablo Montoya und Kimi Räikkönen haben sich als Sechster und Achter in Melbourne unter Wert verkauft. Hinter der Gruppe Ferrari, Renault, McLaren rangieren Williams-BMW, BAR-Honda und Red Bull, das die große Überraschung des ersten Rennens war. Enttäuscht haben mich Toyota und Sauber.

SZ: Die ersten zehn blieben in Melbourne am Ende innerhalb einer Runde. Im vergangenen Jahr gab es an gleicher Stelle lediglich sieben Fahrer, die nicht überrundet wurden. Haben Sie eine Erklärung für die neue Ausgeglichenheit?

Berger: Ich vermute, sie ist auf das neue Reifenreglement zurückzuführen. Weil Reifenwechsel verboten sind, werden härtere Gummimischungen verwendet. Wahrscheinlich übertragen die die Qualitäten des Chassis nicht mehr so direkt auf die Strecke. Der härtere Reifen scheint als Gleichmacher zu wirken. Das kann sich aber im Laufe der Saison wieder ändern.

SZ: 20 Fahrer, 57 Runden, ein Überholmanöver - packender ist das Spektakel deshalb aber nicht geworden.

2002 hat sich Gerhard Berger aus der Formel 1 zurückgezogen. (Foto: Foto: dpa)

Berger: Stimmt. Die Überholmanöver fehlen, weil kein Windschattenfahren möglich ist. Dieses Problem muss der Automobilweltverband Fia lösen. So kann es nicht weitergehen.

SZ: Wieso ist das Überholen so schwer geworden?

Berger: Die Autos sind in den vergangenen Jahren durch die vielen Windkanal-Tests extrem effizient geworden. Effizient heißt: Der Abtrieb, der für schnelle Rundenzeiten nötig ist, wird überwiegend unterhalb des Autos kreiert - über die Form der Bodenplatte und viele kleine Seitenflügel. Die sorgen dafür, dass die Autos heute sehr viel Abtrieb erzeugen, aber nur noch sehr wenig Windwiderstand. Die Autos schieben nur noch wenig Luft vor sich her, hinter ihnen entsteht kaum mehr ein Sog.

Früher hat diese Sogwirkung dafür gesorgt, dass die Verfolger richtiggehend angezogen wurden und auf der Gerade aufgrund des Geschwindigkeitsüberschusses leicht vorbeigekommen sind. Heute musst du erst einmal ganz nahe zum Vordermann aufschließen, bist du einen Sog spürst. In dem Moment ist die Gerade meistens schon zu Ende.

SZ: Vor der Saison hat es neue Aerodynamik-Vorschriften gegeben, die den Abtrieb um ungefähr 20 Prozent reduzieren sollten. Warum ändern die nichts an dem Dilemma?

Berger: Es wurde zwar der Abtrieb reduziert, nicht aber der Weg, wie dieser produziert wird. Um die Kurvengeschwindigkeiten einzubremsen, hat der Automobil-Weltverband in den vergangenen Jahren immer kleinere Flügel vorgeschrieben. Das hat dazu geführt, dass die Aerodynamiker sich immer mehr auf den Unterboden konzentriert haben. Man müsste grundsätzlich umdenken, die Aerodynamik an der Unterseite der Autos beschneiden und wieder größere Flügel verordnen. Dann schieben die Autos wieder mehr Luft vor sich her. Das erzeugt einen Windschatten, und der bietet die Möglichkeit zum Überholen.

SZ: Die neuen Regeln sollten die Wagen zügeln. Im vergangenen Jahr fuhr Michael Schumacher in Melbourne mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 219 km/h zum Sieg. Giancarlo Fisichella kam dieses Mal auf 215,16 km/h. Ein wenig signifikanter Rückschritt?

Berger: Die Autos sind schon wieder näher an den alten Rundenzeiten, als man das erwarten konnte. Das zeigt, dass die Schritte der Fia absolut notwendig waren. Die Entwicklung verläuft so rasant, dass man mit dem Einbremsen kaum mehr nachkommt.

SZ: Alle Teams zusammen haben im Winter 176 427 Kilometer getestet - drei Prozent mehr als im Vorjahr...

Berger: Das Testen ist ein Kostenfaktor, der speziell die Privatteams ans Limit treibt. Es gibt viele Bestrebungen, das zu ändern. Diskutiert wird, die Zahl der Testtage zu beschränken, die Zahl der Teststrecken, oder die Zahl der Testkilometer. Ich warne davor: Das ist der falsche Weg. Die Tests sind ein elementarer Teil des Motorsports.

Junge Fahrer müssen Strecken kennen lernen dürfen, sie müssen sich fahrerisch weiterentwickeln können. Es ist doch absurd, ein Auto nicht fahren zu lassen, weil das zu teuer ist. Für mich liegt der Schlüssel für das Problem in den Kosten pro Kilometer. Die müssen runter - so weit, dass es sich auch kleine Teams wieder leisten können.

SZ: Wie soll das funktionieren?

Berger: Es gibt erste Schritte in die richtige Richtung. Wenn ein Motor zwei Rennen lang halten muss, sind weit weniger Motoren nötig. Wenn ich in einem Rennen statt drei Satz Reifen nur noch einen benutzen darf, muss ich zwei weniger herstellen. Auch für das Getriebe und viele andere Teile könnte man längere Laufzeiten vorschreiben.

SZ: Dagegen argumentieren die Techniker stets mit den gewaltigen Kosten, die Neuentwicklungen verursachen.

Berger: Die hat man. Einmal. Das Problem ist ein grundsätzliches: Techniker denken einfach andersrum. Für die ist es reizvoll, das technische Potenzial immer bis ins Letzte auszunutzen. Das kostet Geld. Das kann ein Privatier wie der Schweizer Peter Sauber am Markt aber nicht mehr auftreiben. Die großen Autohersteller tun sich da leichter. Sie haben viele Resourcen in ihren Konzernen.

SZ: Beim Auftaktrennen gab es lediglich einen technisch bedingten Ausfall. Am Minardi von Christijan Albers streikte in Runde 17 das Getriebe. Deutet die Quote einen Trend an?

Berger: Schon in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die Simulationen und Tests dafür sorgen, dass die Autos vom ersten Rennen an stabil sind. Und jetzt, da die Motoren für zwei Grand-Prix-Wochenenden ausgelegt sind, wäre es schon sehr verwunderlich gewesen, wenn gleich im ersten Rennen vielen die Luft ausgeht. Ich rechne aber damit, dass in zwei Wochen in Malaysia der eine oder andere ein Problem bekommt.

SZ: Verbot von Traktionskontrolle, Start- und Schaltautomatik - in den vergangenen Jahren hat es viele Versuche gegeben, die Bedeutung der Technik zu beschneiden. Im Moment drängt sich der Eindruck auf: Sie wird immer noch wichtiger.

Berger: Es gibt zwei gegenläufige Strömungen, was damit zusammenhängt, dass sich gerade so viele Autokonzerne in der Formel 1 tummeln. Für die Hersteller ist die Technik das Nonplusultra an der Serie. Auf der anderen Seite stehen die Fans, die sich lediglich für einige technische Daten interessieren: PS-Zahl und Höchstgeschwindigkeit zum Beispiel. Ob eine Stahl- oder eine Karbonbremse eingesetzt wird, ob ein automatisches, ein sequentielles oder ein normales Schaltgetriebe in den Autos steckt, interessiert kaum einen.

Der Großteil der Zuschauer will spannende Rennen mit vielen Überholmanövern sehen und die Frage beantwortet bekommen: Wer ist der beste Fahrer? Der Star ist der Fahrer. Es gibt ein einziges Rennen, bei dem das anders ist: die 24 Stunden von Le Mans. Dort stehen die Autos im Mittelpunkt.

SZ: Sind heute andere Typen erfolgreich als zu ihrer aktiven Zeit?

Berger: Als ich angefangen habe, sind wir den Monte-Carlo-Grand-Prix zu 70Prozent mit einer Hand gefahren. Die andere war am Schalthebel. Wir hatten Autos mit Turbo-Motoren. Die Räder haben ständig durchgedreht, in jeder Kurve ist das Auto quergestanden und du musstest gegenlenken.

Mit einer Hand! Ohne Servolenkung! Das war eine andere Arbeitsweise. Aber Michael Schumacher hätte das auch damals am besten hinbekommen. Er hätte sogar einen größeren Vorsprung auf seinen Teamkollegen herausgefahren als er das heute schafft. Die technischen Hilfsmittel nehmen dem Fahrer viele Gebiete, wo er früher mit seinem Talent glänzen konnte.

SZ: Nach eineinhalb Stunden steigen die Piloten scheinbar entspannt aus ihren Autos. Wie viel nimmt das der Formel 1 von ihrem Nimbus?

Berger: Schwer zu sagen. Die Entwicklung bei den Straßenfahrzeugen geht ja in die gleiche Richtung. Ein normales Auto ist heute vollgepumpt mit Elektronik, und es gibt eine sehr große Gruppe, die sagt: So möchte ich das haben. Wenn ich Gas gebe, regelt das die Elektronik.

Wenn es regnet und ich bremse, regelt das das ABS. Wenn ich ins Schleudern komme, bremst das ESP jedes Rad einzeln, bis ich nicht mehr schleudere. Der Fahrer soll nicht mehr viel falsch machen können. Das Auto soll von alleine fahren. Viele finden das gut. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine kleine Gruppe, die sagt: Ich will das nicht. So geht der Spaß am Autofahren verloren. Ich will alles selbst in der Hand haben.

Diese Einstellung hat den Rennsport ursprünglich geprägt. Von Anfang an ging es bei dem um die Frage: Hier ist ein High-Tech-Gerät, wer kann das am besten beherrschen? Zwischen diesen beiden Strömungen gibt es einen grundsätzlichen Konflikt. Wahrscheinlich gibt es deshalb so unterschiedliche Diskussionen zu dem Thema.

© Süddeutsche Zeitung vom 7.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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