Interview mit Sportpolitiker Danckert:"Ich vermisse Aufklärung"

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Peter Danckert, Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, über Doppelzüngigkeit im Kampf gegen Doping, über die fragwürdige Rolle von DOSB-Chef Bach und olympischen Herausforderungen.

Interview: Thomas Kistner

SZ: Die Doping-Kronzeugen Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz beklagen Versuche des Rad-Weltverbandes UCI, ihre Wiedereinstellung bei den ProTour-Rennställen zu hintertreiben. Diese würden unter Druck gesetzt. Können Sie sich das vorstellen als Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag?

Vorkämpfer gegen Doping: Peter Danckert, Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, SPD. (Foto: Foto: AP)

Peter Danckert: Ich halte für denkbar, dass von ganz oben Einfluss genommen wird. Das entspricht ja dem Erscheinungsbild von UCI und anderen, die trotz gegenteiliger Erklärungen nicht wollen, dass Dopingsumpf und Vergangenheit aufgeklärt werden. Da greift man wohl auch zu so subtilen Mitteln.

SZ: Die UCI legte still beim Sportgerichtshof Cas Einspruch gegen Jaksches verkürzte Sperre ein. Ist das nicht schon der klare Beleg für ihre Ablehnung?

Danckert: Das verstehe ich nicht: Dass die UCI einerseits den österreichischen Verband auffordert, gegen Jaksche tätig zu werden, und sich dann mit der Kronzeugenregel nicht zufrieden geben will. Da wird die Doppelzüngigkeit einer solchen Einrichtung besonders deutlich.

SZ: Wenn die Verbände kein Interesse haben, ihre Dopingvergangenheit aufzuklären: Was könnte das Motiv sein?

Danckert: Das liegt ja auf der Hand. Könnte man heute den Sportlern zusagen, dass sie nur moderate Sanktionen zu fürchten haben, würde dies wohl viele zu einem Geständnis bewegen. Wenn Aussagen dann aber so honoriert werden wie bei Jaksche und Sinkewitz, haben diejenigen, die den Kampf gegen Doping proklamieren, daran kein wirkliches Interesse. Eine Kronzeugenregelung macht nur Sinn, wenn die Vergünstigungen wirken. Wenn ein Weltverband gegen eine moderate Entscheidung Rechtsmittel einlegt, zeigt das, dass er die Aufklärung verhindern will. Nichts anderes.

SZ: Welches Interesse gibt es, Aufklärung zu verhindern?

Danckert: Andere abzuschrecken, dem Beispiel der Kronzeugen zu folgen. Wenn viele Radprofis Angaben machen würden, dürfte deutlich werden, wie weit das Dopinggeflecht reicht. Vermutlich bis auf die Ebene von Funktionären.

SZ: Besagt nicht jede Logik, dass zumindest die Duldung durch Funktionäre vorliegen muss in so verseuchten Sparten wie dem Radsport?

Danckert: Ich glaube, kein Spitzenfunktionär, in welcher Sportart auch immer, ist hier blauäugig. Es mag unterschiedliche Ausformungen des Dopingsystems geben. Aber letztlich wissen sie alle davon und haben die Möglichkeit, an Aufklärung mitzuwirken. Diese aktive Aufklärung vermisse ich bei etlichen. Und das steht im Widerspruch zu all den Äußerungen gegen Doping. Diesen Widerspruch erkenne ich auch, wenn ich wegen meiner Forderung nach einer Amnestie und damit für einen wirklichen Neuanfang kritisiert werde. Neuanfang setzt die Kenntnis der Geschehensabläufe in der Vergangenheit voraus. Und wer diese Aufklärung verhindert und es nur auf Zufälle ankommen lässt, dass also hier mal ein Jaksche aussagt, dort mal ein Sinkewitz erwischt wird und gesteht, der fördert die Aufklärung nicht.

SZ: Die Funktionäre tun nichts und verweisen lieber auf ihr Dopingtestsystem, das erkennbar limitiert ist?

Danckert: Für die Defizite gibt es genug Beispiele, ich sage nur Marion Jones: 160 negative Dopingproben! Das muss jedem, der im Sport agiert, zu denken geben! Wie kann man noch darauf verweisen, dass die Zahl der Tests erhöht wird und wir nur eine kleine Quote von ein bis zwei Prozent Positivfälle haben? Diese Quote besagt gar nichts! Wer sich auf sie beruft, versucht, falsche Hinweise zu geben und ist nicht bereit, das Problem an der Wurzel zu packen.

SZ: Auf diese - seltsamerweise seit Jahrzehnten weltweit stabile - Quote beruft sich gern der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Thomas Bach attackiert zudem die Kronzeugen: Er spüre keine Einsicht in ihr Fehlverhalten. Finden Sie das akzeptabel?

Danckert: Als ich diese Formulierung hörte, wollte ich nicht glauben, dass sie von einem Juristen stammt. Einerseits ermuntern wir die Sportler, zu bekennen, und dann sagt Bach, er habe nicht das Gefühl, dass das ernst gemeint ist. Dabei liegen harte Fakten auf dem Tisch. Ich denke immer noch, dass es eine missverständliche Äußerung ist, die zitiert wurde.

SZ: Wohl kaum, tendenziell passt sie ins Bild. Bach hat sich ja sehr für Aldag und Zabel eingesetzt, die zwei wurden als Vorbilder gefeiert, obwohl sie nur etwas über ihr Treiben in verjährter Zeit erzählten. Zu den richtigen Kronzeugen aber gab es nie Annäherung, dabei hat Jaksche nicht mal einen Dopingbefund.

Stätte der Triumphe - Stätte des Betrugs? Das Olympiastadion in Peking. (Foto: Foto: dpa)

Danckert: Es ist in der Tat so, dass Jaksches Beitrag weit darüber hinausgeht, zumal er in die aktuelle Zeit reicht. Wenn man das nicht sieht und versucht, dies mit der Autorität des hohen Spitzenfunktionärs kleinzureden, gibt das ein schlechtes Bild. Auch für die Sponsoren - wie sollen die noch überzeugt werden, Zeichen zu setzen, indem sie Kronzeugen neue Verträge geben? Wenn sich hohe IOC-Funktionäre mit so subjektiven Bewertungen hervortun, ist das nicht hilfreich. Dabei finde ich interessant, dass es in den großen Interviews, die Jacques Rogge und Thomas Bach deutschen Zeitungen zum Jahresende gaben, deutliche Unterschiede in der Bewertung von Dopingvorgängen gibt. Auch was die Strafbarkeit für Sportler angeht: Da geht Rogge, der IOC-Präsident, weiter als Bach.

SZ: Rogge wünscht auch, dass Kronzeugen eine zweite Chance verdienen.

Danckert: Auch ein bemerkenswerter Gegensatz der zwei IOC-Spitzenleute. Rogge ist eindeutig dafür, während man in den Äußerungen von Bach eine so weite Position nicht entdecken kann.

SZ: Zugleich behauptet Bach, sein DOSB habe die Verschärfung des Dopinggesetzes 2007 maßgeblich betrieben und sei froh, dass er am Ende die Politik überzeugen konnte. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung der Abläufe?

Danckert: Ganz und gar nicht. Ich will das nicht rückblickend diskutieren, es würde nur Gräben aufreißen. Aber alle, die am Gesetz mitgewirkt haben, wissen, wer welche Rolle gespielt hat. Ich begrüße natürlich, dass am Tag, nachdem sich die Koalitionsparteien geeinigt hatten, der DOSB diese Position übernahm und als seine eigene bezeichnet hat.

SZ: Ist eine Verschärfung des Gesetzes nötig? Wenn man sieht, wie schwer sich BKA und Ermittlungsbehörden von Bonn bis Freiburg tun? Vernehmungen von Verdächtigen hat es kaum gegeben.

Danckert: Warten wir doch ab, was die Ermittlungen ergeben. Wir müssen aber unterscheiden zwischen Ermittlungsbehörden und Sportgerichtsbarkeit. Die Tätigkeit einer Staatsanwaltschaft oder Polizei vollzieht sich sehr subtil. Auch kann sich jeder, der im Verdacht steht, auf ein Aussage- und Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Im Sport ist es etwas anderes. Wenn ich an die Sanktionen denke, die gegen die österreichischen Wintersportler verhängt wurden nach Turin ...

SZ: ... verhängt unter dem IOC-Kommissionschef Bach ...

Danckert: ... ja, unter Leitung des damals neu gewählten IOC-Vizepräsidenten Bach. Ich begrüße diese Sanktionen, sage aber auch, dass die Anhaltspunkte, die Fakten, die wir in anderen Bereichen haben - ich denke an Jan Ullrich und andere Sportler - bei weitem für ähnliche Sanktionen ausreichen. Aber da sehe ich keine Handlung. Offensichtlich wird mit zweierlei Maß gemessen. Ich hoffe immer noch, dass die vielen Beteuerungen endlich umgesetzt werden. Ich vertraue insbesondere auf Rogge, den ich für einen hochintegeren Präsidenten halte.

SZ: Der olympische Sport steht in diesen Jahren auch vor der Entscheidung, ob die Richtung Rogge fortgesetzt wird oder die Richtung Bach.

Danckert: Ich kenne mich in den Internas nicht so aus. Aber in den jüngsten Interviews erkennt man deutliche Unterschiede. Das überrascht mich. Es ist in der Tat so, dass die Olympischen Spiele vor einer Herausforderung stehen, die noch nicht richtig erkannt wird. Man versucht, Erwartungen zu wecken, statt das Betrugsproblem anzugehen. Es muss eine gründliche Diskussion in unserer Gesellschaft geführt werden, wie wir den Leistungssport beurteilen, welche Anforderungen wir haben. Das ist nicht mit dem Wort Fairness zu erledigen.

SZ: Wie könnten sich Spitzenfunktionäre, die dieses autonome Sportsystem etabliert haben, echte Reformen leisten - ohne ihr Werk ad absurdum zu führen? Wer hat die politische Verantwortung für den verseuchten Spitzensport?

Danckert: Das hängt davon ab, inwieweit diejenigen, die Sie hier pauschal ansprechen, beteiligt waren. Unterstellt man, dass sie mehr wussten als sie bis heute berichtet haben, sind es wohl ungeeignete Personen. Wenn sie nichts wussten, kann man ihnen diese Aufgabe übertragen. Aber die ernsthafte Diskussion werden wir dieses Jahr führen müssen. Auch im Umfeld der Peking-Spiele, auf die ich mich sehr freue.

SZ: Ist nicht gerade wegen Peking die Gefahr groß, dass nationale Euphorie die Betrugszwänge wieder zudeckt - Hauptsache, viele Medaillen und Helden?

Danckert: Ich sehe diese Gefahr, dass diejenigen, die konsequent handeln wollen, in die Ecke gestellt und der Miesmacherei bezichtigt werden. Ich sehe aber auch, dass der Kreis derjenigen, die den Leistungssport skeptischer betrachten, wächst. Jedenfalls sind die Probleme stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen. Daran müssen wir arbeiten, auch wenn es Versuche geben wird, diese Aufklärungsarbeit zu diskreditieren. Ich glaube, dass sich der Sport nicht aus dieser schwierigen Lage befreien kann ohne eine intensive gesellschaftliche Debatte. Wenn wir diese Diskussion nicht führen, wird es weiter in die falsche Richtung gehen, trotz aller Euphorie, die von offizieller Seite verbreitet wird.

© SZ vom 05.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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