Interview mit Ljubomir Vranjes:"Handball ist ein bisschen wie Schach"

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Flensburgs Regisseur Ljubomir Vranjes über Härte, Gefühle und das Champions-League-Finale gegen Kiel.

Interview: Jörg Marwedel

Am Sonntag (17.30 Uhr/live bei Eurosport) kommt es zum Final-Rückspiel in der Handball-Champions-League zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt. Die erste Begegnung endete 28:28. Diesmal ist aber Flensburgs Spielmacher Ljubomir Vranjes, 33, wieder dabei, der im ersten Spiel gesperrt war.

Vranjes im schwedischen Nationaltrikot. (Foto: Foto: AP)

Vranjes ist mit 1,66 Meter der kleinste Weltklassespieler, er war schon Welt- und Europameister, hat 153 Länderspiele für Schweden absolviert. Er könnte Flensburg zum Titel verhelfen. Denn Kiels Regisseur Stefan Lövgren, der mit Vranjes einst im Nationalteam spielte, wird wegen einer Verletzung wohl fehlen.

SZ: Herr Vranjes, seit einem Jahr spielen Sie in Flensburg. Haben Sie inzwischen gemerkt, wie groß die Rivalität ist zwischen den schleswig-holsteinischen Klubs? Im Hinspiel wurde gar geprügelt.

Vranjes: Das habe ich schon im ersten Bundesliga-Spiel gemerkt, dass dort eine eigene Mentalität herrscht. Ich habe viele Freunde in Kiel, da sind ja viele Schweden. Aber wenn ich spiele, ist das egal. Ich brauche etwas Hass, und im Finale noch ein bisschen mehr.

SZ: In einem Fragebogen sagten Sie, Sie hätten gern einmal für Manchester United gespielt. Wäre Fußball bei Ihrer Größe nicht ohnehin der bessere Sport?

Vranjes: Vielleicht. Mit 16 Jahren habe ich beides gespielt. IFK Göteborg und ein weiterer Klub der ersten Liga wollten, dass ich für sie Fußball spiele. Sie sagten, dann müsse ich aufhören mit Handball. Das wollte ich nicht.

SZ: Kennen Sie einen Handballer, der ähnlich klein ist, oder sind Sie ein Fall für das Guiness-Buch der Rekorde?

Vranjes: Auf diesem Niveau kenne ich niemanden. Vielleicht ein paar Außenspieler, aber keine Rückraumspieler.

SZ: Handball ist eine der härtesten Mannschaftssportarten der Welt.

Vranjes: Ja, man bekommt einige Schläge, aber wenn man das vergleicht mit Fußball, Eishockey oder australischem Football, dann sind wir immer noch Gentlemen.

SZ: Wie können Sie es denn ausgleichen, dass andere bis zu 40 Zentimeter größer sind? Spielen Sie dem Kieler Xepkin mit seinen 2,05 Meter den Ball auch durch die Beine?

Vranjes: Ja, man kann alles mit ihm machen. Aber er ist ein guter Mensch. Wir haben so viele Spiele gegeneinander gespielt. Seit 1996 mit der Nationalmannschaft und in Spanien. Das ist natürlich kein Xepkin wie vor acht Jahren. Er ist fast 42. Aber er war einer der besten Abwehrspieler der Welt. Die Kondition ist nicht mehr so da, aber der Kopf.

SZ: Sie haben auch in Spanien gespielt. War das nicht der beste Handball für Sie?

Vranjes: Ja, da gibt es mehr technische, auch kleinere Spieler. Sie suchen mehr einen Kopf als einen Werfer in der Mitte. Eigentlich für mich perfekt, ich habe mich sehr wohl dort gefühlt.

SZ: Und sind trotzdem vor sieben Jahren nach Nordhorn gegangen.

Vranjes: Ja, da waren der Trainer Kent-Harry Andersson und viele Schweden. Und ich brauche mehr Gefühl, mehr Stimmung im Spiel. Viele Zuschauer gibt es nur in Deutschland. In Spanien habe ich oft vor nur 600 Leuten gespielt.

SZ: Was macht Ihr Spiel denn aus?

Vranjes: Ich muss ganz klar meine Schnelligkeit benutzen. Ich muss mehr für die anderen arbeiten als für mich selbst. Ich sehe das ganze Spiel. Aber ohne meinen Willen würde nichts passieren. Der Wille ist das Wichtigste.

SZ: Trotzdem werfen auch Sie eine Menge Tore.

Vranjes: Früher habe ich mehr gemacht. Für mich ist jetzt wichtiger, dass meine Nebenleute die Tore machen. Ein Spiel ist ein bisschen wie Schach. Ich gucke, was die Abwehr macht. Dann mache ich etwas anderes. Das macht Spaß.

SZ: Ist das erst mit dem Alter gekommen?

Vranjes: Als ich im zweiten oder dritten Jahr in Nordhorn war, also etwa 2002. Ich sehe jetzt das ganze Spiel. Mit 26 habe ich vielleicht das halbe Spielfeld gesehen, früher sogar nur zwei, drei Dinge, das wars"s. Jetzt sehe ich 15 Sachen.

SZ: Weil Kiels Regisseur Stefan Lövgren fehlt, hat Flensburg doch noch eine Chance, oder?

Vranjes: Das weiß man nicht. Ich kenne ihn. Ich glaube, er ist dabei. Er ist einer der besten Spieler aller Zeiten, er ist so wichtig auch neben dem Spielfeld. Solche Charaktere findet man nicht mehr oft. Heute ist alles viel egoistischer. Stefan und ich, wir haben zehn Jahre zusammengespielt, wir haben die gleiche Schule. Es geht um den Teamgeist.

SZ: Hatte Ihre rote Karte im Halbfinale gegen Valladolid auch etwas mit Teamgeist zu tun? Sie haben dem Torhüter der Spanier verwehrt, einen Gegenstoß einzuleiten.

Vranjes: Auf jeden Fall habe ich in dem Moment nicht viel überlegt. Da lag einer unserer Spieler, und sie sind unterwegs zum Gegenstoß, sechs gegen vier, zwölf Sekunden vor dem Ende.

SZ: Gibt es von Gegenspielern eigentlich viele Sprüche gegen Sie?

Vranjes: Klar. Das waren keine netten Wörter in Valladolid. Hurensohn, Schwein, ich bringe dich um. In der Bundesliga gibt es das fast gar nicht.

SZ: Was gibt Ihnen diese Ruhe vor einem wichtigen Handballspiel?

Vranjes: Es ist ein Glück in diesem Beruf, wenn man Kinder hat. Wenn wir ein Spiel verloren haben, kann ich das nie sofort vergessen, und seit Sonntag denke ich nur an das Spiel gegen Kiel. Da ist es toll, wenn man zwei, drei Stunden mit den Kindern spielt und das andere vergisst. Dann bekommt man diese Ruhe, die man braucht.

SZ: Sie sind gebürtiger Serbe, aber in Schweden geboren.

Vranjes: 1969 war mein Vater erstmals in Schweden, die Firmen suchten Arbeitskräfte. Der Rest meiner Familie wohnt in Belgrad. Mein Temperament ist serbisch, aber ich denke ganz viel schwedisch. Sonst wäre ich vielleicht nicht dieser Kollektivspieler.

SZ: Ist Ihre Länderspiel-Karriere eigentlich beendet?

Vranjes: Sie haben mich wieder angerufen vor der EM-Qualifikation gegen Rumänien. Ich habe es noch nicht entschieden. Ich finde eigentlich, dass die jungen Leute mehr Verantwortung übernehmen müssen.

SZ: Und wie kann Flensburg gegen Kiel gewinnen?

Vranjes: Wir können viel über Taktik reden, aber in einem solchen Finale muss man Hass und Willen haben. Wenn du wirklich etwas möchtest, dann ist die Taktik scheißegal.

© SZ vom 28. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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