Interview:"In Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ"

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Michael Ballack im Gespräch über schwierige Zeiten beim FC Bayern, die Kritik an seinem Spiel und seine Erwartungen an die Europameisterschaft.

Von Ludger Schulze

SZ: Herr Ballack, wie geht es denn Ihrer Wadenprellung? Ballack: Ich hab' im Training bei Bayern einen Schlag im Zweikampf mit Roque Santa Cruz abbekommen. Es tut noch weh. Nach dem Abschlusstraining wird entschieden, aber ich will auf jeden Fall gegen Rumänien spielen.

Klassenfahrt nach Bukarest: Ballack im Gespräch mit Nationaltrainer Völler vor dem Rumänienspiel. (Foto: Foto:)

SZ: Hier bei der Nationalmannschaft wirken Sie, anders als im Verein, sehr gelöst. Sind Sie mitunter froh, der Hektik beim FC Bayern entgehen zu können? Ballack: Eigentlich nicht. Bei Bayern ist das ein Tagesgeschäft, an die Gegebenheiten gewöhnt man sich. Wenn man oben steht, ist das ja auch positiv. Ist man aber nicht Erster, gibt es permanent Kritik, selbst wenn man gute Spiele abliefert. Das geht schon das ganze Jahr so.

"Es wurde ein Sündenbock gesucht"

SZ: Dies ist Ihr erstes umfangreicheres Interview nach langer Zeit. Sie haben sich zuletzt sehr rar gemacht. Weshalb? Ballack: Das ist bedingt durch die letzten Wochen, speziell nach unserem Ausscheiden gegen Real Madrid in der Champions League, als die Kritik losging. Ich habe, wie andere auch, im Hinspiel ein sehr gutes Spiel gemacht und im Rückspiel eben nicht...

SZ: ...da waren Sie durch eine fiebrige Erkrankung geschwächt. Ballack: Ja. Es wurde ein Sündenbock gesucht, und der war ich. Ich musste unheimlich viel Polemisches und Unsachliches schlucken. Was mich ärgerte, war, dass ich vom FC Bayern öffentlich keine Unterstützung erhielt, nur vom Trainer. Außerdem haben sich wie immer Leute zu Wort gemeldet, die ihr Fähnchen sowieso nur in den Wind halten.

SZ: Meinen Sie mit unsachlicher Kritik, dass Ihnen trotz wichtiger Tore vorgeworfen wurde, Sie seien in schweren Spielen nicht zu sehen? Ballack: Ich habe meine Wichtigkeit für den Verein und die Nationalmannschaft oft genug unter Beweis gestellt.

SZ: Sind sie überempfindlich gegen Kritik? Ballack: Ich stelle mich berechtigter Kritik, aber ich kann differenzieren.

Beim FC Bayern sagt man, er sei ein schwieriger Spieler

SZ: Tatsächlich wurden sie von Boulevardzeitungen und speziell von Sport-Bild bei jeder Gelegenheit hart angegangen. Gibt es dafür einen persönlichen Hintergrund? Ballack: Ja, das ist auffällig. Das war schon zu meiner Leverkusener Zeit so, aber ich kenne den Hintergrund nicht.

SZ: Beim FC Bayern heißt es, Sie seien ein schwieriger Spieler. Was könnte damit gemeint sein? Ballack: Das kann nur ein Kompliment sein, sie wollen ja immer schwierige Typen. Ich habe mich halt manchmal gegen öffentliche Aussagen gewehrt, das zeigt doch, dass ich Charakter habe. Wenn sich bestimmte Leute zu Wort melden, deren Meinung mir wichtig ist, wie Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß, Ottmar Hitzfeld oder Franz Beckenbauer, sage ich eben manchmal was dazu. Vielleicht gilt das als schwierig. Aber in Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ ohne Allüren.

SZ: Gerade auch von den Verantwortlichen des FC Bayern sind Sie oft kritisiert worden. Liegt das daran, dass die in ihren Erwartungen enttäuscht sind? Ballack: Glaub' ich nicht, die haben ja einen torgefährlichen Mittelfeldspieler gesucht. Diese Erwartung habe ich in der vergangenen und in der laufenden Saison erfüllt. Aber sie verlangen halt noch mehr von mir, das ist auch in Ordnung. Natürlich waren die Erwartungen an die Mannschaft in dieser Saison größer. Wir wollten in der Champions League weiter kommen nach der Enttäuschung des vergangenen Jahres. Aber gegen Real Madrid auszuscheiden ist keine Schande.

Seine Saisonleistung: "Durchwachsen"

SZ: Dennoch, an Ihnen wird besonders herumgemäkelt. ARD-Kritiker Günter Netzer hat Ihnen sinngemäß einmal die Befähigung zu einer Führungsrolle abgesprochen, weil Sie dem Erziehungssystem des DDR-Sports entsprungen sind. Ballack: Das hat mich nicht getroffen. Ich hab' damals gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grimme-Preisträger so etwas gesagt hat. Dabei bleibe ich auch.

SZ: Sehr diplomatisch...Bayern-Chef Rummenigge hat zur Winterpause erklärt, nun, da Sie verletzungsfrei seien, werde man den besten Ballack seiner Karriere erleben. Sie spielen eine durchwachsene Rückrunde, mit guten, aber auch mit mäßigen Spielen. Ballack: Er hat gleichzeitig gesagt, wir müssen ihn mal in Ruhe lassen und dürfen nicht jede Woche an ihm herumnörgeln. Daraufhin habe ich gesagt: Das ist aber ein guter Vorsatz vom FC Bayern, mal gucken, wie lange der vorhält. Vier Wochen später war es das alte Lied.

SZ: Wie sehen Sie Ihre Saisonleistung? Ballack: Durchwachsen eben, mit guten und weniger guten Spielen.

SZ: Neben Oliver Kahn sind Sie der Star des FC Bayern, auch in der Werbung. Hat das Neid im Team ausgelöst? Ballack: Ich spüre das nicht. Ich gehe davon aus, dass alle Spieler des FC Bayern Topspieler sind und dasselbe wollen. Alle verdienen genug, wenngleich der eine oder andere etwas mehr präsent ist, wie das bei Olli (Kahn) und mir der Fall ist. Aber wir haben ja nicht mit dem Finger geschnippt und gesagt, jetzt schreibt mal etwas mehr über uns. Andere sind vielleicht sogar ganz froh, nicht so im Rampenlicht zu stehen, wenn's mal nicht so läuft. Ansonsten kriegt doch jeder von uns mehr als genug Aufmerksamkeit.

SZ: Haben Sie bei all dieser Kritik nicht mal gedacht: Das habe ich nicht nötig, ich gehe weg aus München? Ballack: Nein. Ich habe hier einen Vierjahres-Vertrag und will mit Bayern noch viel erreichen. Wenn ich irgendwann weggehen sollte, dann deshalb, weil mich das Ausland reizen würde.

Er trägt die Nummer 13, wie einst Gerd Müller

SZ: Streitigkeiten gibt es jedenfalls um Ihre Position auf dem Platz. Viele Leute glauben noch immer, sie seien eine Nummer 10, der klassische Spielmacher. Sie tragen die Nummer 13 - wie einst Gerd Müller. Manager Uli Hoeneß hält sie für eine Nummer 6, vor der Abwehr spielend. Und Ihr Kollege Bixente Lizarazu meinte, Sie seien eher eine Nummer 8. Was ist denn nun Ihre Idealposition? Ballack: Das weiß Uli Hoeneß am besten, er hat mich ja verpflichtet, zusammen mit dem Trainer.

SZ: Sie haben ja in Leverkusen... Ballack: ...eben, wir spielen ja ganz anders. Bei Bayer hatte ich eine Zwischenposition, einen vor mir, Bastürk, und einen hinter mir. Bayern hat das nicht, wir spielen ein 4-4-2-System, in Leverkusen war das mehr so ein 3-5-2, das ist etwas ganz anderes.

SZ: Welche Nummer wäre das dann, die Sechseinhalb? Ballack: Meine 13 finde ich gut.

SZ: Macht es denn generell einen Unterschied, ob man bei Bayer oder bei Bayern spielt? Ballack: Natürlich, Bayern hat ganz andere Erfolge, das ist ein Weltklub. Das geht beim Präsidium los, über die Spieler, die Struktur des Vereins, zudem ist München ist eine Medienstadt.

SZ: Hat sich Ihr Leben verändert? Ballack: Klar, man rückt als Person viel mehr in den Mittelpunkt. Man wird in allen Situationen mehr beäugt. Aber ich hab' das ja gesucht. Wenn ich meine Ruhe hätte haben wollen, wäre ich in Leverkusen geblieben. Es wäre naiv, zum FC Bayern zu gehen und zu glauben, hier passiert den ganzen Tag nix. Manchmal ist das jedoch schon hart.

"Wenn wir die Vorrunde überstehen, ist alles möglich"

SZ: Zurück zur Nationalmannschaft. Die galt vor der WM 2002 als chancenlos - und kam ins Finale. Zur EM im Juni in Portugal gilt sie wieder als aussichtslos, zumal die Konkurrenz mit den Niederlanden und Tschechien schwierig ist. Ist ein ähnlicher Erfolg trotzdem denkbar? Ballack: Weil wir die Spiele gegen die namhaften Fußballnationen in den letzten Jahren verloren haben, traut man uns nicht so viel zu. Sobald aber ein Spiel angepfiffen wird, dreht sich das öffentliche Anspruchsdenken komplett. Wenn wir die EM-Vorrunde überstehen, ist alles möglich.

SZ: Da in den vergangenen zwei Jahren viele junge Leute zum Nationalteam hinzugekommen sind, kann man auf die Idee kommen, diese EM sei nur Durchgangsstation auf dem Weg zur WM 2006. Ballack: Das denke ich nicht. Es ist wie jedes andere Turnier ein absolutes Highlight, für die Spieler und die Fans. Für einige der jungen Leute kann die Europameisterschaft der Durchbruch sein.

SZ: Ist diese junge Mannschaft vielleicht erst 2006 auf Ihrem Zenit? Ballack: Vom Papier her ist das denkbar - wenn die jungen Spieler sich so weiter entwickeln. Sie müssen sich halt ein paar Jahre behaupten, auch international. Sie müssen das mal mitgemacht haben, weil es nicht sein kann, dass die Verantwortung bei einer WM im eigenen Land auf ein, zwei Spieler verteilt ist. Das muss ein Kern von fünf, sechs, sieben Spielern sein. Sie müssen lernen, mit Niederlagen und positiven Erlebnissen klar zu kommen. Da hilft so eine EM ungemein, egal, wie es dabei ausgeht.

© SZ vom 28.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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