Interview:"Eine Hand hätte ich mir schon verbrannt"

Lesezeit: 4 min

Die deutsche Schiedsrichter-Ikone Markus Merk über die Folgen der Schiedsrichter-Affäre, Glaubwürdigkeit und Fehler auf dem Platz.

Interview: Christian Zaschke

SZ: Herr Merk, wo pfeifen Sie an diesem Samstag?

Markus Merk (Foto: Foto: ddp)

Merk: In München, FC Bayern gegen Dortmund.

SZ: Freuen Sie sich noch darauf?

Merk: Natürlich. Man denkt jetzt vielleicht, die Schiedsrichter hätten Befürchtungen, raus zu gehen. Dem ist nicht so, vor allen Dingen nicht bei mir. Als Leitfigur werde ich nun gebraucht, und ich will anpacken.

SZ: Was heißt das?

Merk: Ich bin Schiedsrichter, weil ich Verantwortung übernehmen wollte. Das hat mir immer Spaß gemacht. Ich hätte nie gedacht, dass der Begriff Verantwortung einmal so einen ganz anderen Tenor bekommt. Es geht jetzt nicht mehr nur um die Schiedsrichter, es geht jetzt um Verantwortung für den Fußball.

SZ: Es war zu lesen, dass Sie zu Beginn der Schiedsrichter-Affäre ans Aufhören gedacht haben.

Merk: Ja, aber das stimmt nicht. Das hat jemand geschrieben, aber es ist falsch. Der Gedanke ans Aufhören war nie da, im Gegenteil. Aber als die Geschichte ans Licht kam, war das bitter, und es ist heute noch bitter, weil etwas Fundamentales zerbrochen ist.

SZ: Was meinen Sie genau?

Merk: Es ist etwas passiert, was unvorstellbar war. Ein Schiedsrichter ist die Verkörperung der Neutralität schlechthin. Acht Tage vor Aufdeckung der Affäre bin ich Weltschiedsrichter geworden. Ich habe gesagt: Toll, dass es ein Deutscher geworden ist. Wir haben hier 80000 Schiedsrichter, und ein bisschen Glanz kommt mit dieser Auszeichnung auf alle. Dann passiert sowas. Meine Hoffnung, dass das Ganze innerhalb von ein paar Tagen beseitigt wird und die Schuldigen richtig verknackt werden - die hat sich nicht erfüllt. Mittlerweile ist es ein Dauerthema.

SZ: Das wird erst einmal so bleiben.

Merk: Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie lange es weitergeht. Was wir brauchen, ist Vertrauen von Spielern, Trainern, Vereinen, Fans und von den Medien. Ohne Vertrauen geht es nicht.

SZ: Das ist ja das Fundamentale. Normalerweise sind dem Schiedsrichter Fehlentscheidungen erlaubt, weil man davon ausgeht, dass es einfach Fehler sind. Man ärgert sich als Betroffener, doch die Grundvereinbarung ist unberührt - dass man darauf vertraut, dass der Schiedsrichter neutral ist. Dieses Vertrauen ist erschüttert. Und Sie sprachen von dem Glanz, der sich auf die Schiedsrichter gelegt hat. Dieser Glanz ist weg.

Merk: Der Glanz von meinem Titel und von mir ist nicht weg.

SZ: Es geht um die Schiedsrichter allgemein.

Merk: Nach meiner Auszeichnung hatte ich vielleicht 15 Anfragen für Interviews, in den letzten Tagen waren es locker 300. Es ist eben auch der Zeitgeist, dass das Negative einfach haften bleibt.

SZ: In diesem Fall kann man wirklich nicht sagen, es sei nur eine einzelne negative Sache. Es ist eine Schiedsrichter-Krise, die sich verbreitet.

Merk: Mit dem Wort "verbreitet" wäre ich jetzt aber schon vorsichtig.

SZ: Neben Robert Hoyzer steht nun auch Dominik Marks unter dringendem Verdacht.

Merk: Die Verbindung war ja von Anfang an klar. Ich gehe davon aus, dass es ein geschlossener Kreis ist, der sich um diese Person zieht, deren Namen ich aus meinen Vokabular gestrichen habe.

SZ: Sie würden tatsächlich für den Rest der Kollegen weiterhin die Hand ins Feuer legen?

Merk: Eine Hand hätte ich mir vor vier Wochen schon vollkommen verbrannt. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es mehr wird, aber ich habe mir vor vier Wochen auch nicht vorstellen können, dass es so kommt, wie es gekommen ist. Egal, wie viele da nun involviert sind - ich gehe davon aus, dass es ein geschlossener Kreis bleibt.

SZ: Dieser Kreis reicht, um den Sport in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Merk: Natürlich ist die Glaubwürdigkeit für jeden erschüttert. Es wird jetzt zudem immer mehr in unsere Entscheidungen hineininterpretiert. Ich habe zu den Kollegen gesagt: Wir müssen die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Was mich aufgebaut hat in diesen Wochen: Keiner hat mich negativ attackiert. Wo immer ich hinkomme, sagen die Leute: Helfen Sie, dass der Fußball glaubwürdig bleibt. Oder wieder wird.

SZ: Das liegt an Ihrer besonderen Rolle. Überlegen Sie mal, was geschähe, wenn herauskäme, dass Sie irgendwo manipuliert hätten. Dann könnte man den Laden dichtmachen.

Merk: Diesen Ansatz finde ich nicht gut. Das lasse ich Ihnen mal so stehen.

SZ: Es ist doch so, dass man Ihnen zutraut, der Krise etwas entgegenzusetzen. Wenn - fiktiv gesprochen - zum Beispiel herauskäme, dass der FC Bayern 200 Millionen Schulden hätte, dass er alles auf Pump zusammengebaut hätte und vor dem Bankrott stünde - dann würde man ja auch niemanden mehr etwas glauben.

Merk: Die Verantwortung ist jetzt für mich sehr groß. Aber ich bin ein Mensch, der im Leben so viele Facetten hat und so vieles macht, dass ich sagen kann: Das ist kein Problem für mich. Ich brauche für alles viel Energie, aber ich habe mein Leben so organisiert, dass ich bei allem mehr Energie wieder herausbekomme. Nun ist es seit vier Wochen allein negative Energie, die ich verwenden muss.

SZ: In der vergangenen Woche ist über viele Entscheidungen auf dem Platz diskutiert worden: nicht gegebene Elfmeter in Hamburg, Dortmund und Bremen, ein nicht gegebenes Tor für Bochum, und so weiter. Werden unter dem Eindruck der Affäre mehr Fehler gemacht?

Merk: Ja, man spürt eine Unsicherheit. Es ist nicht jeder so gestanden und kann mit dem Druck so gut umgehen. Wir müssen aufpassen, dass das nicht ein einen negativen Kreislauf mündet.

SZ: Hat sich das Verhältnis der Spieler zu den Schiedsrichtern geändert?

Merk: Es sind Fehler passiert, und die erzeugen eine Gegenreaktion. Ob aber das Verhältnis zu den Spielern oder Trainern oder Fans sich ändert - das kann man noch nicht sagen. Es sitzen letztlich alle auf dem gleichen Ast, und wenn eine Partei beginnt zu sägen, dann fallen alle.

SZ: Benutzen Sie auf dem Platz eine andere Ansprache, in dem Sinne, dass Sie sagen, 'Meine Herren, wir erleben eine besondere Situation, versuchen wir also, ordentlich zusammenzuarbeiten?'

Merk: Nein, wir alle haben keinen Grund, das, was erfolgreich war, umzustellen. Wenn Sie mit dem Vorsatz rausgehen, irgendetwas anders zu machen, dann entstehen Fehler. Das ist so, als würde Michael Schumacher überlegen, wie er in die nächste Kurve fährt - dann wird er zu langsam sein oder rausfliegen.

SZ: Alles wie immer, das sagt sich so leicht.

Merk: Das unterscheidet den ausgezeichneten Schiedsrichter von dem sehr guten, dass er als Psychologe in bestimmten Situationen schneller reagieren kann. Seit vier Wochen spreche ich fast nur noch über die Schiedsrichter-Affäre, und deshalb bin ich froh, dass ich am Samstag auf den Platz gehen kann, um das zu tun, was ein Schiedsrichter tut, nämlich pfeifen.

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