Interview der Woche:"Ich sag' doch auch Scheiß-Wessi"

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Ost-Schauspieler Peter Sodann zum Ausrutscher des West-Trainers Henke.

SZ: Herr Sodann, im Namen des Westens wollen wir uns bei Ihnen als Ost-Prominenten vor Ihrem Einsatz am Sonntag als Tatort-Kommissar (20.15 Uhr, ARD) entschuldigen für den Ausfall des Kaiserslauterer Fußball-Trainers Michael Henke, der beim Pokalspiel in Erfurt einen Erfurter Spieler Scheiß-Ossi nannte. Das war nicht nett.

Peter Sodann (Foto: Foto: ddp)

Peter Sodann: Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich sag' doch auch Scheiß-Wessi.

SZ: Was?

Sodann: Wenn Sie Scheiß-Ossi sagen, warum soll ich dann nicht Scheiß-Wessi sagen? Zum Beispiel, hier habe ich ...das ist aber jetzt glatter Zufall... wir waren mal mit dem Bus in Prien ... wie heißt das? Prien am Tschiemsee?

SZ: Prien am Chiemsee.

Sodann: Genau, und da lag unter dem Scheibenwischer des Busses ein Zettel, den hab' ich hier und da steht drauf: "Verpisst euch, ihr Eierwerfer, ihr Blutsauger. Von unseren Steuergeldern prasst ihr. Haut ab." Das stört mich nicht, aber es ist eben so. Ich kann Ihnen noch ein schöneres Beispiel sagen: Ich war vor geraumer Zeit in Weimar. In der Urstadt Deutschlands.

SZ: Klar.

Sodann: So. Und da bekomme ich einen - heute sagt man dazu Flyer. Das war im Hotel Russischer Hof. Das darf man auch nicht sagen, weil da stellen sich allen Westdeutschen vor Schreck die Haare an den Armen auf.

SZ: Zu Recht.

Sodann: Da steht also: "1919 tagt die Nationalversammlung in Weimar. Die Weimarer Republik ist ein erster, leider kurzfristiger Versuch einer bürgerlichen Demokratie in Deutschland." Das hat übrigens ein Wessi verfasst. "Danach beginnt ein dunkles Kapitel der Geschichte für Weimar, das im nahen Konzentrationslager Buchenwald seinen Höhepunkt erreicht. (...) Erst das Jahr 1989 bringt die Wende. Nach langer Irrfahrt und zehn Jahre später wird die Klassikerstadt zur Kulturstadt Europas." Das heißt: Der kann mich gar nicht beleidigen mit seinem "Scheiß-Ossi", weil ich gar nicht existent bin.

SZ: Äh. Und ich? Bin ich auch nicht existent als Wessi?

Sodann: Doch, Sie sind schon existent. Sie waren ja nicht hier.

SZ: Ach, richtig.

Sodann: Laut Flyer endet Weimars Leben 1945 mit der Befreiung von Buchenwald und beginnt erst 1989 wieder.

SZ: Wir Wessis lassen eine ganze Himmelsrichtung weg?

Sodann: Ja. Außerdem weiß der normale Wessi nicht, dass im Osten die Sonne aufgeht. Für ihn geht die Sonne im Westen auf. Deswegen kann ein Ossi gar nicht beleidigt sein.

SZ: Henke hat aber auch noch andere Schimpfwörter verwendet. Nur das Wort "Scheiß-Ossi" wirkte. Warum?

Sodann: Das ist normal, entschuldigen Sie. Mich stört das doch alles gar nicht, aber... ich erklär's vielleicht mal andersrum: Der Ossi hatte für jeden Schwachsinn der DDR-Regierung immer sofort einen Witz parat. Die waren oft gemeingefährlich, aber...

SZ: Können Sie einen erzählen?

Sodann: Der letzte Witz der DDR war folgender: Otto sagt zu Richard: "Sag' mal, Richard, wo warst du zur letzten Parteiversammlung." Sagt Richard: "Wenn du mir gesagt hättest, dass es die letzte ist, wäre ich gekommen."

SZ: ( lacht)

Sodann: Oder als die Jagd wieder eingeführt wurde. Es war in der DDR nämlich so, dass die Jagd zunächst verboten war. Aber dann kamen die Botschafter oder wer auch immer aus dem Westen, fuhren nach Magdeburg mit dem Sonderzug und gingen auf die Jagd. Da gab es sofort einen Witz: Erich Honecker und Willi Stoph gehen mit zur Jagd, klar, und sie sehen ein Ferkel und schießen, und es fällt auch um. Sie rennen hin und stellen fest, dass sie den amerikanischen Botschafter erschossen haben.

SZ: ( lacht)

Sodann: Der Willi greift noch in die Tasche rein und sagt: "Mensch du, der hat 50 Dollar einstecken, die könnten wir uns doch teilen." Sagt Erich: "Schieß dir doch selber einen."

SZ: ( lacht)

Sodann: Da könnte ich ihnen jetzt zahllose Witze erzählen, die der Ostbürger sofort zur Verfügung hatte.

SZ: Das klingt, als wären die Ossis doch recht selbstbewusst.

Sodann: Naja, entschuldigen Sie bitte. 17 Millionen Ossis gegenüber 65 Millionen Wessis, so ungefähr - was heißt hier Selbstbewusstsein? Aber die Ossis sind schon selbstbewusst. Und wenn Sie nicht selbstbewusst sind, dann sind das die Journalisten, die uns viel schlechter machen, als wir in Wirklichkeit sind.

SZ: Ost- und West-Journalisten?

Sodann: So viele Ost-Journalisten gibt's gar nicht. Verstehen Sie.

SZ: Sie wollten über die Witze die Empfindlichkeiten erklären.

Sodann: Aber die Empfindlichkeiten werden doch schon wieder durch neue Ostwitze ausgeglichen. Der Ossi hat auch schon wieder seinen Witz gegenüber dem Wessi. Kennen Sie den? Der Rainer aus Halle muss zur Bundeswehr. Die Mama sagt: "Du Rainer, das geht nicht, dieser blöde Mann, der die Bundeswehr anführt, der schickt dich vielleicht nach Afghanistan, dann wirste noch totgeschossen." Rainer sagt: "Es nützt nischt, ich muss." "Gut", sagt die Mama, "dann schreibst du mir, sobald du in der Kaserne bist."

Rainer kommt an und schreibt: "Liebe Mama, mir geht es sauwohl, meine Stiefel passen, die Uniform passt, ich seh' sogar schön aus in der Uniform, ich bin bei der Infanterie gelandet. Wir haben zwei Wahlessen, und man kann auch alle beide essen. Wenn wir rausgehen ins Gelände, und einer is' ein bisschen krank, kommt sofort ein Bus und fährt ihn zurück. Und auf meinem Zimmer liegen drei Wessis und zwei Ossis." Schreibt die Mama: "Lieber Rainer, das gefällt mir aber, dass es dir gefällt, dass die Uniform passt, dass das Essen schmeckt, dass ihr sofort zurückgefahren werdet, wenn euch schlecht ist. Aber am meisten gefällt mir, dass du schon drei Gefangene gemacht hast."

SZ: ( lacht).

Sodann: Das ist die Rache des kleinen Mannes.

SZ: Eine Unverschämtheit.

Sodann: Wieso?

SZ: Alles auf Kosten der Wessis.

Sodann: Ja, tut mir leid.

SZ: Sie meinen, man hätte die Situation in Erfurt mit Witzen entschärft?

Sodann: Aber ja, das mache ich immer, wenn ich im Westen bin.

SZ: Sie erzählen Wessi-Witze?

Sodann: Aber ja.

SZ: Und die Reaktion?

Sodann: Wunderbar. Alles brüllt vor Lachen.

SZ: Der Erfurter Trainer, der übrigens Bulgare ist, hat Henke den Scheiß-Ossi nicht verziehen.

Sodann: Ich würde sagen, der Bulgare soll es ihm verzeihen. Dummheit soll man ja normalerweise nicht verzeihen, aber da gibt es kein besseres Mittel.

SZ: Andererseits gibt es doch eine Kultur des Schimpfwortes. Die Bremer etwa sind die Fischköpfe. Und die Ostdeutschen sind eben die Scheiß-Ossis.

Sodann: Das ist ja die Grundlage allen deutschen Handelns. Wir sind soundsoviel Länder, und jedes Land findet sich besser. Das ist aber unterschwellig und auch gar nicht so doof.

SZ: Wir Münchner würden schon meinen wollen, dass wir sehr gut sind.

Sodann: Ja, jaja. Ich will mal so sagen: Irgendwo hat der Münchner ja auch einen an der Schüssel.

SZ: Wie bitte?

Sodann: An der Schüssel.

SZ: Ja, das hab' ich gehört.

Sodann: Wissen Sie, seine Unzulänglichkeiten verwischt jeder damit, dass er sagt, er sei der Beste. Ich kann den Bulgaren nicht ganz verstehen. Ich hätte gesagt: Ist ja prima, dass du mal die Wahrheit sagst: deine Wahrheit. Unsere Wahrheit ist: Du bist wahrscheinlich der größere Trottel.

© SZ vom 29.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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