Interview:"Das ist eine ständige Baustelle"

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Jacques de Ceaurriz, 56, leitet das Antidoping-Labor in Châtenay-Malabry bei Paris. Sein Institut entwickelte 2000 das Testverfahren auf den Blutdoping-Klassiker Erytropoetin, kurz Epo, das in die Kritik geraten ist. Zahlreiche Wissenschaftler behaupten, der Test sei anfällig für Fehler. Widersprüchliche Ergebnisse von A- und B-Probe haben zu Klagen von vermeintlich überführten Sportlern geführt. Und auch der in der A-Probe positiv auf Epo getestete Spanien-Rundfahrt-Gewinner Roberto Heras wird sein Testergebnis wohl anfechten.

Stéphanie Souron

SZ: Monsieur de Ceaurriz, was machen Sie am 21. November?

Positive A-Probe, negative B-Probe: Radprofi Fabrizio Guidi will erwirken, dass der Epo-Test für ihn ausgesetzt wird (Foto: Foto: AP)

Jacques De Ceaurriz: Keine Ahnung. Was ist am 21. November?

SZ: Da wird die B-Probe von Roberto Heras geöffnet, der bei der Vuelta positiv getestet wurde.

De Ceaurriz: Aber unser Labor ist davon doch gar nicht betroffen. Wir haben die Dopingproben von der Vuelta nicht untersucht, das war das Labor in Madrid. Die haben uns nur ihre Ergebnisse zugeschickt und um unsere Interpretation gebeten. Die Wada (Weltantidoping-Agentur, Anm. d. Red.) verlangt seit neuestem, dass mehrere Experten sich die Ergebnisse anschauen, um Fehlinterpretationen auszuschließen. Wir kamen übrigens zu dem gleichen Ergebnis wie das Labor in Madrid: positiv. Aber mit Sicherheit kann man das erst nach Öffnung der B-Probe sagen.

SZ: Roberto Heras hat sich schon beschwert: Die positive A-Probe müsse ein Fehler des Labors gewesen sein.

De Ceaurriz: Das ist die uralte Ausrede, die kennen wir schon. So lange die Analyse noch läuft, wird das Labor beschuldigt, später, wenn es um die Strafe geht, klagt man die Verbände an.

SZ: Aber Heras ist während der Vuelta nur ein einziges Mal positiv auf Epo getestet worden, das ist nicht unbedingt symptomatisch für eine Epo-Kur.

De Ceaurriz: Ich habe die Vuelta nicht verfolgt. Aber man testet ja nicht jede Probe, die man einem Sportler abnimmt, automatisch auf Epo - im Durchschnitt passiert das höchstens bei zehn Prozent der Proben. Wissen Sie, Epo-Tests sind sehr aufwändig und teuer. Obwohl unser Labor auf den Epo-Test spezialisiert ist, untersuchen wir jährlich von 9000 Dopingproben nur etwa 500 auf Epo.

SZ: Zehn Prozent sind nicht viel.

De Ceaurriz: Im Radsport ist die Quote höher, dort werden bei internationalen Rennen etwa 20 Prozent der Proben auf Epo untersucht. Bei der Tour de France sind es sogar um die 50 Prozent. Wie viele der Proben von Heras auf Epo untersucht wurden, weiß allerdings nur der Internationale Radsportverband.

SZ: Wenn eine Dopingprobe auf Epo untersucht wird, dann geschieht das mit Ihrem Test. Wie funktioniert der?

De Ceaurriz: Der Test sucht nach einer Epo-Spur im Urin. Künstliches und körpereigenes Epo haben verschiedene Isoforme, der Test kann sie unterscheiden. Das sind subtile Unterschiede, die durch Elektrophorese (Bewegung geladener Teilchen unter Spannung, d. Red.) und durch eine Reaktion mit Antikörpern sichtbar gemacht werden. Das Problem ist, dass im Urin sehr viele Proteine vorkommen und die Suche nach dem Epo deshalb ein bisschen so ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

SZ: Also werden gedopte Sportler von ihren Antikörpern überführt?

De Ceaurriz: Im Grunde genommen ja. Aber dann muss dieses Ergebnis noch interpretiert werden, und da gab es in der letzten Zeit ein paar Unstimmigkeiten.

SZ: Der Radfahrer Fabrizio Guidi sagt, die Antikörper hätten mit seinen körpereigenen Proteinen reagiert und das hätte den positiven Befund bewirkt.

De Ceaurriz: Für den PH-Bereich, in dem wir die Epo-Tests durchführen, gibt es keine Zweifel an den Befunden. Außerhalb dieses PH-Bereiches kann es in der Tat zu Interferenzen mit anderen Proteinen kommen, denn die Antikörper reagieren dann nicht mehr nur mit Epo.

SZ: Auch eine Studie, die von der Wada in Auftrag gegeben wurde, kommt zu diesem Ergebnis.

De Ceaurriz: Diese Wissenschaftler haben das Experiment unter anderen Laborbedingungen durchgeführt, die Ergebnisse auf unseren Test übertragen und dann spekuliert. Wir wissen aber, dass in dem PH-Bereich, in dem wir arbeiten, keine Interferenzen mit anderen Proteinen möglich sind.

SZ: Ihr Test ist zu 100 Prozent sicher?

De Ceaurriz: Wir arbeiten immer daran, ihn noch zuverlässiger zu machen. Das ist eine ständige Baustelle. Jedes Messinstrument hat seine Grenzen, auch dieser Epo-Test. Unsere Arbeit besteht darin, die Grenzen dieses Instrumentes immer weiter nach oben auszudehnen, es immer besser zu machen. Doch das perfekte Messinstrument existiert nicht.

SZ: Man kann also gar nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ein Sportler positiv oder negativ ist?

De Ceaurriz: Wenn man jemanden testet, der keinen Sport macht, kann man mit Sicherheit sagen, ob der Epo genommen hat oder nicht. Bei einem trainierten Sportler gibt es in seltenen Fällen kleine Unstimmigkeiten, die man unterschiedlich interpretieren kann. Derzeit arbeiten wir aber daran, dass alle von der Wada akkreditierten Labors die Interpretation der Ergebnisse nach dem gleichen Standard vornehmen. Bis wir da bei einem Konsens sind, werden die Ergebnisse eines Tests nun eben immer noch in andere Labors geschickt.

SZ: Der Internationale Sportgerichtshof Cas wird sich wohl schon im Februar 2006 damit befassen, ob der von Ihnen entwickelte Epo-Test wissenschaftlichen Kriterien standhält und ob man auch in der Zukunft damit arbeiten wird.

De Ceaurriz (lacht): Da es derzeit keine anderen Testmöglichkeiten für Epo gibt, kann ich Ihnen die Entscheidung jetzt schon vorhersagen...Man wird wohl auch bei den Olympischen Spielen in Turin mit diesem Epo-Test auf die Jagd gehen. Entweder man wendet den Test an, oder man kommt den Epo-Sündern gar nicht auf die Spur.

SZ: Wird es auch in Turin wieder spektakuläre Epo-Dopingfälle geben?

De Ceaurriz: Das weiß ich nicht. Die Sportler ändern ja immer ihr Verhalten. Erinnern Sie sich an die Tour de France 1998 und 1999, das waren ja schon komödiantische Veranstaltungen; das halbe Feld gedopt, so was gibt es heute nicht mehr. Heutzutage wird immer noch Epo genommen, aber eher außerhalb der Wettkämpfe. Während der Sportveranstaltung nehmen sie dann nur noch kleine Dosen zur Auffrischung oder sogar gar nichts mehr. Die Betrüger haben sich angepasst. Im Radsport zum Beispiel: Früher sind die Fahrer beim Giro d'Italia gestartet, dann bei der Tour de France und danach noch bei der Vuelta. Heutzutage macht das kaum noch jemand. Sie pausieren dazwischen.

SZ: Also braucht man mehr Kontrollen außerhalb der Wettkämpfe?

De Ceaurriz: Ja, aber das ist oft schwer, weil man nicht an die Sportler herankommt. Wir laufen immer hinterher. Das ist wie bei den Zöllnern, die versuchen, Schmugglern auf die Spur zu kommen. Man wird niemals alle erwischen. Doping wird es immer geben, wir können es nur begrenzen. Aber das ist ja auch schon mal nicht schlecht.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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