Ingolstadt entlässt Kauczinski:Ultimatum an sich selbst

Lesezeit: 3 min

Der FC Ingolstadt entlässt nach zehn Spielen ohne Sieg den historisch erfolglosen Trainer Markus Kauczinski - bis Dienstag soll ein Nachfolger gefunden werden.

Von Philipp Schneider, Ingolstadt

Markus Kauczinski schob den Stuhl nach hinten, setzte sich hin, richtete die Lesebrille, dann griff er den Zettel mit den vielen Zahlen, der da vor ihm lag und ihn jetzt noch retten sollte, wie ein Anker ein treibendes Schiff. Also las Kauczinski: 14 Torschüsse. 55 Prozent Zweikampfquote. 48 Prozent Ballbesitz. Und ja, auch das stand dort tatsächlich, mit Tinte gedruckt auf Papier: 255 angekommene Pässe. "Man muss sich ja nur die Statistik zum Spiel anschauen", hob Kauczinski an: "Das war relativ ausgeglichen. Das tut sich nicht viel." Das tat es auf den ersten Blick tatsächlich nicht. Einen kleinen Unterschied gab es allerdings schon. In der entscheidenden Rubrik ganz oben war zu lesen: "Tore: Augsburg: 2. Ingolstadt: 0".

Kauczinski hatte soeben seine achte Niederlage im zehnten Spiel bezogen, weswegen Ingolstadts Geschäftsführer Harald Gärtner sicher auch nicht mehr in die Archive der Deutschen Fußball-Liga steigen musste, um eine weitere ausgeglichene Statistik zu Tage zu fördern: Erst einmal in der Geschichte der Bundesliga hatte ein Trainer so lange auf seinen ersten Sieg gewartet wie Kauczinski: Helmut Kalthoff in Hannover, in der Saison 1985/86.

Am Sonntagvormittag gab der FCI dann die allgemein schon nach dem Schlusspfiff erwartete Trennung von Kauczinski bekannt. Abseits der in solchen Fällen üblichen Höflichkeiten ("wissen ihn auch menschlich sehr zu schätzen") und branchenüblichen Floskeln ("kamen nach reiflicher Überlegung zum Beschluss, für einen neuen Impuls zu sorgen") enthielt die Nachricht neben dem Hinweis, dass sehr bald ein Nachfolger für Kauczinskis gefunden werden soll, vor allem ein sehr kurioses Ultimatum, das sich der Klub sozusagen selbst gab: "Sollte dies bis zum Trainingsstart der neuen Woche (Dienstag, 8. November 2016, 15 Uhr) nicht gelingen, wird der Verein auf eine temporäre, interne Interimslösung zurückgreifen."

Der Anfang vom Ende: Der eingewechselte Raul Bobadilla trifft zum 1:0 für Augsburg. (Foto: Hans Rauchensteiner)

Was der FCI mit diesem Pleonasmus bezweckt, ist nicht klar, im Prinzip aber wird eine mögliche Interimslösung damit schon öffentlich angezählt, bevor sie interimistisch tätig werden darf. Würde Ingolstadt dem Trend der Liga folgen, würde der langjährige Profi und U 23-Trainer Stefan Leitl zum Chef befördert. Das wäre eine mutige Lösung. Auch ein Engagement von Michael Henke hätte durchaus Charme. Der ewige Assistent von Ottmar Hitzfeld war unter Kauczinskis erfolgreichem Vorgänger Ralph Hasenhüttl ein recht erfolgreicher Co-Trainer - inzwischen ist er für die sogenannten "Internationalen Beziehungen" des FCI zuständig. Es wäre ihm allerdings auch nicht zu verdenken, sollte sich Henke lieber weiter um geheime Diplomatie kümmern wollen als öffentlich eine der undankbarsten Erbschaften anzutreten, die die Bundesliga zu bieten hat. Schon Kauczinski, "DFB-Trainer des Jahres 2015", war ja an der Aufgabe gescheitert, einer vormals erstaunlich solide spielenden Mannschaft ein neues Konzept beizubringen. Zu tief saß der Glaube an das von Hasenhüttl geschulte aggressive Pressing in den Köpfen der Spieler. Nun sucht Ingolstadt den nächsten Lehrer, dem es gelingen soll, einer Klasse voller Schülern, deren Versetzung erstmals gefährdet ist, davon zu überzeugen, dass ihr der Lernstoff des Vorjahres nicht länger helfen wird, obwohl auf ihren Zeugnissen damals lauter Einsen zu finden waren. Ob sich André Breitenreiter das zutraut, der seit seiner Trennung von Schalke 04 ohne Klub ist? Oder Jos Luhukay, der nach einem Zoff mit Vorstand Jan Schindelmeiser nach vier Spielen keine Lust mehr auf den VfB Stuttgart hatte?

Beim 0:2 gegen Augsburg gab es wieder Anzeichen, dass sich die Ingolstädter vom wilden Pressing der Vorjahre verabschieden wollen. Kauczinskis Elf formierte sich in einem 4-2-3-1 und zog in der Rückwärtsbewegung zwei beeindruckende Verteidigungsringe um das Tor, wie man sie von Befestigungsanlagen mittelalterlicher Städte kennt. Erst der eingewechselte Raul Bobadilla durchbrach mit Kraft die Mauern, die sie in Ingolstadt "Schanz" nennen, vier Minuten vor Ende mit einem Freistoß, bei dem sich Torwart Martin Hansen und Marvin Matip behinderten. "Es ist keine Systemfrage, wenn individuelle Situationen vorkommen", sagte Kauczinski.

Markus Kauczinski, 46, arbeitete 15 Jahre lang beim Karlsruher SC, zunächst im Nachwuchs, von März 2012 an als Cheftrainer. Im Sommer wechselte er zum FC Ingolstadt. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Mag sein, dass diese Partie 0:0 ausgegangen wäre. Unwahrscheinlich erschien aber das Szenario eines Ingolstädter Sieges. Zu ideenlos gerieten die Angriffsmuster, die im Kern nur aus Aktionen von Mathew Leckie auf dem Flügel bestanden.

Der neue Trainer wird auch den Beweis liefern müssen, dass der von Sportchef Thomas Linke zusammengestellte Kader überhaupt tauglich ist, die Liga zu halten. Kauczinski hatte diesbezüglich Bedenken. Zuletzt ließ er weder Marcel Tisserand vom AS Monaco noch Florent Hadergjonaj aus Bern noch den vormals von Schalke nach Heidenheim verliehenen Robert Leipertz spielen, für die Linke eine Gesamt-Ablöse von 6,5 Millionen Euro aufbrachte. Kauczinski bezeichnete sie als "Perspektivspieler". Vor dem letzten Spiel, nach dem er selbst keine Perspektive mehr hatte beim FC Ingolstadt.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: