In Schweden:Heute ist Finsternis

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Schweden muss nicht nur den Schmerz über das WM-Aus ertragen, sondern auch den Spott.

Ronald Reng

Vor der Ersatzbank lagen, nach einem schnellen Schluck während des Spiels achtlos fallengelassen, sieben, acht neongelbe Plastikflaschen. Lars Lagerbäck, der Trainer, stand regungslos dazwischen und sah seiner Mannschaft in ihren letzten Spielminuten bei dieser WM zu. Es sah aus wie am Morgen nach einem Fest, vor dem Aufräumen. Diese Party war vorüber.

Seltsames Gebärden des Schiedsrichters beim Rote-Karte-Verteilen. (Foto: Foto: ddp)

Zum dritten Mal hintereinander überstand Schweden bei einer Meisterschaft die Vorrunde. Nur um mit dem 0:2 gegen Deutschland am Samstag in München auch diesmal in der zweiten Runde auszuscheiden; wie bei der WM 2002 im Achtelfinale gegen Senegal, wie bei der EM 2004 im Viertelfinale gegen die Niederlande.

Realistisch betrachtet landete Schweden bei dieser WM genau dort, wo es hingehört: unter den besten 16, und keinen Schritt weiter. "Es war ein Okay-Turnier", sagte Verteidiger Teddy Lucic, der einst ein wenig auffälliges Gastspiel in Leverkusen gegeben hatte. Aber im Sport geht es immer um Träume, Sport gibt einem den Glauben an das Unglaubliche, wie kann man da realistisch sein?

Wut in Isakssons Gesicht

Das unglückliche Scheitern bei den vorangegangenen Turnieren hatte Begehrlichkeiten geweckt. Einmal, an einem dieser Tage, an dem einfach alles klappt, das Realistische übertreffen und unter die besten Acht oder gar Vier vorstoßen.

Um so bitterer war es, gegen Deutschland einen dieser Tage zu erwischen, "an dem alles schief geht", wie Lucic sagte. Man musste nur in das Gesicht von Torwart Andreas Isaksson schauen: Dort war alles, die Irritation, die Wut, die Ohnmacht.

Da waren erst zwölf Minuten absolviert. Isaksson brüllte, als habe er den Verstand verloren, aber der war eher seinen Kollegen abhanden gekommen, denen sein Geschrei galt.

0:2 nach zwölf Minuten, Schweden, für seine taktische Disziplin gerühmt, fand in der Anfangsphase nie seine Ordnung. Das Mittelfeld stand viel zu tief, und die Abwehr ließ sich von Miroslav Kloses kurzen, schnellen Bewegungen zu Positionsfehlern von Anfängern verleiten.

Beim 0:1 griffen zwei Schweden gleichzeitig Klose an, beim 0:2 sogar drei Schweden; es ist das Beste, was einem Stürmer passieren kann: So öffnete sich vor und neben Klose tief und weit der Raum für den Pass, von dem Fußballer sagen: Er tötet.

Niemand hat verdient, so gehen zu müssen

Es hätte gereicht, es war schlimm genug. Doch dieser Tag fügte dem Schmerz den Spott hinzu. Für Lucic und Stürmer Henrik Larsson war es das letzte Länderspiel, sie treten mit 33 respektive 34 zurück.

Niemand hat verdient, so gehen zu müssen: Lucic sah eine gelb-rote Karte, die keine war, Larsson jagte einen Elfmeter ins Nichts. Lucic ist so nett wie merkwürdig, er lebt in nur einer Gefühlslage, passiere, was will, er bleibt unterkühlt.

Es war daher eine große Geste, dass er sich nach seinem Platzverweis den Mund rieb. Er schien damit zu sagen: Da haben wir ein Problem.

Schiedsrichter Carlos Simon aus Brasilien hatte ihm auch noch ins Gesicht gelacht, als er Lucic für ein Alltagsfoul vom Platz wies, "das war arrogant", sagte Lucic: "Eine rote Karte ist doch nicht lustig!"

Es war die 37. Spielminute, Larsson hatte es da noch vor sich. Henrik Larsson, König der Könige, sangen sie in seinen Jahren bei Celtic Glasgow, vor fünf Wochen gewann der FC Barcelona explizit dank seiner Pässe die Champions League, eine schönere Art zu gehen, gebe es nicht, sagte er an jenem Maiabend.

Er dachte nicht daran, dass er noch nicht ganz gegangen war. Die WM war sein absoluter Abschied vom Spitzenfußball, er wird noch ein paar Jahre zu Hause in Helsingborg spielen. Dass er den Elfmeter über das Tor schoss, fasste die WM für ihn zusammen.

Er, ein Weltklassestürmer, war mit seinen kleinen, feinen Pässen, die große Antizipation der Mitspieler verlangen, in dieser mit Hauruck spielenden schwedischen Elf nie angekommen. Journalisten sollen objektiv berichten, und doch gibt es keinen Reporter, der nicht ein paar Spieler hat, für die er etwas fühlt.

Larsson so gehen zu sehen, zerriss einem das Herz. Er stand nach dem Schlusspfiff orientierungslos auf dem Platz, den Deutschen die Hand zu reichen, schaffte er noch, aber als der erste Mitspieler kam, um ihn zu trösten, rannte er davon. Mitleid kann so weh tun.

Über den Zenit hinaus

Sie lieferten einige große Kämpfe bei dieser WM, das 1:0 gegen Paraguay, das 2:2 gegen England. Doch außer Torwart Isaksson mit einem Dutzend spektakulärer Paraden gegen Deutschland und Ersatzstürmer Marcus Allbäck mit seinem frischen Wind fiel keiner von ihnen individuell auf, das sagt eine Menge über ihre Leistung. Sie sind zwei Jahre über ihren Zenit hinaus.

Das Aus bei der EM 2004 war das wirklich brutale. Vielleicht werden sie, mit Abstand, irgendwann in der Lage sein, es so zu sehen, und schätzen, was sie in Deutschland leisteten. Doch "heute und morgen", sagte Teddy Lucic, "ist Finsternis."

Mattias Jonson, der Flügelspieler, kam noch einmal auf den Rasen, barfuß, als wolle er die WM noch einmal so intensiv wie möglich fühlen; als wolle er noch einmal spüren, was diese WM hätte sein können.

© SZ vom 26.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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