Imagewandel beim neuen Club:Sammer sitzt

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Trotzdem, dass Matthias Sammer während des Spiels nach wie vor unter Stress steht, so hat sich doch eines entscheidend verändert: Statt wie früher am Spielfeldrand zu toben, hat der VfB-Trainer beim neuen Klub zu Gelassenheit gefunden.

Von Martin Hägele

Angst vor motzigen Antworten muss kein Fernsehjournalist haben, wenn er Matthias Sammer heute Abend im Münchner Olympiastadion zu interviewen gedenkt. Selbst die Frage, warum der Trainer des VfB Stuttgart die mit Abstand attraktivste Paarung des Achtelfinales vorab als "so ein blödes Pokalspiel" tituliert hat, darf der Reporter gerne stellen. Er wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine sachliche Replik bekommen.

Beispielsweise, dass der internationale Terminkalender nicht nur von den Profis des VfB, sondern von allen Beschäftigten der europäischen Topklubs zu viel verlange und dass dies Raubbau an der Gesundheit der Spieler sei.

Und obwohl in diesem Duell zwischen Rekordmeister Bayern München und seinem ambitionierten Herausforderer allein wegen des Wechsels von Felix Magath aus Cannstatt an die Säbener Straße mehr Brisanz steckt als bei vergangenen Süd-Derbys, wird der rote Vulkan kein Feuer spucken - egal, was zuvor auf dem Platz passiert ist.

Denn der "Motzki" in Sammer ist praktisch gestorben. Jene zweite Persönlichkeit, in die sich der damalige Trainer von Borussia Dortmund regelmäßig verwandelte. Wenn Sammer vor der Bank herumtobte, gegen Schiedsrichter und Gegner wetterte und als Schlusspunkt seiner Ausbrüche den Fernsehmann im Studio attackierte, kaum dass der ein "Guten Tag, Herr Sammer" herausgebracht hatte.

Einzelfälle und Klischees

Darauf wartete man vor dem Fernsehapparat schon regelrecht. Motzki wurde Kult und teilte Deutschlands Fußballgemeinde. Die einen wünschten dem ehemaligen Weltklasse-Libero mehr Gelassenheit. Die anderen genossen die dritte Halbzeit der Borussen-Spiele, weil es unterhaltsam ist, wenn ein Trainer besserwissende Kritiker zur Minna macht.

Josef Schneck, Pressesprecher von Borussia Dortmund, hat lange mit Sammer zusammengearbeitet. Nach seiner Meinung ist dieses Bild erst in dessen letzter Saison beim BVB entstanden, "da ist ihm dieses Motzki-Image von außen stark aufgestülpt worden". Für Schneck entwickelte sich daraus ein mediales Phänomen: "Je weiter man von Sammer entfernt war, desto größer war der Motzki."

Häufig sei er von verwunderten Journalisten deshalb gefragt worden, erzählt Schneck, warum sich Sammer ihnen gegenüber so sachlich verhalten habe - gerade im Anschluss an Partien mit umstrittenen Szenen und einem für Dortmund negativen Ende. Oliver Schraft, der Medienbeauftragte des VfB, vertritt nach fünf Monaten mit Sammer eine plausible Theorie: "Es handelt sich um Einzelfälle, die gepflegt wurden bis zum Klischee. So wie Felix Magath zum ,Quälix' oder ,Saddam' wurde, bekam Matthias Sammer seinen ,Motzki' angehängt."

VfB-Präsident Erwin Staudt hat Sammer noch nicht richtig gallig erlebt. Aber weil dieser der erste Trainer war, den der ehemalige IBM-Vorstandsvorsitzende eingestellt hat, beschäftigte er sich besonders mit dessen Vergangenheit; Magaths Nachfolger musste nicht nur fachliche Führungskraft sein, sondern auch repräsentabel.

Sammers Ausfälle seien dessen einzige Möglichkeit gewesen, den Erfolgsdruck in Dortmund bei 13 verletzten Spieler und ohne finanzielle Mittel, für Ersatz zu sorgen, zu verarbeiten, glaubt Staudt. Eine Publikum und Anhängern nur schwer zu vermittelnde Analyse - die konnten des Trainers Sichtweise nicht begreifen. Denn für Sammer zählt der sechste Platz der Saison unter diesen besonderen Umständen mehr als der Meistertitel drei Jahre zuvor.

Staudt hat beobachtet, dass Sammer, der das Schwabenland nach der Meisterschaft 1992 verlassen hatte, zwölf Jahre später empfangen wurde, als sei er nur mal kurz in Urlaub in Mailand und Westfalen gewesen. Dass er zurückkehrt an den Ort, an dem seine internationale Karriere begann und dabei auch noch auf viel Geld verzichtet, hat Sammer zweifellos viele Sympathien eingebracht.

Handschlag mit Otto

Und dass dieser Cheftrainer auch noch jedem die Hand gibt, angefangen vom 80-jährigen Parkwächter Otto bis zu den Damen vom Ticketing-Service oder den B-Jugendspielern, die ihm gerade über den Weg laufen, imponiert eben. Deshalb benötigt er die Image-Korrektur, zu der ihm Freunde geraten haben, gar nicht mehr.

Zu Sammers Glaubwürdigkeit aber gehört nach wie vor, dass er während eines Spiels und danach unter Stress steht. Doch auch dabei wirkt er im roten Trainingsanzug weit gelassener als in den schwarz-gelben BVB-Klamotten.

In Stuttgart verfügt er über einen sehr disziplinierten Kader mit eindeutiger Hierarchie. Sammer muss keine Rücksichten auf einzelne Diven nehmen oder gar die Klubpolitik mittragen wie einst unter BVB-Patron Gerd Niebaum. Ganz anders als früher sitzt Sammer heute meist während der 90 Minuten. Dennoch besteht er darauf, seine Persönlichkeit als Trainer im Showgeschäft Bundesliga so ausleben zu dürfen, wie er das früher auf dem Platz getan hat.

Vielleicht gibt es sogar einmal einen Rückfall? Wer weiß? Aber damit kann er gut leben. Um sein öffentliches Bild zu korrigieren, müsste er sich in Talkshows herumreichen lassen und bei den Kerners, Beckmanns und Maischbergers aufs Sofa setzen. "So ein künstlich geschaffenes Image will ich nicht", sagt Sammer, "diese Zeit verbringe ich lieber mit meiner Familie."

© Süddeutsche Zeitung vom 10.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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