Im Wortlaut:"Nicht länger Sündenbock"

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Nachdem er monatelang zur Erdogan-Affäre geschwiegen hatte, äußerte sich Mesut Özil am Sonntag in drei Statements. Die Erklärung im Wortlaut.

Nachdem er monatelang zur Erdogan-Affäre geschwiegen hatte, äußerte sich Mesut Özil am Sonntag in drei Statements zum Foto mit dem türkischen Staatschef, zu den Reaktionen der Medien, von Sponsoren und des DFB, sowie zu den Beweggründen für seinen Rücktritt aus der Nationalelf. Auszüge der Erklärungen im Wortlaut:

Teil 1: Erdogan

"Die vergangenen Wochen haben mir die Zeit gegeben, zu reflektieren und über die letzten Monate nachzudenken. Daher möchte ich meine Gedanken und Gefühle darüber erklären, was passiert ist. Wie bei vielen anderen Leuten geht meine Abstammung auf mehr als nur ein Land zurück. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, meine familiären Wurzeln liegen aber in der Türkei. Ich habe zwei Herzen, ein deutsches und ein türkisches. (...) Auch wenn die deutschen Medien etwas anderes dargestellt haben, ist die Wahrheit, dass die Ablehnung eines Treffens mit dem Präsidenten respektlos gegenüber den Wurzeln meiner Vorfahren gewesen wäre. Für mich hat es keine Rolle gespielt, wer der Präsident war, sondern dass es der Präsident war. (...) Ich verstehe, dass es vielleicht schwer nachzuvollziehen ist, da in einigen Kulturen ein politischer Führer nicht getrennt von der Person betrachtet werden kann. Aber in diesem Fall ist es anders. Was auch immer das Ergebnis der letzten Wahlen gewesen wäre, oder der Wahlen davor, ich hätte das Bild trotzdem gemacht."

Teil 2: Medien und Sponsoren

"Lothar Matthäus (ein hoch dekorierter Kapitän der Nationalmannschaft) hat sich vor einigen Tagen mit einem anderen Weltführer ( Russlands Präsident Wladimir Putin, Anm.d.Red.) getroffen und fast keine Kritik bekommen. (...) Wenn die Medien gefordert haben, dass ich aus dem WM-Kader fliegen soll, sollte er dann nicht sein Ehrenspielführeramt abgeben? Macht meine türkische Abstammung mich zu einem wertvolleren Ziel? (...) Hinzu kommt, dass sich ein weiterer Partner von mir losgesagt hat. Dabei handelt es sich auch um einen Partner des DFB. Vor der WM wurde ich gebeten, an Werbevideos teilzunehmen. Nach meinem Bild mit Präsident Erdogan haben sie mich aus der Kampagne genommen und alle weiteren geplanten Werbeaktivitäten gestrichen. (...) Das ist sehr ironisch, denn ein deutsches Ministerium hatte ihre Produkte für illegal erklärt, da sie unautorisierte Software beinhalte, die das Risiko für den Kunden erhöhe. Hunderttausende ihrer Produkte wurden zurückgerufen. (...) Habe ich nicht recht, dass das viel schlimmer ist als ein Foto mit dem Präsidenten des Landes meiner Familie? Was sagt der DFB zu alldem?"

Teil 3: Grindel

"Was mich in den vergangenen Monaten am meisten frustriert hat, ist die schlechte Behandlung durch den DFB, insbesondere durch Präsident Reinhard Grindel. (...) Während ich versuchte, ihm meine Herkunft und damit meine Gedankengänge hinter dem Foto zu erklären, war er vielmehr daran interessiert, über seine politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung herabzusetzen. (...) Seit dem Ende der WM steht Grindel zurecht unter großem Druck wegen seiner Entscheidungen vor Turnierbeginn. Er hat öffentlich gesagt, dass ich meine Handlungen noch mal erklären soll. Er macht mich verantwortlich für die schwache Teamleistung in Russland, obwohl er mir in Berlin sagte, es sei erledigt.

Ich spreche nun nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will. Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job richtig zu machen. Ich weiß, dass er mich nach den Fotos aus dem Team haben wollte. (...) Aber Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich für mich eingesetzt und mich unterstützt.

In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren. (...) Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle? (...) Liegt es an der Türkei? Liegt es daran, dass ich Muslim bin? (...) Mich wegen meiner Vorfahren zu kritisieren und zu beschimpfen, diese Grenze zu übertreten ist schändlich, und Diskriminierung als Werkzeug für politische Propaganda zu benutzen, sollte umgehend im Rücktritt dieser respektlosen Personen resultieren.

Was Sie angeht, Herr Grindel, bin ich nicht überrascht von Ihren Handlungen. 2004, als Bundestagsabgeordneter, bezeichneten Sie Multikulturalismus als "Lebenslüge" und stimmten gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. (...) Das ist unvergessen und nicht zu verzeihen. Die Behandlung, die ich vom DFB und vielen anderen erhalten habe, bringt mich dazu, nicht länger das deutsche Nationaltrikot tragen zu wollen. Ich fühle mich ungewollt. (...)

Leute mit rassistisch diskriminierendem Hintergrund sollten nicht länger im größten Fußballverband der Welt arbeiten dürfen, der viele Spieler aus Familien verschiedener Herkunft hat. Deren Meinungen werden einfach nicht den Spielern gerecht, die sie repräsentieren sollen.

Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, solange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre.

© SZ vom 23.07.2018 / SZ, SID/DPA - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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