Hitzfeld-Absage:Umkehr vor dem Gipfel

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Der überraschende Verzicht von Ottmar Hitzfeld auf das Traineramt stürzt den DFB in tiefe Ratlosigkeit.

Von Ludger Schulze

Auf der Großleinwand im "Clube do frango", dem "Klub des Huhns", jenem Speiserestaurant in Lissabon, das Portugals Mittelfeld-Ass Rui Costa gemeinsam mit seinem Onkel Alberto führt, hatten die portugiesischen und niederländischen Spieler gerade Aufstellung genommen. Mitten in die ersten Takte der Nationalhymne klingelte das Handy eines Schweizers, der hier neben einem guten Dinner den Sieg der Portugiesen genießen wollte. Am Apparat war ein Anrufer aus Deutschland, der den Schweizer eindringlich bat, auf dessen Freund einzuwirken und diesen von seinem Vorhaben abzubringen. Dieser Freund ist Ottmar Hitzfeld.

Der Schweizer tat wie geheißen, aber er hatte ebenso wenig Erfolg wie andere in diese Angelegenheit eingebundene Personen. Obwohl die Telefonleitungen glühten, gelang es niemandem, Ottmar Hitzfeld, 55, von seinem Vorhaben abzubringen.

Am nächsten Morgen, dem gestrigen Donnerstagmorgen, griff der Erfolgstrainer zum Telefon, rief den DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder in Lissabon an und teilte ihm mit, dass er das Angebot, in Nachfolge von Rudi Völler Bundestrainer zu werden, ausschlagen müsse. Kurz darauf wurde die Geschäftsstelle des Verbandes informiert, die Presseabteilung formulierte ein Kommuniqué, das umgehend den Nachrichtenagenturen zugesandt wurde.

Um 12.59 Uhr erreichte die Zeitungsredaktionen ein so genannter Flash des Sport-Informationsdienstes sid: "Hitzfeld wird nicht Fußball-Bundestrainer", lautete die lapidare Meldung, der Minuten später eine ausführlichere Begründung des derzeit in Engelberg in der Schweiz urlaubenden Coaches folgte: "Diese Entscheidung ist mir sehr, sehr schwer gefallen. Das Amt des Bundestrainers ist eine Auszeichnung, die Weltmeisterschaft im eigenen Land ein Traum. Aber ich bin derzeit nicht in der Verfassung, die nötig ist, der deutschen Nationalmannschaft bis zur WM 2006 weiterzuhelfen - so, wie ich das unbedingt für nötig halte. Ich möchte mich für das mir entgegen gebrachte Vertrauen bedanken. Mit Herrn Mayer-Vorfelder habe ich ein gutes Gespräch geführt und wir hatten Einigkeit in allen wesentlichen Punkten erzielt", wird Hitzfeld zitiert.

Alles deutete auf Hitzfeld

Das war nicht nur für Mayer-Vorfelder ("Ich bedauere die Entscheidung von Ottmar Hitzfeld , aber ich habe sie zu respektieren") ein Schock, sondern für die deutsche Fußball-Öffentlichkeit, die nach ersten positiven Signalen Hitzfeld fest mit ihm rechnete. In der Tat hatte der Meistertrainer schon Minuten nach dem Rücktritt von Rudi Völler ein Interview gegeben, das keinen anderen Schluss zuließ als den, dass der neue Bundestrainer Hitzfeld heißen werde.

Am vergangenen Samstag traf er sich mit Mayer-Vorfelder im feudalen Hotel Alfonso XIII. in Sevilla, man besprach Vertragsinhalte wie etwa das Gehalt, den Wunsch Hitzfelds, seinen treuen Eckermann Michael Henke als Assistenten mitzubringen, und trennte sich schließlich im besten Einvernehmen.

Noch am Mittwochnachmittag hinterließ Gerhard Mayer-Vorfelder in einer Talkshow des Deutschen Sport-Fernsehen (DSF) den Eindruck eines mit sich selbst zufriedenen Mannes, der vor einem gelungenen Geschäftsabschluss steht. Doch nun dürfte Mayer-Vorfelders Machtposition mit den gescheiterten Verhandlungen weiter geschwächt sein, zumal da ihm im eigenen Verband in Schatzmeister Theo Zwanziger ein von einer breiteren Opposition getragener Gegenspieler erwächst.

Wie aus Ottmar Hitzfeld nahe stehenden Kreisen zu erfahren war, befand sich dieser zuletzt in einem persönlichen Dilemma. Einerseits war diese Aufgabe als Bundestrainer der von ihm stets angestrebte Gipfelpunkt einer an Triumphen ohnehin reichen Karriere. Auch die Gage, die noch um einiges höher liegen sollte als sein Grundgehalt zuletzt beim FCBayern (circa 2,5 Millionen Euro), entsprach den Wunschvorstellungen des sehr aufs Geld bedachten Spitzentrainers.

Allein die Möglichkeiten der werblichen Vermarktung hätten ihn in den zwei Jahren bis zur WM zu einem noch reicheren Mann gemacht. Und mit einem guten Abschneiden bei dem Turnier im eigenen Land hätte Ottmar Hitzfeld Eingang in die kleine Riege der Trainerlegenden wie Sepp Herberger oder Helmut Schön gefunden.

Doch sämtliche Reize des Jobs, die ihm vor einer Woche noch so verlockend vorkamen, wie auch das Wissen, dass damit eine berufliche Lebenschance passé ist, waren letztlich zu schwach gegen die innere Stimme: "Ich habe auf meinen Körper gehört - und der sagt Nein", erklärte Hitzfeld. Die vergangenen sechs Jahre beim FC Bayern, besonders aber die letzten Wochen, als er um den Erhalt seines Jobs kämpfen musste, haben ihm offenbar stark zugesetzt. So stark jedenfalls, dass er das für eine solch herkulische Aufgabe nötige Feuer nicht in sich spürt.

Die alten Namen

Im DFB und in der Bundesliga herrscht nun Ratlosigkeit. Am kommenden Montag wird das zwölfköpfige DFB-Präsidium unter Vorsitz Mayer-Vorfelders über die neuen Schritte und die alten Namen beraten: Otto Rehhagel hat bereits ebenso abgesagt wie Christoph Daum (Fenerbahce Istanbul), der wegen charakterlicher Mängel ohnehin kein ernsthafter Kandidat sein kann.

Dauerplauderer Lothar Matthäus wird von seinen Lobbyisten wieder ins Gespräch gebracht werden; der in jeder Weise geeignete Trainer-Grandseigneur Jupp Heynckes (Schalke 04) ist ebenso vertraglich gebunden wie etwa Felix Magath (FCBayern) oder Matthias Sammer (VfB Stuttgart). Zu haben hingegen wäre eventuell Guus Hiddink, der bei PSV Eindhoven eine Ausstiegsklausel im Vertrag haben soll, aber ein Ausländer kommt nach Meinung der DFB-Bosse auch in einem geeinten Europa nicht in Frage.

Was also tun? Zunächst einmal "die große Enttäuschung verarbeiten", wie Uli Hoeneß, Manager beim FC Bayern, rät, "in aller Ruhe nachdenken und vor allem keine Schnellschüsse machen". Bevor man den nächstbesten Kandidaten verpflichte, solle man nach diesem "Schock für uns alle" im Hinblick auf die Bedeutung der WM 2006 im eigenen Land jegliche Denkfrist ausschöpfen: "Zur Not kann das erste Länderspiel nach der Sommerpause auch der Michael Skibbe machen", schlägt Hoeneß für alle Fälle vor. Am 18.August findet in Wien gegen Österreich die nächste internationale Begegnung statt. Da das DFB-Team als Gastgeber der WM 2006 keine Qualifikationsspiele bestreiten muss, ist rein theoretisch kein Faktendruck bezüglich einer sofortigen Entscheidung in der Trainerfrage vorhanden.

Vielleicht, so die heimliche Hoffnung vieler, hat Hitzfeld seine Meinung bis dahin revidiert. Dies hofft beispielsweise Michael Meier, Manager von Borussia Dortmund: "Ich kenne die Gründe nicht, aber ich kann mich nicht damit anfreunden, warum Ottmar Hitzfeld abgesagt hat. Ich denke, es gibt nur eine Ideallösung, und die heißt Hitzfeld. Es muss daran gearbeitet werden, dass er seinen Entschluss noch einmal überdenkt. Hitzfeld hat dem Fußball viel zu verdanken, und er steht in der Pflicht, dem deutschen Fußball etwas zurückzugeben." Markige Worte, aber ob sie Ottmar Hitzfelds Gehör finden?

© Süddeutsche Zeitung vom 2.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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