Hintergrund:Statt Hitze Dänemark

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England erreicht gegen Nigeria locker ein 0:0 und darf nun im Achtelfinale abends spielen.

Ronald Reng

(SZ vom 13.6.02) - Als er nach dem Spiel aus der Umkleidekabine kam, hatte Teddy Sheringham die erste Belohnung für das Erreichen des Achtelfinales schon in der Hand: einen Lutscher. "Sehr süß, sehr süß", sagte Sheringham, aber da sprach Englands Angreifer nicht über den Zitronengeschmack seines Lollipops, sondern über die Nachricht, dass Englands Vorrundengegner und bitterer Rivale Argentinien ausgeschieden war. Sheringham hörte davon, als er nach Englands 0:0 gegen Nigeria im Nagai-Stadion von Osaka aus der Dusche kam. Und er dachte sich: "Es ist nur traurig, dass wir sie nicht persönlich rausschießen konnten; es wäre zu schön gewesen, die Gesichter der Argentinier nach dem Aus zu sehen." Den Lolli hatte er schon wieder im Mund und lutschte vergnügt daran.

Kaum berührt, nichts passiert: Englands Verteidiger Nicky Butt gibt sich vor Nigerias Julius Aghahowa so harmlos wie ein 0:0-Unentschieden. (Foto: N/A)

Grundsätzlich ist er einer der freundlichsten Profis im Geschäft, doch es hat Sheringham schon immer Spaß gemacht, Wahrheiten auszusprechen, gerade wenn sie politisch unkorrekt klingen. Dass die Engländer Genugtuung am Leiden der Argentinier finden, ist für jeden erklärbar, der erlebte, wie sich die Südamerikaner nach dem 0:1 gegen England vor fünf Tagen in Sapporo benahmen. Nach Schlusspfiff verweigerten etliche ihrer Spieler den Handschlag, Englands Rechtsverteidiger Danny Mills wurde im Kabinengang angespuckt, Paul Scholes noch eine halbe Stunden nach Spielschluss von Matias Almeyda vor Journalisten primitiv beschimpft. Da wurde angesichts des argentinischen Ausscheidens die eigene Qualifikation in Osaka für England fast zur beiläufigen Notiz.

Gemütlicher Trab zur nächsten Runde

Oft heißt es in der Sportsprache, eine Mannschaft stürme in die nächste Runde - die Engländer trabten ins Achtelfinale. Die Weltmeisterschaft als hektisches und aufregendes Ereignis machte am Mittwochnachmittag in Osaka Pause. Es war wie in einem Schwimmbad: Träge und still hingen die 45000 Zuschauer auf den Tribünen und schauten den Wahnsinnigen zu, die bei dieser Hitze Fußball spielten. "Nach 15 Spielminuten kam der Gong", sagte Englands Trainer Sven-Göran Eriksson, "die Sonne knockte die Spieler aus."

Am Anfang bemühte sich England. Paul Scholes im Mittelfeld fiel auf, David Beckham hatte zunächst seinen prominentesten WM-Auftritt mit vielen Flanken. Schon bald jedoch wechselt ihr Spiel von ambitioniert auf professionell. Ein Unentschieden würde zum Weiterkommen genügen - und für ein Unentschieden genügten solide Anstrengungen, allen voran von Abwehrspieler Rio Ferdinand und Torwart David Seaman.

Standfußball in der Hitze

Nigeria, das nach seinen zwei vorangegangen Niederlagen nur noch für einen guten Eindruck spielte, füllte die halbe Mannschaft mit Novizen, etwa dem unorthodoxen, aber nicht so schlechten 19-jährigen Torwart Vincent Enyeama und dem enthusiastischen 17-jährigen Linksverteidiger Femi Opabunmi. Es genügte ihnen, den Ball in den eigenen Reihen laufen zu lassen. Und wenn sie doch mal vor das Tor kamen, stellte sich der auch erst 19-jährige Julius Aghahowa garantiert umständlich genug an. Am Ende spielten sie Standfußball.

Ob dieses Unentschieden ein Gewinn oder Verlust für England war, wird man erst am Samstag wissen. In der Theorie haben sie sich selbst geschadet, als sie einen leicht möglichen Sieg und somit Platz eins ihrer Vorrundengruppe verspielten. Nun geht es im Achtelfinale gegen Dänemark statt gegen das schwächere Senegal, und bei einem Weiterkommen droht der vierfache Weltmeister Brasilien bereits im Viertel- statt im Halbfinale.

Doch vielleicht haben sie als Gruppenzweiter ihren härtesten Gegner vermieden: die Hitze. Nun spielen sie ihr Achtelfinale Samstagnacht statt als Vorrundensieger sonntags um 15.30 Uhr. "Vermutlich ist das besser", sagte Mittelfeldspieler Trevor Sinclair, ehe er England das letzte Erfolgserlebnis des Tages bescherte: Er stieg in den richtigen Mannschaftsbus ein. Vergangenen Freitag war er gedankenverlorenen bei den Argentiniern zugestiegen.

Nigeria: Enyeama - Sodje, Yobo, Okoronkwo, Udeze - Christopher, Okocha, Obiorah, Opabunmi (86. Ikedia) - Aghahowa, Akwuegbu

England: Seaman - Mills, Campbell, Ferdinand, Ashley Cole (85. Bridge) - Beckham, Butt, Scholes, Sinclair - Owen (77. Vassell), Heskey (69. Sheringham)

Schiedsrichter: Hall (USA)Zuschauer: 46 000Gelbe Karten: -

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