Hintergrund:Falsch verbunden

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Gelassen scheitert Südafrika an groteskem Informationsdefizit.

Christoph Biermann

(SZ vom 13.6.02) - Tanzend und lachend kamen die Südafrikaner im Stadion an, wie eine Band auf die Bühne waren sie zum Warmmachen auf den Platz gelaufen. Doch am Ende war der Spass völligem Entsetzen gewichen. Ein Tor hatte ihnen zum größten Erfolg seit dem Gewinn des Afrikacups vor sechs Jahren gefehlt. Ein Tor mehr hätten sie schießen müssen, um Gegner der deutschen Mannschaft im Achtelfinale zu werden. Ein Tor, um das sie in den letzten Minuten der 2:3-Niederlage gegen Spanien nicht einmal gekämpft hatten. Weil sie glaubten, es nicht mehr schießen zu müssen.

Nach dem Schlusspfiff waren Südafrikas Spieler überrascht vom bösen Ende. (Foto: N/A)

Sechs Minuten vor dem Abpfiff war Paraguay in der parallel ausgetragenen Partie mit 3:1 in Führung gegangen. Dadurch hatten Südafrika und das Team aus Südamerika die gleiche Punktzahl, die gleiche Tordifferenz, aber Paraguay einen Treffer mehr erzielt. Sechs Minuten blieben den Südafrikanern, um das zu ändern, aber sie reagierten nicht. Auf der Leinwand im Stadion war das Ergebnis der anderen Partie nicht angezeigt worden. Doch die kleine Schar der südafrikanischen Berichterstatter hatte es auf der Pressetribüne im Fernsehen gesehen. Sie gestikulierten wild, um ihr Team nach vorne zu treiben. Und einer von ihnen, Bonny Schoonakker von der Sunday Times, rief sogar den Pressesprecher des Teams an. Sello Rabotato nahm den Anruf direkt an der Trainerbank an, aber die Information kam nicht richtig an.

Kein Aufbäumen im Informationsloch

Südafrikas mächtiger Trainer Jomo Sono machte begütigende Bewegungen, um das Spiel zu beruhigen. Er wechselte einen Defensivspieler ein, als wäre die Tragödie des Ausscheidens im letzten Moment gar nicht möglich. "Ich dachte, dass es nur 3:2 für Paraguay steht", sagte der Coach. Bradley Carnell vom VfB Stuttgart, der so gut gespielt hatte, war sogar auf einem noch älteren Wissensstand: "Bis kurz vor Schluss habe ich geglaubt, dass Slowenien mit 1:0 führte." Folglich bäumten sich die Spieler auf dem Feld nicht auf. Kein verzweifelter Ansturm war zu sehen, keine langen Bälle auf George Koumantarakis.

Der hühnenhafte Stürmer hatte zwar doch gehört, "dass wir ein Tor brauchen, aber nicht alle wussten es." Es war nicht zu fassen. Im Weltcup, der im Zeichen von Hochtechnologie und Kommunikation steht, verschwand das südafrikanische Team in einem Informationsloch.

Spaniens B-Team beeindruckte

Dabei hatte es über eine Stunde lang gut mitgehalten in dem schnellen, offensiven Spiel. Die Partie hatte den Reiz eines fast idealtypischen Kulturvergleichs, wie er im Zeitalter des globalisierten Fußballs rar geworden ist. Viele Ausrufe des Erstaunens begleiteten das Geschehen auf dem Rasen, dafür gab es ganz unterschiedliche Anlässe. Waren die Spanier am Ball, zogen sie auch mit ihrem fast aller Stammspieler beraubten B-Team ein Kombinationsspiel von mitunter chirurgischer Präzision auf.

Jeder Mann auf dem Platz technisch perfekt, mit sicherem Instinkt für die Position im Raum, flipperte der Ball zwischen den Stationen hin und her. Von höchster Eleganz war das und großer Leichtigkeit zugleich. Dem Hightech-Konzept stand der intuitive Straßenfußball der Südafrikaner gegenüber. Hier ging es nicht um Ordnung, sondern um Improvisation. Jede Ballannahme, jedes Dribbling, jeder Schussansatz barg Spektakuläres, das aber auch miserabel versickern konnte.

Zu überrascht, um enttäuscht zu sein

Das galt auch für Torhüter Andre Arendse, der gleich nach vier Minuten ein Tor herschenkte, als er einen Pass auf Raúl nicht aufnahm, sondern ihn einfach verspringen ließ, was der Spanier zum 1:0 nutzte. Nach einer halben Stunde rettete Arendse dann mit einer großen Parade gegen den Kopfball von Morientes, um im letzten Moment der ersten Halbzeit einen Freistoß von Mendieta in sein Torwarteck fliegen zu lassen.

Zwischendurch hatte Benny McCarthy ausgeglichen, und nach 53. Minuten war es Mannschaftskapitän Lucas Radebe, dem das zum 2:2 erneut gelang. Damit wäre Südafrika in der zweiten Runde gewesen, aber nur drei Minuten später machte der Verteidiger von Leeds United einen Stellungsfehler und Raúl sein zweites Tor zum entscheidenden 3:2. Nach der Partie vermochten die Verlierer nicht einmal richtig entsetzt zu sein. "Wir waren zu überrascht, um enttäuscht zu sein", sagte Koumantarakis. Das wird aber wohl noch kommen.

Südafrika: Arendse - Nzama, Radebe (80. Molefe), Aaron Mokoena, Carnell - Zuma, Fortune (83. Lekgetho), Teboho Mokoena, Sibaya - Nomvethe (74. Koumantarakis), McCarthy

Spanien: Casillas - Torres, Helguera, Nadal, Romero - Joaquin, Albelda (53. Sergio), Xavi, Mendieta - Raul (82. Luis Enrique), Morientes (78. Luque)

Tore: 0:1 Raul (4.), 1:1 McCarthy (31.), 1:2 Mendieta (45.), 2:2 Radebe (53), 2:3 Raul (56.)Schiedsrichter: Mane (Kuwait)Zuschauer: 38 000

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