Hertha verliert erst Boyata, dann das Spiel:Im Slalom aus dem Abstiegskampf

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Eintracht Frankfurts André Silva trägt mit zwei Toren zum 4:1 bei Hertha BSC bei. (Foto: John Macdougall/AFP)

Eintracht Frankfurt gewinnt deutlich in Berlin und schafft damit den Klassenverbleib. Ein Ziel, mit dem man sich eigentlich auch nie befassen wollte.

Von Javier Cáceres, Berlin

In Zeiten der Pandemie vor dem Weltuntergang zu warnen, mutet tautologisch an. Und doch war es genau das, was in Berlin geschah, ehe Hertha BSC auf Eintracht Frankfurt traf. Vier Gewitterzellen sollten sich, so wurde es vorhergesagt, rund um das Olympiastadion bewegen und über dem grünen Rasen entladen. Doch wie es so ist: Die Apokalypse pflegt ihre Propheten zu enttäuschen, wie der spanische Journalist Claudi Pérez bei allerhand Krisenberichten in der Zeitung El País geschrieben hat.

Es gab so viel Regen wie Fußball in Berlin - ein paar Tröpfchen, vor allem wegen eines Traumtors von André Silva zum zwischenzeitlichen 2:1 für die Eintracht - und einen 4:1-Sieg für die Eintracht, die das Spiel nach 0:1-Rückstand auch deshalb drehte, weil die Hertha eine Halbzeit lang in Unterzahl spielen musste. Allerdings schmerzte die Niederlage nur bedingt: Wie die Eintracht hat auch die Hertha nun den Klassenerhalt rechnerisch geschafft. Die Erleichterung darüber gebar ein hübsches Bonmot von Eintracht-Trainer Adi Hütter. Ein Abstieg "war auch nie unser Ziel", sagte er.

Die Berliner Hertha, die unter dem Post-Pandemie-Trainer Bruno Labbadia einen nachgerade wundersamen Aufschwung erlebt hatte, traf auf einen fundamental neu strukturierten Gegner. Eintracht-Trainer Adi Hütter hatte nahezu die ganze Mannschaft ausgewechselt; anstelle von Hinteregger, Toure, Ilsanker, Rode, Chandler, Gacinovic und Silva spielten Hasebe, da Costa, Sow, Torro, Kostic, Kamada und Dost. Bei der Hertha gab es mit drei Wechseln nicht annähernd so viele Neue, dafür aber eine Personalie, die aufhorchen ließ: Maximilian Mittelstädt fällt für den Rest der Saison aus; beim ehemaligen Covid-Patienten wurde nun Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert. Doch das war nicht ursächlich für den überaus zähen Spielbeginn.

Das Spiel entscheidet sich kurz vor der Halbzeit - am Berliner Strafraum

Abzüglich eines Freistoßes von Eintrachts Filip Kostic dauerte es bis zur 24. Minute, ehe so etwas wie eine Torchance zu begutachten war. Kapitän Vedad Ibisevic zielte aus spitzem Winkel aufs kurze Eck und fand in Eintracht-Torwart Kevin Trapp seinen Meister. Kurz danach aber erzielte Hertha doch die Führung. Nachdem Eintracht-Verteidiger Makoto Hasebe einen Stolperfehlpass im eigenen Strafraum spielte, landete der Ball bei Herthas Wintereinkauf Krzystof Piatek, der sich durch zwei Gegner hindurchtankte und dann flach zur Führung einschoss. Doch der Jubel war kein Vorbote eines neuerlichen Hertha-Sieges, sondern im Gegenteil der ersten Pleite des Trainers Bruno Labbadia gegen Eintracht Frankfurt: Zunächst verlor Hertha den Mittelfeldabräumer Per Skjelbred wegen einer Verletzung. Dann, unmittelbar vor der Halbzeit, sollte sich die wohl spielentscheidende Szene ereignen.

Nach einem Pass in die Tiefe lief Eintrachts Sturm-Funkturm Bas Dost allein auf das Tor von Rune Jarstein zu - und kam am Strafraum im Laufduell mit Herthas Abwehrchef Dedryck Boyata zu Fall. Schiedsrichter Robert Hartmann musste seine ursprünglichen Entscheidungen (Elfmeter und Gelb-Rot gegen Boyata) nach Ansicht der TV-Bilder zwar korrigieren: Der Fall hatte sich außerhalb des Strafraums ereignet und zog also "nur" einen Freistoß aus aussichtsreicher Position nach sich. Doch auch wenn Dost letztlich über die eigenen Beine stolperte, durfte Boyata nicht zurück aufs Feld. Der Referee meinte, dass Boyata sich bei einer allenfalls sanften Berührung des Vergehens einer Notbremse schuldig gemacht hatte - und annullierte daher zwar die gelbe Karte, zeigte dem Belgier dafür aber glatt Rot. Der Gefoulte beendete die Diskussionen, zumindest aus seiner Sicht, nach dem Spiel im Interview beim Fernsehsender Sky: "Er hat mich berührt. Klare rote Karte."

Während Dosts Zeugenaussage auch nach mehrmaligem Ansehen der Bilder nicht komplett abzusichern ist, steht in der Retrospektive fest, dass Kevin Trapp recht hatte, als er nach dem Spiel sagte: "Die rote Karte hat uns geholfen." Das war noch untertrieben, die Entscheidung konditionierte das Spiel vollends. Herthas Trainer Labbadia nahm Stürmer Ibisevic vom Feld, um die Abwehr mit Niklas Stark zu komplettieren. Und noch ehe sich die Defensivreihe der Berliner geordnet hatte, schlug die Eintracht zu. Nach einer Flanke von Danny Da Costa legte der eingewechselte André Silva per Kopf ab, und Bas Dost konnte den Ball nur deshalb per akrobatischem Can-Can-Beinschwung im Tor der Berliner unterbringen, weil er längere Beine hat als die Tänzerinnen des Moulin Rouge. Nachdem etwas mehr als eine Stunde gespielt war, hatte dann Daichi Kamada seinen Auftritt. Nach einem maradonahaften Dribbellauf, bei dem er drei Herthaner im Strafraum austanzte, bediente er Silva, der den Spielzug mit einem Absatzkick aus drei Metern veredelte. "Wenn ich nicht wüsste, dass er Japaner ist, würde ich sagen: Er ist ein Österreicher", sagte Eintracht-Trainer Hütter zu Kamadas Slalom. Den Endstand stellten Evan Ndicka (69.) und wiederum Silva (84.) her.

Damit ist die unter der Woche im Pokal beim FC Bayern gescheiterte Eintracht wieder im Rennen um den Europa-League-Platz, der siebte Rang in der Endabrechnung würde für die Qualifikationsrunde reichen. "Wir müssen erst mal unsere Hausaufgaben machen. Wir wollen jedes Spiel gewinnen, das ist auch definitiv machbar", sagte Trapp. Sein Trainer würde die Qualifikationsrunde für die Europa League ebenfalls gern mitnehmen: "Man will immer das Bestmögliche", sagte Hütter.

© SZ vom 14.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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