Hertha-Sieg im DFB-Pokal:Ultimativer Ausgang eines Ultimatums

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Ein verschossener Elfmeter nach schwachem Spiel sichert Hertha-Trainer Stevens den Arbeitsplatz - vorerst.

Von Javier Cáceres

(SZ vom 30.10.2003) - Da stand er nun, Dieter Hoeneß, in den Katakomben des Rostocker Ostsee-Stadions, vor einer Werbewand mit bunten Logos und harrte einer Live-Schaltung in das abendliche, öffentlich-rechtliche Fußballprogramm.

Huub Stevens jubelt nach dem Sieg mit dem Spieler Josip Simunic. (Foto: Foto: dpa)

"Noch eine Minute", gab ihm ein TV-Mann weiter und wachte gleichzeitig darüber, dass nur ja keiner der vielleicht 20 Journalisten, die der Hoeneß'schen Antworten harrten, durchs Bild liefen. "Dreißig Sekunden noch", hieß es, und Hoeneß war weit davon entfernt, nervös zu werden. Er schmunzelte, wandte sich wippend einem der Reporter zu und sagte: "Manchmal ist's verrückt. Oder?"

Ja, manchmal ist es das. Als Hoeneß noch in höchster Anspannung am Spielfeldrand stand, noch eine Minute, dann dreißig Sekunden der Verlängerung des Pokalspiels zu absolvieren waren, da lag Hansa Rostock vorne, 2:1, und Trainer Huub Stevens war dem ursprünglichen Wortlaut der skurrilen Erfindung namens "ultimative Vereinbarung" zufolge seine Beschäftigung los.

Ein letzter Eckball flog hinein, von einem Spieler, auf dessen Rücken der Schriftzug Marcelinho stand, und Hansas Abwehr konnte einen letzten, verzweifelten Kopfball von Andreas Schmidt noch abwehren - den Nachschuss des Stürmers Nando Rafael schon nicht mehr. Der Referee piff ab. Es folgte ein Elfmeterschießen, in dem Hertha obsiegte - unter anderem dank Torwart Gabor Kiraly, der seine ausgezeichnete Leistung dadurch krönte, dass er den Strafstoß von Hansas Gernot Plassnegger und das 4:3 im Elfmeterschießen festhielt.

Der ultimative Ausgang eines Ultimatums, sozusagen. "Ein Happy-end-Szenario", urteilte Hoeneß und mutmaßte, dass Hollywood-Regisseur Steven Spielberg "die Hand im Spiel gehabt haben könnte". Oder eine vergleichbare Kapazität.

Zeichen von der Mannschaft und den Fans

Zum Beispiel aus dem Horrorgenre oder dem film noire. Es hat ja wirklich nicht viel gefehlt, und Hoeneß hätte ziemliche Erklärungsnöte gehabt. Hoeneß sagte nämlich, dass die Auslegung der ultimativen Vereinbarung "nicht so rigoros gehandhabt worden wäre" wie vor zehn Tagen avisiert: Ein Ausscheiden im Cup hätte Stevens' Abschied nicht zwingend zur Folge gehabt.

Was die Frage aufwirft, welchen tieferen Sinn die unmissverständliche Forderung von zwei Siegen aus zwei Spielen in Rostock (Samstag in der Liga, Dienstag im Pokal) dann hatte. Den Bann zu durchbrechen, erklärte Hoeneß, und insistierte, dass Hertha vor zehn Tagen "keine Alternative" hatte - beziehungsweise eine, die er partout nicht anwenden wollte: Stevens direkt auf die Straße zu setzen.

Nun habe er in zwei Spielen am Baltikum Zeichen gesehen: von der Mannschaft, die klar gemacht habe, dass sie mit Stevens weiter arbeiten wolle; von den Fans, die das Team (und ein bisschen auch Stevens) wieder unterstützt hätten, und auch vom Schicksal, denn Hertha und Stevens haben endlich wieder die Fortune gehabt, die man eben brauche. "Es ging einfach darum, die richtige Entscheidung für den Verein zu treffen. Danach sieht es jetzt aus", sagte Hoeneß.

Herthas Abhängigkeit von Marcelinho

Gemessen an Herthas Vortrag wirkte das etwas verwegen. Nach dem 1:0 durch Luizão, der einen Freistoß Marcelinhos ins Tor spitzelte (19.), verfiel Hertha in einen Höhlenmenschen-Fußball, den Meister Spielberg prima in "Jurassic Parc" hätte verwursten können. Es langte, dass Hansas zweifacher Torschütze Marcus Lantz den Motor anwarf, um Hertha nach Luft schnappen zu sehen. Rund 90 Minuten lang wirkte Hertha nicht wie eine Mannschaft, sondern wie eine Lose-Blatt-Sammlung.

Der Druck, der nun von ihm abgefallen sei ("heute bin ich erleichtert"), habe auch auf seiner Elf gelastet, meinte Stevens entschuldigend. Doch der Verdacht liegt nahe, dass Herthas Abhängigkeit von Marcelinho schlicht atemberaubend ist. Dass er mit verrinnender Zeit nur noch wie das Abziehbildchen seiner selbst wirkte, hatte einen offensichtlichen Grund: Es war sein drittes Spiel nach neunwöchiger Pause, die letzten beiden musste er binnen 72 Stunden absolvieren. Er war schlichtweg platt.

Die Hoffnung, dass es nun ruhiger werden könne, hat Stevens eingestandenermaßen; bemerkenswert war übrigens aufs Neue, wie charmant er zu den Journalisten sprach (gemessen jedenfalls an früheren, vergleichbaren Auftritten). Allein: "Wir können uns jetzt nicht zurücklehnen". Auch Hoeneß findet dies, "wir sind weiter in einer kritischen Situation" oder eben auf Platz 15 der Bundesligatabelle.

Hoeneß hofft sogar, dass eine Basis für eine nachhaltige Arbeit gelegt worden ist: Stevens' Vertrag gehe "noch eine ganze Weile", und wer weiß, vielleicht hat man plötzlich so viel Erfolg, dass man sich eines Tages über eine "mittelfristige Zusammenarbeit" unterhalten könne. Ein jeder sei gefragt, "ob er ein bisschen dazu beitragen kann, dass Huub Stevens eine faire Chance erhält", sagte Hoeneß und meinte fraglos auch die Medien.

Doch die hat Stevens, bei aller Hysterie, die zuletzt an mancher Stelle zu beobachten war, seitens der Berliner Presse gehabt. Über ein Jahr lang. Und nun? Nun wird gegrummelt, immer noch; Siege hin, Siege her. Die BZ nölte: "Huub, das war zu knapp".

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