Hertha BSC:Trübsal im Förderverein

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Eine "Vollkatastrophe": Kevin-Prince Boateng schießt für Eintracht Frankfurt das 2:1-Siegtor in Berlin - ist aber mit seiner Leistung unzufrieden. (Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Zuerst Gladbachs Raffael, nun Kevin-Prince Boateng von Eintracht Frankfurt: Ehemalige Berliner stürzen Hertha BSC ins Liga-Mittelmaß. In Zukunft will der Klub seine talentierten Spieler halten - doch das wird mit schwachen Ergebnissen kompliziert.

Von Nico Fried, Berlin

Mit welchem Verein wohl der Hertha-Stürmer Davie Selke, 22, eines Tages nach Berlin zurückkehren wird? Oder Maximilian Mittelstädt, 20 Jahre alt, der am Sonntag gegen Eintracht Frankfurt mit Marvin Plattenhardt zumindest eine halbe Stunde lang den linken Flügel sehr ansehnlich betanzte? Oder Arne Maier, gerade mal 18 Jahre alt, aber jetzt schon selbstbewusster Passgeber im Berliner Mittelfeld?

Es fehlt Hertha BSC in dieser Saison so manches, um wie im letzten Jahr zu dieser Zeit weiter vorne mitzuspielen. An Talenten fehlt es ihr nicht. Aber je schwerer die Jungen auf dem Platz vom Gegner zu halten sind, desto schwerer wird es für den Verein, wenn alsbald die Scouts der Branchengrößen angreifen. Und in diesem trüben Herbst erfahren die Berliner besonders schmerzlich, dass die erfolgreiche Förderung junger Kräfte sich irgendwann in geballter Form gegen den eigenen Verein richten kann - und mehrere womöglich entscheidende Punkte kostet.

Kevin-Prince Boateng war ja auch mal so einer. Mit sechs begann er bei Hertha BSC. Auch er war gerade mal 18, als er 2005 das erste Mal in der Bundesliga spielte, übrigens gegen Eintracht Frankfurt. In der Rückrunde derselben Saison schoss er sein erstes Bundesliga-Tor, wieder gegen Eintracht Frankfurt. Am Sonntag aber war er mit dieser Eintracht aus Frankfurt zu Gast im Berliner Olympiastadion. Und diesmal traf der Rückkehrer in der 8o. Minute gegen die Hertha zum 2:1-Auswärtssieg.

Allzu großen Jubel über das Tor gestattete sich der Schütze nicht. Er habe ja, so Boateng nach dem Spiel, noch immer Respekt vor seinem alten Verein. Wobei es für manchen Berliner weniger respektvoll als demütigend geklungen haben mag, wie Boateng über seinen Auftritt sprach: Eine "Vollkatastrophe" sei das gewesen, seine schlechteste Leistung der Saison. So gesehen hatte die Hertha gegen eine Eintracht verloren, die quasi nur mit zehneinhalb Mann aufgelaufen war.

Hertha und die Nachwuchsarbeit: Da drängen einerseits junge Spieler ins Team, und einstige Leistungsträger müssen auf der Bank Platz nehmen. Am Sonntag erlebte das einer wie Salomon Kalou, vor fünf Jahren immerhin noch Champions League-Sieger, schon im dritten Spiel hintereinander. Andererseits hat die Hertha nun schon zum zweiten Mal in Serie ein Heimspiel verloren, weil ehemalige Berliner sich gänzlich unnostalgisch zeigten. Vor zwei Wochen war es Raffael, der in seiner Karriere bislang für keinen Verein so oft gespielt hat wie für die Hertha, der mit zwei Toren für seinen jetzigen Arbeitgeber Borussia Mönchengladbach den Sieg in Berlin sicherte. Und an diesem Sonntag eben Boateng. Dass die Frankfurter auch noch von Niko Kovac trainiert werden, der mit Boateng bei Hertha einst zusammengespielt hat, machte die Sache für die Berliner gewiss nicht erfreulicher. Von Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic, zwei Jahre lang Angestellter von Hertha BSC, gar nicht zu reden.

Dabei hatte es 20 Minuten lang gut ausgesehen für die Berliner. Sie dominierten den Gegner, spielten forsch nach vorne und führten nach einer Viertelstunde durch ein Tor von Selke mit 1:0. Warum die Mannschaft dann schlagartig das Spiel nach vorne einstellte und sich fast ängstlich in die eigene Hälfte zurückzog, gehört zu den Fragen, die Trainer Pal Dardai in der Nachbereitung klären muss. "Das war so nicht abgesprochen", stellte Dardai nach dem Spiel lakonisch fest.

Nach 14 Spieltagen muss der Trainer den Blick nun eher nach unten richten. Fünf Punkte Vorsprung sind es auf den Relegationsplatz. Womöglich aber findet man in Berlin die Europa League nach den Erfahrungen dieser Saison zumindest sportlich gar nicht mehr so erstrebenswert. Vor dem letzten Spieltag der Vorrunde an diesem Donnerstag steht das Ausscheiden der Hertha bereits fest. Die mühseligen, aber erfolglosen Reisen quer durch Europa haben Kraft gekostet.

Eintracht Frankfurt hingegen liegt nun auf Platz acht, in Schlagweite der Europa League-Plätze. Und das, obwohl nur fünf Mannschaften weniger Tore geschossen haben als die Hessen (16). Dafür bleibt die Eintracht die zweitbeste Auswärtsmannschaft hinter den Bayern. Weshalb der Frankfurter Sportvorstand Bobic in seiner ehemaligen Heimat Berlin im schwäbischen Dialekt seiner Stuttgarter Jugend feststellte, die Hauptsache sei, man mache die Punkte: "Wo, isch egal."

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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