Hertha BSC :Kater ohne Kopfweh

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Herthas Torwart Rune Jarstein (r) und Jordan Torunarigha. (Foto: John Macdougall/dpa)

Nach dem 1:4 gegen Frankfurt haben sich die kühnen Europa-Träume der Berliner quasi erledigt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Mit dem Geschichtsbewusstsein ist es ja stets so eine Sache, man kann das immer wieder und so auch jetzt auf vielen Foren der öffentlichen Debatten begutachten. Und wer weiß, vielleicht kam es dem Trainer von Hertha BSC, Bruno Labbadia, gar nicht mal so ungelegen, dass die Frankfurter Eintracht beim Besuch im Berliner Olympiastadion mit erschlagender Macht auf die bewegte jüngere Vergangenheit der Berliner verwies. 4:1 siegte die SGE und sicherte nicht nur den Klassenverbleib, sondern zerstörte auch die aufkeimenden europäischen Träume der Berliner.

Labbadia bezeichnete sich selbst als verkatert - obwohl er keinen Alkohol trinke. Aber der Kopfschmerz hielt sich in Grenzen. Wenn ihm jemand gesagt hätte, dass sich die in dieser Saison lange abstiegsgefährdete Hertha - wie amtlich ist - drei Spieltage vor Schluss rettet, "hätte ich das glatt unterschrieben", sagte Labbadia nun. Und er mahnte, dass der Klub noch einen "extrem langen Weg" vor sich habe.

Wobei das Spiel vom Samstag seine verzerrenden Momente hatte. Nachdem Krzysztof Piatek die Berliner Führung erzielt hatte (24.), verlor die Hertha-Elf binnen Minuten ihre strukturellen Ankerpunkte. Erst meldete sich der zuletzt überragende Mittelfeldspieler Per Skjelbred verletzt ab, weil die Wade zwickte (34.). In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit flog Abwehrchef Dedryck Boyata vom Platz, obwohl man ihm kein Foul unterstellen konnte. Erst mit einer Lupe konnte man auf dem Bildschirm sehen, dass es so etwas wie einen Kontakt zwischen Boyata und Eintracht-Stürmer Bas Dost gegeben hatte. Und obschon die Berührung zarter kaum sein konnte, entschied der Schiedsrichter nach Ansicht der Videobilder auf Notbremse. Der Grund: Dost war sehr spektakulär gefallen, da er sich gleichzeitig selbst in die Hacken getreten hatte. Der Referee nahm, immerhin, den zunächst verhängten Elfmeter zurück und entschied auf Freistoß. Filip Kostic vergab, doch mit dem Platzverweis für den Belgier Boyata hatte die Eintracht in der zweiten Halbzeit freie Bahn. "Wenn kleine Mosaiksteinchen ausfallen, bekommen wir Probleme, weil es noch nicht so gefestigt ist", sagte Labbadia am Sonntag. Wobei das untertrieben war. Denn mit Boyata und Skjelbred traf es nicht Mosaiksteinchen, sondern die Hertha-Säulen der vergangenen Wochen.

Erst erzielte Dost (51.) den Ausgleich, und als die Gewitterwolken überm Stadion grollten, ließ Daichi Kamada seinen österreichischen Vorgesetzten Adi Hütter daran zweifeln, dass er das Licht der Erde in Japan erblickt hat. Denn nach gut einer Stunde tanzte der Frankfurter Offensivspieler die Berliner Defensivkräfte Grujic, Torunarigha und Stark aus und passte auf den eingewechselten Stürmer André Silva, der die Aktion mit einem Absatzkick vollendete. "Er hat gewirkt wie ein Slalomläufer. Wenn er nicht ausschauen würde wie ein Japaner, hätte ich gedacht, er ist ein Österreicher, vielleicht ein guter Skifahrer", sagte Eintracht-Trainer Adi Hütter, der sich noch über die Treffer von Evan Ndicka (68.) und neuerlich Silva (86.) freuen durfte. Platz sieben, der zur Teilnahme an der Europa-League-Qualifikation berechtigt, ist für die Eintracht nun zwar wie für die Hertha fünf Punkte entfernt. Das Restprogramm der Eintracht (Schalke, Köln, Paderborn) liest sich allerdings perspektivreicher als das der Hertha (Freiburg, Leverkusen, Mönchengladbach), weshalb bei den Frankfurtern ein größerer Optimismus herrscht. "Platz sieben ist vielleicht noch machbar", sagte Sportdirektor Bruno Hübner zuversichtlich.

Die Hertha wiederum kann sich fast schon der kommenden Saison widmen; am Samstag war der Zugang Lucas Tousart im Stadion zu Besuch, er kommt von Olympique Lyon aus Frankreich, wo die Liga abgebrochen worden war. Bei Saisonbeginn wird er rund vier Monate am Stück kein Spiel absolviert haben, "das ist fast gleichzusetzen mit einer großen, schweren Verletzung", sagte Labbadia. Gleichwohl sei der Mittelfeldspieler ein verheißungsvoller Transfer: "Er wird uns gut zu Gesicht stehen."

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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