Hertha BSC:"Bei uns tötet keiner"

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In seiner Enttäuschung über den verpassten Champions-League-Platz tadelt Hertha-Trainer Pal Dardai seine brave Elf der Schwiegersöhne.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Pal Dardai sah die Zeit gekommen, mit einem ehernen Prinzip zu brechen. Er habe seine Mannschaft immer in Schutz genommen, er habe sich immer vor sie gestellt, aber damit sei es jetzt vorbei. Und dann bündelte der Trainer von Hertha BSC seine Enttäuschung in einen bitteren Vortrag: "Wir haben keine Wettkampftypen. Wir sind viel zu nett, zu brav."

Anschließend blickte er auf dem Podium hinüber zu Dirk Schuster, seinen Kollegen, der sich soeben mit Darmstadt und einem 2:1-Triumph in der Hauptstadt definitiv eine weitere Spielzeit, die zweite nach dem Überraschungs-Aufstieg, in der ersten Liga gesichert hatte: "Gratuliere, Dirk. Das sind Wettkampftypen. Wir hingegen: Jedes Mal, wenn wir 1:0 führen, dann kippt das Konzert. Wir haben offenbar Angst vor dem Erfolg."

Und auch wenn es jetzt hart klingen möge, entschuldige der Ungar seine Wortwahl bereits im Voraus: "Bei uns tötet keiner. So wie Sandro Wagner heute getötet hat. Wir können das nicht." Ausgerechnet Wagner, dem einst in seinen erfolglosen Jahren in Berlin genau das vorgehalten worden war, was er über die gesamte Saison für Darmstadt so entschlossen vorführte: den entscheidenden Stich zu setzen, das entscheidende Tor zu erzielen, das beim Gegner das Herz bluten lässt. "Uns aber fehlt der Mut", so Dardai, der bereits über eine Radikalkur nachdenkt: "Vielleicht muss ich wieder häufiger mittrainieren. Und dann auch mal den ein oder anderen treten."

In Mainz steht ein spezielles Finale an

Der fehlende Mut, die Angst vor dem Erfolg, das alles hat dazu geführt, dass die Hertha den Champions-League-Startplatz, auf dem sie in der Tabelle überwintern durfte, jetzt endgültig verspielt hat. Mönchengladbach ist auf Platz vier, der zumindest zur CL-Qualifikationsrunde berechtigt, am letzten Spieltag nicht mehr einzuholen.

Zwar dürfen die Berliner in der kommenden Saison nach langer Pause wieder international mitwirken, allerdings nur in der Europa League. Und nun geht es Pfingstsamstag darum, Platz fünf oder sechs zu sichern - und Platz sieben zu vermeiden. Platz sieben bedeutet: Kürzere Ferien, früherer Trainingsstart, denn wer Siebter wird, muss sich erst in den Mühlen der Qualifikation behaupten. Es kommt also in Mainz, beim mit 49 Zählern punktgleichen Fünften, zu einer Art Qualifikations-Vermeidungs-Finale.

"Aggressivität", fordert Dardai in diesem Finale von allen, "die in meinem Team vielleicht auch zu intelligent sind". Fast alle aus seiner "braven, netten Mannschaft" - den Weiser oder den Skjelbred, Haraguchi oder Ibisevic, Torschütze Darida oder den jungen Mittelstädt - könne er sich auch "als Schwiegersöhne" vorstellen, so der Trainer. Problem eins bei diesem Gedanken: Dardai hat keine Tochter.

Problem zwei: Dardai betreut eine Fußball-Auswahl in der Bundesliga, und deshalb hat er das Profil für Herthas Kader-Planung für die kommende Saison in der ersten Verbitterung bereits festgelegt: "Wir brauchen mehr diese Wettkampftypen." Die Fahndung ist eröffnet.

© SZ vom 08.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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