Hauptversammlung des BVB:Die Abrechnung versinkt im Tränenbad

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In Dortmund tritt Rauball die Nachfolge von Niebaum an, doch die BVB-Mitglieder fordern weitere Rücktritte.

Von Andreas Burkert

Der Mann, der jetzt am Rednerpult steht, hat sich schick gemacht für den Tag der Abrechnung, er trägt Anzug und Krawatte. Vermutlich zieht er sich gewöhnlich anders an, er sagt, seine Familie stamme vom Borsigplatz, von dort also, wo das Gründungslokal des Ballspielvereins Borussia 09 e.V. Dortmund steht.

Für den Mann aus dem Arbeiterviertel ist diese Borussia eine Herzensangelegenheit, er hat schon früher schlechte Zeiten mitgemacht. "Wir haben oft Scheiße gefressen", spricht er ins Mikrophon, doch immer sei man wieder aufgestanden, die Fans des BVB und der Verein, und das wünsche er sich auch jetzt. Wenn das nur so einfach wäre.

Der BVB ist nicht mehr am Borsigplatz zuhause, sein Zuhause sind zurzeit Unternehmensberatungen, die Firmenzusammenbrüche verhindern sollen. Borussia Dortmund ist pleite, das kann jeder ablesen auf den so genannten "charts", die Firmengeschäftsführer Michael Meier am Sonntag den Mitgliedern auf die borussiagelbe Leinwand werfen lässt. 118,9 Millionen Euro Schulden hat die GmbH & Co. KgaA im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftet, wegen Pech und Verletzungen vor wichtigen Spielen, wie Meier klagt; aber auch, "weil wir eine risikoorientierte Politik betrieben haben".

Der Mann vom Borsigplatz und die anderen Redner verlangen nach besseren Erklärungen, andere nach personellen Konsequenzen. Gerd Niebaum, seit 18 Jahren Präsident, wird zwar am Sonntag sein Amt niederlegen und Platz machen für seinen Nachfolger Reinhard Rauball, wie das angekündigt war. Doch solle Niebaum auch bitte als Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft auf Aktien zurücktreten, verlangen sie, und mit ihm auch gleich Kollege Meier.

"Ich bin nicht zustimmungsgeil", sagt der frühere NRW-Minister Hermann Heinemann, um die 70, "aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand einen Betrieb an die Wand fährt und ihn dann wieder zum Aufstieg bringt." 1745 Mitglieder sind zur Hauptversammlung in die Westfalenhalle 1 gekommen, sie applaudieren Heinemann lautstark und erheben sich. Später werden die Mitglieder den Vorstand um Niebaum trotzdem mehrheitlich entlasten, mit 823 zu 442 Stimmen (bei 55 Enthaltungen).

Zwischendurch hat man das immerhin für fraglich gehalten, wohl auch Niebaum und Meier, so blass und sorgenvoll sahen sie aus. Nicht mal der Abteilungsleiter der Tischtennisabteilung hatte sich einen indirekten Seitenhieb auf die Misswirtschaftler verkneifen können, als er berichtete, die Herrenmannschaft habe auf den Aufstieg in die Bundesliga verzichten müssen, weil "der Herr Meier" den Etat nicht erhöhen konnte.

Niebaum pariert in der Aussprache zu den desaströsen Geschäftszahlen die Angriffe aus dem Auditorium ruhig wie ein tagesschau-Sprecher - und betont abermals, er sei "von den Gremien gebeten" worden, den Geschäftsführer-Posten der KgaA bis 2006 auszufüllen. Dass ihm das die wenigsten zutrauen, versteht er irgendwie nicht.

"Hier wird der Eindruck erweckt, als ob wir ohne Kompass das Schiff steuern - aber das ist wirklich nicht so." Reichlich Pathos und ein paar Tränchen sorgen nach fast vier Stunden dafür, dass die Stimmung doch noch kippt. Zugunsten Niebaums. Zunächst hatte Meier am Pult mit dem Tränenfluss gerungen und das ultimative Argument vorgetragen, "auch persönlich" sei es "nicht einfach, diese Situation zu überstehen". Auch Niebaum hatte anfangs an die Mitgliederversammlung appelliert, die er doch stets als "Veranstaltung mit großer Qualität empfunden habe, die sich durch Solidarität und menschliche Wärme auszeichnete".

In seinem letzten Statement als Präsident wirbt er um Vertrauen für Rauballs Tennispartner Meier. Und er rührt das unruhige Volk schließlich mit seinen glasigen Augen, als er schluchzend mitteilt: "Irgendwo ist jeder nur ein Mensch." In diesem Moment verliert das Gros der Kritiker gegen die präsidialen Emotionen, sie erheben sich von ihren Sitzen, wie zuvor nach der Rede des kritischen Geistes Heinemann. Und ganz zufällig leuchtet die Regie den Saal jetzt freundlich aus.

"Mehr Transparenz und klare Antworten"

Die Abstimmung über die Entlastung des Vorstandes gerät somit zur Formsache. Während der Zählung der Stimmen flimmert über die borussiagelbe Leinwand ein Film über Niebaums Amtszeit, ein verklärender Streifen, in dem keine "charts" mit Horrorlinien zu sehen sind, sondern Jubel und Pokale. Auch Rauball schaut zu, er hat die hitzige Versammlung in der zweiten Reihe verfolgt.

Am Sonntagnachmittag, nach gut fünf Stunden, wird er beinahe einstimmig gewählt. Rauball verspricht "mehr Transparenz und klare Antworten", und er meint, der BVB sei doch "ein Ballspielverein, deshalb müssen wir in Zukunft wieder mehr über Sport und möglichst über Erfolge reden". In der ersten Reihe sitzt die Mannschaft um Trainer Bert van Marwijk, sie klatschen nicht.

Am Dienstag, elf Uhr, treffen sich die BVB-Aktionäre in der Westfalenhalle zur Hauptversammlung. Auch der gestern abwesende Großaktionär Florian Homm will dann zugegen sein und das Wort ergreifen, man rechnet allseits mit einer turbulenten Veranstaltung. Es liegen bereits vier Anträge vor, der Geschäftsführung mit Niebaum und Meier das Vertrauen vorzuenthalten. Ob dann der Mann vom Borsigplatz wieder redet? Im Gründungslokal des BVB kann er jedenfalls nicht diskutieren. Es wurde kürzlich zwangsversteigert und ist geschlossen.

© Süddeutsche Zeitung vom 15.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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