Hannah Stockbauer:Ohne sich nochmal umzuschauen

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Weltmeisterin Hannah Stockbauer hat das Desaster von Athen verarbeitet - indem sie nicht mehr schwimmt.

München - Die nächsten zwei Wochen werden nicht leicht für Hannah Stockbauer, die fünfmalige Weltmeisterin, die Weltschwimmerin des Jahres 2003, die Titelverteidigerin über 400, 800 und 1500 Meter bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Montréal.

Tagsüber wird ihr das noch nicht so bewusst werden, sie wird wie immer früh aufstehen, konzentriert ihre Arbeit verrichten, gegen 16Uhr das Büro verlassen und dann noch ein bisschen trainieren, nicht viel, nur um fit zu bleiben.

Aber am Abend kann sie dieser WM nicht mehr entgehen, dann muss sie entscheiden, ob sie sich die Wettkämpfe im Fernsehen ansieht. "Ich weiß noch nicht, ob ich da live zuschauen kann", sagt sie. Vielleicht ruft sie die Ergebnisse lieber am Videotext ab.

Es wird viel von Hannah Stockbauer die Rede sein in Montréal, gerade weil sie bei dieser WM nicht dabei ist. Man wird wissen wollen, was das für ihre weitere Karriere bedeutet, aber vieles deutet darauf hin, dass Stockbauer das selbst noch nicht so genau weiß.

Als sie im Herbst 2004, nach den Olympischen Spielen von Athen, bei Siemens in Erlangen eine Ausbildung zur Industriekauffrau begann, fragten viele, wann sie wieder schwimmen werde.

Bald, entgegnete Stockbauer, "mein Arbeitgeber ermöglicht mir das Training und alle Wettkämpfe". Doch ein Jahr später ist aus der kurzen Pause eine Auszeit auf unbestimmte Zeit geworden. Und die Frage lautet nicht mehr wann, sondern ob Hannah Stockbauer überhaupt noch einmal als Wettkampfschwimmerin zurückkehren wird.

Ein Desaster

Für die deutschen Schwimmer war Athen eine Enttäuschung - für Stockbauer war es ein Desaster. Über 400 und 800 Meter: ausgeschieden im Vorlauf, als amtierende Weltmeisterin.

Sie hat viel geweint im Anschluss an die verpatzten Spiele und sich "wie in einer Mühle gefühlt". Drei Jahre lang hatte sie sich auf das Turnier vorbereitet, nun, sagte sie, müsse sie "erstmal den Spaß am Schwimmen wiederfinden". Doch den Spaß am Schwimmen vermisst sie bis heute.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie der trainingsintensive Schwimmsport, dieses ewigen Hin und Her zwischen den Kacheln, seine Athleten zermürbt.

Während zum Beispiel Tennisprofis ihr Spiel nach dem Karriereende oft erst so richtig genießen, gibt es nicht wenige Schwimmer, die irgendwann aus dem Becken steigen und einfach davonlaufen, ohne sich nochmal umzuschauen.

Die zurückgetretene Franziska van Almsick teilte kürzlich mit, sie habe seit Athen zwar ein paar Mal im Freibad geplanscht - aber schwimmen? "Nö!"

Hannah Stockbauer hatte schon vor Athen, nach drei Jahren als Berufsschwimmerin, festgestellt: "Man verblödet." Das wird ihr jetzt nicht mehr passieren.

Sie hat gerade viele Klausuren zu schreiben, manchmal lernt sie bis tief in die Nacht, im Februar kommen dann schon die Abschlussprüfungen, da will sie mindestens eine 2,0 schaffen. Sie war eine außergewöhnliche Schwimmerin, jetzt will sie auch eine geachtete Industriekauffrau werden.

Sie geht gerne ins Büro. Hannah Stockbauer verarbeitet das Desaster von Athen auf ihre Weise - indem sie nicht mehr schwimmt.

Andererseits: Sie würde es auch gerne nochmal allen beweisen. Sie wolle in den Hochleistungssport zurück, lässt sie deshalb verlauten, mit dem Ziel Peking 2008.

Doch erst "nach 2006" werde sie mit dem Training wieder anfangen - zu einem Zeitpunkt also, der nach Ansicht vieler Experten jenseits der Grenze des Machbaren liegt.

"Irgendwann ist es für eine Rückkehr zu spät"

Bernd Henneberg, der in Magdeburg Antje Buschschulte trainiert, sagt: "Irgendwann ist es für eine Rückkehr zu spät." Auch Stockbauers eigener Trainer, Roland Böller aus Erlangen, "will da keine Prognose abgeben".

Ob Stockbauer die Mühen noch einmal auf sich nimmt, wird wohl auch von ihrem Gefühl abhängen - und da beginnt die Sache kompliziert zu werden, vor allem für den Deutschen Schwimmverband (DSV).

Der Streit mit Cheftrainer Ralf Beckmann ist zwar offiziell beigelegt. Doch es ist kein Geheimnis, dass sich die 23-Jährige von vielen im DSV nicht angemessen behandelt fühlt (auch wenn sie selbst darüber nicht mehr öffentlich spricht).

Vielleicht müsste Stockbauer umworben werden, schließlich hat sie dem Verband über Jahre Erfolge beschert, doch davon, sagt einer aus ihrem Umfeld, sei heute nur noch wenig zu spüren. Auf Veranstaltungen werde sie von DSV-Offiziellen zum Teil noch nicht mal gegrüßt, berichtet ein anderer.

Warum soll sie sich wieder quälen für einen Verband, der nicht in der Lage ist, ihr ein gutes Gefühl zu vermitteln?

© SZ vom 16.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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