Handball-Halbfinale:Gemeinsam sind sie stark

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Heute geht es für die deutschen Handballer gegen Russland um den Einzug ins olympische Finale. Gründe, warum besonders die Mannschaftssportler das Gesicht Olympias aus deutschem Blickwinkel geprägt haben.

Von Josef Kelnberger

Handballtorwart Christian Ramota, Kosename Eros, trug bei der Eröffnungsfeier die Fahne vorneweg. Es folgte ihm die deutsche Olympiamannschaft, das heißt: der Rest. Diejenigen also, die nicht bei der richtigen Eröffnungsfeier im Olympiastadion dabei sein konnten und trotzdem diese Spiele in Athen feierlich eröffnen wollten.

Gibt es für die deutschen Handballer mit Stefan Kretzschmar auch heute wieder Grund zum Jubeln? (Foto: Foto: ddp)

Die Handballer hatten dazu aufgerufen, sie organisierten im Olympiadorf eine Leinwand, um den offiziellen Part live verfolgen zu können, und als der Zeitpunkt gekommen war, marschierten auch sie ein. Ramota mit der Fahne und die Handballer vorneweg, der Rest der Reisegruppe hinterdrein. Und so ist es bis heute geblieben.

Ulrich Feldhoff, Vizepräsident des Deutschen Sport-Bundes und dessen oberster Leistungssport-Planer, hatte am Dienstag die Qual der Wahl: das Halbfinale der deutschen Hockeyspielerinnen gegen China oder das zeitgleiche Viertelfinale der Handballer gegen Spanien.

Er hätte keinen Fehler machen können, beide Spiele endeten mit denkwürdigen Siegen nach Siebenmeterschießen bzw. Siebenmeterwerfen. Drei deutsche Judoka hatten sich - bestimmt aus gutem Grund - für die Hockeyfrauen entschieden. Das Team hätte mehr Beistand bekommen, wären nicht gleichzeitig auch die Handballer zugange gewesen.

Teamgeist wirkt beflügelnd

Auch Feldhoff fand zum Handball und schwelgt immer noch. Es freut ihn aber auch, "wie stark der deutsche Zuschauerblock mit Athleten aller Sportarten besetzt war". Im Spiel ist der Teamgeist, der ansteckt und den Einzelsportler nicht kennen: das Gefühl, sich auf andere verlassen, anderen helfen zu können. Aufzugehen in einer Gemeinschaft, die mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile. "Eindeutig beflügelnd" wirke so eine Erfahrung, glaubt Feldhoff.

Nur muss sich so eine beflügelnde Erfahrung nicht zwangsläufig in Ergebnissen niederschlagen. Schwimmerin Franziska van Almsick lebt zusammen mit Handballer Stefan Kretzschmar. Schwimmerin Hannah Stockbauer ist die Freundin von Wasserballer Tobias Kreuzmann. Beflügelt, keine Spur? Die Handballer im Halbfinale, die Wasserballer unerwartet im Spiel um Platz fünf: Am besten betrachtet man die Phänomene erst einmal isoliert.

Genau wie den unerwarteten Triumph der Hockeyfrauen, die letztlich vergebliche Goldjagd der Hockeymänner. Das dramatische Scheitern der Fußballfrauen im Halbfinale. Es waren die Ballsportarten, die aus deutscher Sicht dieses Olympia prägten. Sie bieten eine besondere Möglichkeit zur Identifikation, denn die Dramaturgie ihrer Turniere entwickelt sich über die zwei olympischen Wochen hinweg.

Im DSB gibt es seit 1997 eine Arbeitsgruppe Spielsportarten. Sie war gegründet worden, nachdem die deutschen Mannschaften bei den Spielen in Atlanta ohne Medaille geblieben waren. Der Aufschwung dieser Mannschaften - in Sydney in den Medaillenrängen durch das Bronze der Fußballfrauen - sei absehbar gewesen, sagt Ulrich Feldhoff. Er führt ihn aber beileibe nicht auf die Arbeitsgruppe zurück. Ohnehin fehlten in Athen die Volleyballmänner und Fußballer, auch die Basketballer mit Dirk Nowitzki wurden schmerzlich vermisst.

"Verschiedene Fakten", sagt Feldhoff, hätten beim Rest den Aufschwung betragen. Die "Periodisierung" vor allem, wie Feldhoff das gerne nennt, die langfristige Ausrichtung der Mannschaften auf ein einziges Ziel, Olympia. Exemplarisch gelang dies dem Wasserball-Bundestrainer Hagen Stamm, der eine neue Mannschaft formte und über das Qualifikationsturnier in Brasilien zu Olympia führte.

"Wie eine Schülermannschaft" hätten sie gespielt, klagte Stamm nach der Niederlage gegen die Russen. Tatsächlich sind sie im Schnitt noch sehr jung (und im Vergleich zu früheren Generationen eher harmlos, was ihre Partytauglichkeit angeht). Stamm hat deshalb seinen Vertrag bis 2008 verlängert. Mit Ausnahme von Thomas Schertwitis, der nach Piräus wechselt, bleiben alle Spieler in der Bundesliga und damit unter seinem Zugriff.

Den wurfgewaltigen Marc Torsten Politze hat Hagen Stamm sogar in Person von Tochter Stamm an seinen Spandauer SV gebunden. Das Bosman-Urteil und in der Folge die allseits beklagte Schwemme von Auslandsprofis spielen hier keine Rolle.

Getrieben vom Wunsch, Gold zu holen

Ebenso wenig im Hockey. Frauen wie Männer nehmen die Liga eher als Beiwerk, 130 der vergangenen 365 Tage verbrachten die Auswahlkräfte auf Lehrgängen. Mit immensem Aufwand an Knowhow und Personal arbeiteten sie auf Athen hin. Auch die Handballer, zumindest die meisten, bereiteten sich gemeinsam vor - beim TBV Lemgo, dessen Manager beschloss, er wolle das Nationalteam im Kader haben. Wenn er schon Auswahlspieler abstellen musste, dann sollten sie wenigstens zusammen spielen.

Solche Konstellationen entziehen sich jeglicher Planbarkeit, ebenso das Heranwachsen außergewöhnlicher Spielergenerationen. Handballer wie Hockeymänner: Sie wurden vier Jahre lang getrieben von dem Wunsch, sich das Gold zu holen, das ihnen in Sydney so unglücklich verwehrt geblieben war. Der Hockeytraum bleibt unerfüllt, die Handballer brauchen noch zwei Siege, heute den ersten gegen Russland.

Ihr Geist aber hat auf jeden Fall seine Wirkung entfaltet im deutschen Olympiaaufgebot, sogar bei den Hockeyspielerinnen. Die Münchnerin Caroline Casaretto trug auf dem Weg zu Gold ein Handballer-Schweißband am linken Handgelenk - Markus Baur hatte es, nach einem der ersten Siege in Athen, ins Publikum geworfen. Im Publikum saß Casaretto, als Fan.

© Süddeutsche Zeitung vom 27.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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