Hamburger SV:Phönix vor der Asche

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Der neue HSV-Trainer Thomas Doll soll aus Versagern eilig den Stolz der ganzen Stadt machen.

Von Ralf Wiegand

Hamburg - Für den Fall, dass die Fußballprofis des Hamburger SV am Montag noch nicht wussten, was sie außer Letzter in der Bundesliga sonst noch so sind, machte ihnen die Presse an der Elbe ein reichhaltiges Angebot zur Selbstfindung:

"Ihr Versager" (Morgenpost), präziser "charakterlose Versager", "Söldner-Millionäre", "Trümmerhaufen" (Bild) oder - "seelenlose Söldnertruppe", "Scherbenhaufen", "überschätzte Kicker" (Welt).

Nach der Abrechnung der sich seit Jahren nach Glorie sehnenden Medien blieb vom HSV nur noch Asche übrig, plattgewalzt zur Landebahn, auf der der neue HSV-Phönix lächelnd einschweben durfte. Thomas Doll, 38, ist für nichts weniger vorgesehen als für die Rolle des Messias.

Selbstredend herrscht beim HSV nicht der geringste Zweifel daran, dass Doll "die schwierige Aufgabe, die er übernommen hat, lösen wird", wie Sport-Vorstand Dietmar Beiersdorfer formulierte.

Rettung vor dem Aussterben

Der neue Mann sei charakterstark, "eine Persönlichkeit", mithin die Ideallösung, um den Dinosaurier der Bundesliga vor dem Aussterben zu retten.

Beiersdorfer wusste auch, was vor allem Doll dazu brauchen wird: "Viel Glück", schloss der Vorgesetzte seine Begrüßungsrede. Zumindest darf sich Doll der Wertschätzung der Hamburger Medien sicher sein, die Toppmöller auf eine Art und Weise aus der Stadt gejagt haben, als habe dieser Pest und Cholera über sie gebracht oder mindestens schlecht gerochen.

Der Fußball-Romantiker vom Rhein, dem schon mal das Hemd aus der Hose hing und das Herz von der Zunge sprang, wollte in diese zwischen Tradition und Tratsch, Claqueuren und Cliquen zerrissene Stadt nicht passen.

Hamburger sind ohnehin der Meinung, dass sich um Hamburger Belange am besten ein Hamburger Jung' kümmern muss - Ole von Beust um die Politik, Freddy Quinn um die Musik, Aal-Dieter um die Fische und nun eben Thomas Doll um die Fußballer.

Der sagte zum Einstand gleich, was die Leute hören wollen: "Der HSV liegt mir sehr am Herzen, das ist mein Verein."

Ein echter Hamburger ist freilich auch Doll nicht, aber wenigstens ein adoptierter. Schon einmal hat der Rostocker den Klub gerettet, als er sich 1991 für 15 Millionen Mark zu Lazio Rom transferieren ließ, und nach seiner Rückkehr 1998 wurde er so begeistert wieder aufgenommen wie ein Weltumsegler.

"Er ist eine Identifikationsfigur"

Drei Jahre ließ er, von Verletzungen geplagt, seine Karriere als Profi ausklingen, dann wechselte er in die Nachwuchsarbeit und vor zwei Jahren auf Geheiß Dietmar Beiersdorfers schließlich in die Verantwortung als Amateurtrainer. "Er ist eine Identifikationsfigur", sagt der Sportdirektor.

Klaus Toppmöller war das nicht, zurückgelassen hat der am Sonntag nach einer vernichtenden 0:2-Niederlage gegen Bielefeld geschasste Trainer eine Mannschaft so leer wie eine gelöschte Festplatte und so zerrüttet wie ein ungemachtes Bett.

"Ein klares Konzept und ein System" werde Thomas Doll dem Team verpassen, glaubt Beiersdorfer und formulierte damit präzise, woran es Toppmöller mangelte: an Konzept und System.

Zunächst wird es Trainer-Neuling Doll allerdings schwer genug haben, aus der Mannschaft überhaupt wieder eine solche zu machen. Zuletzt fiel Torhüter Martin Pieckenhagen über seine eigenen Kollegen her wie eine entfesselte Naturgewalt.

Er habe "keinen Bock mehr auf diese Lutscherei" und "die Schnauze voll", der Elf fehle es an der Einstellung und überhaupt sei sie gar keine: nur "drei, vier Spieler sind mit dem Herzen dabei".

Doll nun will erst mal eine Einheit herstellen, "nicht nur auf dem Platz, sondern auch, wenn man den Trainingsplatz verlässt".

Schon vor der Verpflichtung Toppmöllers habe er mit Doll über den Job gesprochen, sagte Beiersdorfer, ihn aber noch nicht für reif befunden.

Inzwischen aber hat Doll aus den einst latent vom Abstieg bedrohten Amateuren eine Spitzenelf in Liga drei geformt, die ein klares Spielsystem erkennen lässt.

Den italienischen Fußball als Vorbild, pflegte Doll als Jugend- und Amateurtrainer das 4-4-2-System und wird dies auch den Profis verordnen.

Verträumt blicken die Hamburger nach Bremen, wo die Beförderung des damaligen Amateurtrainers und Vereins-Inventars Thomas Schaaf in ähnlich prekärer Lage zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft führte. "Das ist die Idealvorstellung", sagte Beiersdorfer.

Und die Idealvorstellung gab dem HSV schon immer gerne die Orientierung vor. So hat auch Doll in alter HSV-Tradition die Krise schon für beendet erklärt, bevor der erste Punkt gewonnen ist.

"Über den Klassenerhalt", sagte der Trainer des Tabellenletzten, "müssen wir wirklich nicht reden. Bis zur Winterpause wollen wir mit den unteren Plätzen nichts mehr zu tun haben."

Gelingt's, wären auch die charakterlosesten Söldner-Millionäre schnell wieder der Stolz der ganzen Stadt.

© SZ vom 19.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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