Halbzeit-Bilanz:Alles verboten

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Warum der Dudelsack bei der Rugby-Weltmeisterschaft ein Politikum ist, Maradona das beste Maskottchen gibt und die Iren den Gastgeber im Pub retten.

Von Tobias Schächter

Am Sonntag endet die Gruppenphase der Rugby-WM 2015 in England, das Viertelfinale findet ohne den Gastgeber statt. Zeit für eine Zwischenbilanz und einen Blick nach vorn bei dieser Weltmeisterschaft, deren Finale am 31. Oktober im Londoner Rugby-Tempel Twickenham steigt. Für die Runde der letzten Acht (17. und 18. Oktober) qualifiziert haben sich neben Co-Gastgeber Wales und Titelverteidiger Neuseeland auch Argentinien, Irland, Frankreich, Australien (gewann am Samstag 15:6 gegen Wales), Südafrika und Schottland. Die wichtigsten Fragen zur Halbzeit des Turniers.

Ist die tolle Atmosphäre nach dem Ausscheiden Englands nun vorbei?

Das Jammern war groß auf der Insel nach der Pleite gegen Australien vergangenen Samstag, noch nie ist ein Gastgeber seit der Erfindung der Rugby-WM 1987 in der Vorrunde ausgeschieden. Ein Alptraum, nicht nur für die Mannschaft, ihren Trainer Stuart Lancaster, sondern auch für die Fans, Hoteliers und Pub-Besitzer, die um ihre Umsätze fürchten. Für die französische Zeitung Le Monde aber sind diese Weltspiele wegen vieler kleiner Details und trotz "großartiger Organisation" generell "ein Alptraum". Wenigstens, so hoffen die Nörgler aus Frankreich, verschwindet vielleicht mit dem Ausscheiden der Gastgeber die englische Rugby-Hymne "Swing Low, Sweet Chariot" aus den Stadien. Bislang wurde dieser eigentlich aus Nordamerika stammende Gospel Song in den Stadien notorisch gespielt, auch wenn Tonga gegen Namibia auflief. Die sportliche Spannung steigt nun mit den Viertelfinals und den K.o.-Runden - ob die Engländer nun dabei sind oder nicht.

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(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Der Anfang vom Ende: Wales schlägt England. Für den Gastgeber ist die Rugby-WM schon nach der Vorrunde vorbei.

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(Foto: REUTERS)

Der Weltverband ist der Meinung, das Mitbringen eines Dudelsacks ins Stadion sei "gefährlich". Dieser Fan pfeift drauf.

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(Foto: Russell Cheyne/Reuters)

Ein Trio aus Samoa versucht gegen die schottische Übermacht anzusingen.

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(Foto: Alex Livesey/Getty Images)

Unbeeindruckt von den akustischen Scharmützeln üben die schottischen Spieler derweil für den Ernstfall.

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(Foto: Lee Smith/Reuters)

Der Favorit ist Titelverteidiger Neuseeland, das beim Haka beeindruckt, aber auf dem Feld konnten die All Blacks noch nicht vollständig überzeugen.

Und was machen die Schotten?

Die sind weiterhin im Turnier nach dem knappen 36:33-Sieg am Samstag gegen Samoa, sie zogen als letztes Team ins Viertelfinale ein. Und das, obwohl sie mit einem fast unüberwindbaren Handicap in diese WM gehen mussten. Die Turnierleitung hatte den Fans aus dem Norden Britanniens verboten, Dudelsäcke mit ins Stadion zu nehmen, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Mal davon abgesehen, dass neutralen Beobachtern und wahrscheinlich auch den Gegnern das Gedudel auf die Nerven gehen kann, begründete der Weltverband seine Entscheidung so: Das Mitbringen eines Dudelsacks ins Stadion sei "gefährlich". Zwar hat noch niemand berichtet, dass auf einer Rugby-Tribüne jemand ein Dudelsack auf den Kopf gehauen wurde, aber so ist das nun mal in modernen Rugby-Profi-Zeiten. Schottische Politiker reagierten empört, aber ihr Geschimpfe stieß auf taube Ohren. Und überhaupt: Schottischer Sport ohne Dudelsack-Unterstützung - da gehe ein Stück Folklore verloren, nölen die Verfechter der Tradition. Andererseits bewiesen die schottischen Rugby-Männer: Man kann auch ohne Dudelsack-Gedudel auf der Tribüne erfolgreich sein. Es scheint so, als gehe der Dudelsack in Schottlands Rugby schweren Zeiten entgegen.

Wer hat das beste Maskottchen?

Auch die Iren haben ihr Maskottchengate bei dieser WM. Ihren Fans wurde das Tragen der weltberühmten Riesenhüte in den Nationalfarben in den Stadien verboten. Das könnte anderen Zuschauern die Sicht versperren, meinten die Veranstalter. Vielleicht trinken die Iren darauf aus Unverständnis noch ein Guinness mehr und retten die englischen Pub-Besitzer so vor dem Ruin. Wohl dem also, der einen Diego Armando Maradona sein Maskottchen nennt. Der ist nicht so groß, als dass er jemandem vor ihm in der Vip-Loge die Sicht versperren könnte. Und der Fußballgott ist auch viel zu schwer, als dass man ihn hochheben und ihn jemandem auf den Kopf schlagen könnte. Diego Armando Maradona, der irre Nationalheilige Argentiniens, feierte vergangene Woche mit dem Rugbyteam seiner Heimat den 45:16-Sieg gegen Tonga, wie man es von ihm kennt: wie ein Fan. Die Rugby-Spieler aber waren stolz: Maradona kam sogar in die Kabine. Für südafrikanische Fans gibt es auch ein Verbot, sie dürfen keine Vuvuzelas mitbringen: Zu laut seien diese Tröten, sagen die Veranstalter.

England v Wales - IRB Rugby World Cup 2015 Pool A Rugby Union - England v Wales - IRB Rugby World Cup 2015 Pool A - Twickenham Stadium, London, England - 26/9/15 Jamie Roberts of Wales in action against Sam Burgess of England Reuters / Dylan Martinez Livepic (Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Auch im Rugby sind die guten alten Zeiten längst vorbei

Das ist natürlich so, obwohl früher, also vor der Professionalisierung der Rugby-Union-Variante ab Mitte der 1990er Jahre, auch in diesem Sport nicht alles besser war als heute. Heute sind die Spiele durch TV-Kameras so gläsern, dass nichts unerkannt bleibt. Früher kniffen sich die strammen Männer beim Gedränge schon mal in die Weichteile oder kratzten sich in die Augen - unabsichtlich oder aus Versehen, versteht sich. Ganz nach dem Rugby-Motto, nach dem dieses Spiel der Rowdys von Gentlemen gespielt wird. Aber heutzutage sind die Spieler Profis, was vor zwei Jahrzehnten bei den Gentlemen noch verpönt war und natürlich alle unschönen Nebeneffekte hat, die man von der Kommerzbranche Fußball kennt. Nicht nur wegen des Verbots von Dudelsäcken und großen irischen Hüten im Stadion. Diese Rugby-WM ist das drittgrößte Sport-Ereignis der Welt nach der Fußball-WM und den Olympischen Sommerspielen. Das belegt übrigens auch ein Blick auf die Ticket-Preise. Zwar kann man ein belangloses Spiel wie Samoa gegen die USA für umgerechnet 20 Euro schauen. Aber das Spiel Irland gegen Frankreich am Sonntag um den Gruppensieg der Gruppe D in Cardiff weist Ticketpreise von 170 (billigste Kategorie) bis zu 340 Euro auf. Das können sich tatsächlich nur betuchte Gentlemen leisten.

Nervt der TV-Beweis nicht?

Im Rugby geht vieles so schnell, dass der Schiedsrichter nicht immer sehen kann, was genau passiert ist. Deswegen besitzt der Referee die Möglichkeit, eine Jury anzufragen, die sich die Szene oben auf der Tribüne am TV anschaut und dann dem Schiedsrichter mitteilt, wie es wirklich war. So werden epische Fehlentscheidungen vermieden. Und weil der Schiedsrichter mit der Jury über ein Mikrofon verbunden ist, kann der TV-Zuschauer die Entscheidung transparent verfolgen. Und dennoch: Manchmal dauert die Entscheidungsfindung ziemlich lange und das Spiel wird deshalb lange unterbrochen. Am Anfang des Turniers gerieten die Spiele mitunter so etwas zäh. Ab der zweiten Turnierwoche wurde es besser, die Entscheidungen zügiger getroffen.

Sind die "All Blacks" aus Neuseeland wirklich die großen Turnierfavoriten?

Wenn am Sonntag Frankreich und Irland ihr Finale um den Gruppensieg der Gruppe D austragen, spielt Neuseeland zumindest in den Köpfen mit. Wer dieses Spiel verliert, muss nämlich im Viertelfinale gegen die All Blacks antreten. Und das will jeder Gegner am liebsten nur im richtigen Finale am 31. Oktober im Twickenham-Stadium von London. Der Titelverteidiger aus Down Under spielt zwar locker jeden Gegner in der Gruppenphase aus, aber so richtig überzeugen konnten die All Blacks bisher nicht. In Frankreich wünschen sich laut Umfragen schon knapp 60 Prozent der Fans die Neuseeländer im Viertelfinale, weil diese All Blacks schlagbar erscheinen. Dabei wissen die Experten die Aufritte der "Les Bleus" noch nicht richtig einzuschätzen. Ein Viertelfinale Frankreich vs. Neuseeland könnte diese WM für einen der beiden Titelfavoriten schon ähnlich früh zu einem "Alptraum" werden lassen, wie sie es für England schon eine lange Woche lang ist.

© SZ vom 11.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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