Halbherziger Abschied:1-A-Calmund sucht ein Zuhause

Lesezeit: 3 min

Eigentlich hat sich Reiner Calmund von seinem Lebenswerk Bayer 04 losgesagt, was ihm offensichtlich schwer fällt. In Leverkusen geht ein Gespenst um - und fällt dem neuen Chef Holzhäuser zur Last.

Christoph Biermann

"Zu Calmund?", erwidert Wolfgang Holzhäuser, "nee!" Gereizt klingt der seit dieser Saison einzige Geschäftsführer der Bayer Leverkusen Fußball GmbH, und das ist für ihn ungewöhnlich. Aber über sein Verhältnis zu Reiner Calmund möchte Holzhäuser nichts mehr sagen. Am heutigen Mittwoch spielt der Klub in der Qualifikation zur Champions League gegen den tschechischen Meister Banik Ostrau.

Doch anstatt über die sportlichen Aussichten im Hinspiel zu debattieren, wird der Klub derzeit sein Gespenst Calmund nicht los. Daher will Holzhäuser die Diskussion durch Schweigen trocken legen. "Wir haben genug dazu gesagt, das ist jetzt ein Cut", sagt er, "seit Samstag um 17.17 Uhr hat die Neuzeit begonnen."

Am Samstag um 17.17 Uhr war in der BayArena das erste Bundesligaspiel der neuen Saison gegen Hannover 96 abgepfiffen worden, das mit einer würdevollen Verabschiedung des ehemaligen Managers begonnen hatte. Als Holzhäuser dabei Calmund ein Luxushandy überreichte, war er ausgepfiffen worden. Nicht gellend zwar, aber unüberhörbar. Da dürfte ihm klar geworden sein, dass um Calmund eine Art Dolchstoßlegende entstanden ist.

In die Sitzung geplatzt

Zwar hat Calmund "hundertmal gesagt, dass der Holzi mit meinem Rücktritt nichts zu tun hat", andererseits ließ er Gelegenheiten zu kleinen Sticheleien nicht aus. In einer Talk-Sendung des DSF etwa verriet er, dass es in Leverkusen "einen 1A- und einen 1B-Geschäftsführer" gegeben habe. Was beim Publikum das Gefühl zurückließ, dass 1A-Calmund von 1B-Holzhäuser aus dem Amt gedrängt worden ist.

Holzhäuser hielt sich ebenfalls nicht nur vornehm zurück. Im Kölner Stadt-Anzeiger sagte er: "Ich bin froh, dass Calmund nicht da ist." Wer das im Zusammenhang genauer las, konnte zwar erkennen, dass er seinen ehemaligen Kollegen nicht einfach abgewatscht hat. Selbst Calmund findet, dass "er mir nicht unter die Hose schießen wollte".

Doch das Publikum bekam offenbar einen anderen Eindruck. Zumal am Wochenende auch noch die Debatte entstand, wie häufig der ehemalige Manager denn nun an seinem alten Arbeitsplatz auftauchen dürfe. Bild schlug sich gestern pathetisch auf seine Seite: "Holzhäuser mag Calmund aus der BayArena verdrängen - jedoch nicht aus der Vereinsgeschichte und der Seele der Fans . . ."

Calmund rechnet gerne vor, dass er seit seinem Rücktritt vor acht Wochen nur dreimal im Stadion war. Allerdings war er davon auch sieben Wochen lang bei der EM in Portugal und in den USA im Urlaub. "Er hat gesagt, dass er jeweils nur zwei Stunden da war", spottet ein Bayer-Mitarbeiter, "aber er war wahrscheinlich in jedem Büro zwei Stunden." Jedenfalls ging es über die Präsenz anderer Altgedienter hinaus, wenn sich etwa der ehemalige Fußballchef Kurt Vossen oder der ehemalige Sportbeauftragte der Bayer AG, Jürgen von Einem, hin und wieder zum mittäglichen Plausch im Stadionrestaurant einfinden.

So wunderten sich Trainer Klaus Augenthaler, seine Assistenten und der neue sportliche Leiter Michael Reschke, als Calmund plötzlich in ihre Sitzung platzte. Wie selbstverständlich nahm Calmund zudem die Logistik und die Arbeitskräfte auf der Geschäftsstelle in Beschlag. "Das war wie früher", sagt ein Mitarbeiter.

Nur dass früher eben vorbei ist und Calmund sich damit wohl schwerer tut, als er zugeben mag. "Ich erzähle keinen vom Pferd, dass ich total relaxed bin", sagt er. Doch sein Leben kreiste 27 Jahre lang nur um Bayer Leverkusen, und er liebte es, "die Pickelhaube aufzusetzen" und im Pulverdampf "die asoziale Nummer auszupacken".

Nur noch Bayer-Fan

Calmund wäre nicht der erste einflussreiche Mann, der die Angst vor einem Bedeutungsverlust spürt. Weil Calmund auch noch in Aussicht stellt, irgendwo wieder eine Aufgabe in der Bundesliga zu übernehmen ("Wenn auch nicht auf Kommandostelle eins"), wird er sich demnächst mit allerlei Gerüchten die Zeit vertreiben dürfen. Am Montag dementierte als erster Klub der VfL Wolfsburg, dass Calmund dort eine Rolle einnehmen werde.

Im Grunde geht es bei dem Konflikt in Leverkusen vor allem darum, wie schnell Calmund sich mit seiner neuen Situation arrangiert. "Alles ist Neuland", sagt er selbst. Und was seine Präsenz bei Bayer betrifft, will er sich fortan "massiv am Riemen reißen". Ansonsten sondierte Calmund zu Wochenbeginn in Hamburg und Berlin diverse Anfragen jenseits des Fußballs, und vielleicht erfüllt sich bald sogar seine Sehnsucht nach "einem ganz sauberen Break und einer Tätigkeit, die gar nichts mit Fußball zu tun hat".

In Leverkusen würde wohl nicht nur Wolfgang Holzhäuser aufatmen. Der Klub steckt am Ende seiner finanziell goldenen Jahre im Umbruch, die proklamierte "Neuzeit" ist nicht zuletzt eine des Sparens. Sollten angesichts knapperer Etats auch die sportlichen Erfolge spärlicher ausfallen, wird das von großen Teilen des Publikums dem neuen Geschäftsführer angelastet werden. Deshalb kommt der Qualifikation zur Champions League gegen Ostrau eine besondere Bedeutung bei. Dann wird auch Reiner Calmund wieder da sein. "Als Bayer-Fan", wie er sagt.

© Süddeutsche Zeitung vom 11.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: