Glosse:Zwielichtige Verhältnisse

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Die Umstellung auf die langen Nächte in Norwegen wirkt sich nicht nur auf so manchen Handballer ermüdend aus - auch die Presse muss sich gegen die Schummrigkeit der Umgebung erwehren.

Von Joachim Mölter

Vor großen Turnieren in Mannschaftssportarten hört man oft Floskeln und Phrasen wie "Heimvorteil", "den Rhythmus finden", "ins Turnier reinkommen". Wenn man einige solcher Veranstaltungen mitgemacht hat, weiß man: Nicht nur hohles Geschwätz, da ist was dran.

In die gerade angelaufene Europameisterschaft der Handballer reinzukommen, ist zum Beispiel gar nicht einfach, wenn man dabei in Trondheim startet, der Stadt in Mittelnorwegen, in der unter anderem die deutsche Mannschaft gelandet ist. Als Mitteleuropäer kann man soviel gehört und gelesen haben wie man will über die kurzen Wintertage in Skandinavien - wenn man dort ist, überrascht es einen doch, wie anders der Tagesrhythmus ist. Da muss man erst mal hineinfinden.

In Trondheim geht die Sonne am Vormittag auf, so um zehn Uhr herum. Und dann scheint sie nur so trübhell, als sei es schon später Nachmittag und sie gehe gleich wieder unter. Was sie ja tatsächlich umgehend tut. Kein Wunder, dass man sich schon kurz nach dem Aufstehen wieder müde fühlt und anfangen möchte, sich auszuruhen. Daran muss man sich erst gewöhnen, manchen gelingt das besser, anderen weniger. Den Franzosen gelang es gar nicht: Die Rekordweltmeister wirkten auf ihrer Reise bei beiden Niederlagen gegen Portugal und Norwegen jedenfalls schwer umnachtet und unausgeschlafen. Insofern machen viele Spieler und mitreisende Begleiter hier wieder neue Erfahrungen: Nur wenige waren ja schon 2008 dabei, als schon mal eine Handball-EM in Norwegen stattfand.

Man kommt viel rum beim Handball, jedes Jahr gibt es eine Welt- oder eine Europameisterschaft. Da erlebt man einiges, und man macht viel mit. In Bozen gab's die klarste Luft, aber auch die dünnste, in Kairo dafür die dickste - im Grunde bestand sie fast ausschließlich aus Kohlenstoffdioxid. Auf dem Balkan geriet man in die abenteuerlichsten Unterkünfte - einmal in eine Mischung aus Altersheim und Krankenhaus, wo offenbar gerade Betten frei geworden waren; in Doha entschädigten sie einen dafür mit den geräumigsten und bequemsten Arbeitsplätzen (nebst dem üppigsten Essen). In Saragossa torkelte einem der betrunkenste Spieler bei Sonnenaufgang im Hotel entgegen, Breslau bot die abgefahrensten Kneipen, und in Rouen haben die Kollegen aus Deutschland am lautesten gesungen, selbstverständlich die Marseillaise.

Von Trondheim wird die Finsternis in Erinnerung bleiben, die Dunkelheit, die einen selbst auf den Presseplätzen in der Arena umgibt. Die sind weit oben auf der Tribüne, und sie schummrig zu nennen, ist noch übertrieben. Man sieht kaum den Schreibblock, auf dem man sich Notizen machen will, und die Notizen dann schon gleich gar nicht. Im Grunde bräuchte man eine Taschenlampe, um sie zu lesen. Wie soll man da arbeiten, wenn einem ständig Goethes angeblich letzte Worte in den Sinn kommen: "Mehr Licht!"

Inzwischen haben die Norweger das Flehen erhöht und kleine Leselämpchen an manchen Plätzen festgeklemmt. Auch in diesem Fall kann man eine Form des Heimvorteils konstatieren: Die Augen der Norweger sind ja seit Kindheitstagen an solch düstere, zwielichtige Verhältnisse gewohnt. Bevor sich aber nun alle anderen Beobachter dieser Handball-EM darauf eingestellt haben, müssen sie schon wieder weg. Nach einer Woche in Trondheim reisen die Teams weiter in die Hauptrunde, ein Teil nach Malmö, der andere nach Wien, aber in jedem Fall der Sonne entgegen.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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