Glosse:In Unterwäsche neben dem Bärenkopf

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Schalkes Erwin ist nicht das einzige Maskottchen, das verhaltensauffällig wurde. Stets begleitet die Frage: Wer steckt da im Kostüm? Besonders dann, wenn die Glücksbringer zu boxen beginnen.

Von Javier Cáceres

Vereinsmaskottchen sind bizarre Wesen. Und das nicht nur, weil auch sie dem US-amerikanischen Kultur-Imperialismus entstammen, der Wiege des aggressiven Sportmarketings. Sondern, weil sie herkömmlicherweise in überlebensgroßen, geschlechtsneutralen, albernen Kostümen stecken und dabei mitunter sogar ertragen müssen, dass ihre Designer die Hose vergessen wie bei Goleo, dem Maskottchen der WM 2006. Und weil das Sichtfeld oft so eingeschränkt ist, dass sie nichts vom Spiel mitbekommen. Auch unter der Geißel der Anonymität leiden sie, Zuwiderhandlungen werden geahndet. Als Tracy Chandler sich vor ein paar Jahren aus ihrer Verkleidung als Maskottchen des englischen Zweitligisten Doncaster Rover schälte, wurde sie entlassen. Sie habe "Schande" über den Klub gebracht, hieß es, als sie sich neben ihrem Bären-Plüschkopf ablichten ließ. Allerdings in Unterwäsche.

Größere Bekanntheit hat in Deutschland - vor Schalkes Erwin - nur der "Grotifant" erlangt, in dessen Inneren sich ein Mann namens Andreas Bosheck versteckt. Vergangene Woche zog er wieder mal Aufmerksamkeit auf sich, weil er sich nach einer roten Karte beim Spiel des KFC Uerdingen gegen Velbert in der Grotenburg-Kampfbahn die Elefantenmaske vom Kopf riss und den Referee beschimpfte. In der Bild rechtfertigte Bosheck dies mit Sätzen, die einen Blick hinter die Verkleidung zuließen: "Ich gehe seit 40 Jahren zur Grotenburg. Da ist doch klar, dass ich emotionaler bin als irgendein Student, der bei den Bayern im Bernie-Kostüm rumhampelt, eigentlich aber Sechzig-Fan ist und das nur macht, weil er die Kohle braucht."

Die Frage des Maskottchens bleibt eine grundsätzliche, und ein Verteidiger der reinen Lehre, der frühere argentinische Nationaltorwart Germán Burgos (derzeit Assistenztrainer bei Atlético Madrid), scheint sie für sich beantwortet zu haben. Er trägt seinen Kampf mit radikalen Mitteln aus. Bei Auswärtsspielen nähert er sich, während sein Team sich aufwärmt, gern dem Maskottchen des Gegners mit ausgebreiteten Armen - und lässt, sobald er es ans Herz gedrückt hat, einen Nierenhaken folgen. Aus Spanien ist zu hören, dass sich die Zahl der Maskottchen in letzter Zeit verringert hat.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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