Gewichtheben:Erfolgsrezept: Essen, Essen, Essen

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Die stärksten Männer der Welt haben simple Erklärungen für ihren Erfolg. Allen voran Weltrekordler Hossein Rezazadeh aus dem Iran. Kritische Fragen sind unerwünscht.

Von Christian Zaschke

Der Lette Viktors Scerbatihs strahlte über das ganze runde Gesicht. Woher seine Kraft kam? Das ist eine schöne Frage für einen Silbermedaillengewinner im Gewichtheben, Superschwergewicht, über 105 Kilogramm.

"Unsere Relgion verbietet Doping": Hossein Rezazadeh (Foto: Foto: dpa)

Scerbatihs begann zu erzählen: "Ich esse sehr viel, immer esse ich, und manchmal, wenn ich gar keinen Hunger habe, muss ich mich zwingen zu essen. Wissen Sie, ich esse wirklich viel, viele Monate lang. Und ich trainiere viel."

Da wollte nun auch der bulgarische Bronzegewinner Welitschko Tscholakov nicht nachstehen. Woher die Kraft kommt? Tschholakov schnaubte. "Ich esse sehr, sehr viel", brummte er, und tatsächlich scheint er noch mehr zu essen als der stetig essende Lette, jedenfalls bringt er es auf 161 Kilogramm, 20 mehr als Scerbatihs.

"Ich esse", führte er weiter aus, "man muss viel essen in unserem Sport. Und ich trainiere. An manchen Tagen hebe ich 20 bis 30 Tonnen am Tag, aber meine Kraft kommt von innen." Irgendwo von innen kommt die Kraft, daran besteht kein Zweifel.

Nebenbei ein Weltrekord

Kein Zweifel besteht auch daran, dass der iranische Goldmedaillengewinner Hossein Rezazadeh viel isst (Gewicht: 163 Kilogramm), und kein Zweifel besteht auch daran, dass aus seinem Inneren die größte Kraft kommt. Mit dem unfasslichen Vorsprung von 17,5 Kilogramm hat er die Goldmedaille gewonnen und dabei nebenbei einen Weltrekord im Stoßen aufgestellt (263,5 Kilogramm).

Im Grunde war es nicht anders zu erwarten, denn Rezazadeh ist Spezialist für unfassliche Dinge. Bereits in Sydney ist er Olympiasieger geworden, damals hatte er seine Bestleistung im Zweikampf (Reißen und Stoßen) binnen zwei Jahren um über 100 Kilogramm gesteigert, was so unfasslich ist, dass andere Gewichtheber sagen: Das ist unmöglich. Rezadeh sagte: "Ich kam hierhin, voller Kraft, um eine Medaille zu gewinnen."

Rezazadeh saß dann voller Kraft auf einem Podium, neben ihm die anderen beiden Medaillengewinner, und nun also eine Frage noch, nach dem vielen Gerede übers Essen und die Kraft von innen: "Könnten Sie einen Kommentar zum Thema Doping in ihrem Sport abgeben, und glauben Sie, dass das IOC Gewichtheben wegen akuter Dopingverseuchung von den Spielen streichen könnte?"

Böse Blicke für die Reporter

Der Bulgare Tscholakov stand auf und verließ den Raum, vielleicht war ihm gerade eingefallen, dass er noch eine Verabredung hatte oder dass er jetzt etwas essen musste. Die Frage wurde übersetzt, es waren zwei Sätze, es dauerte minutenlang, und dann sagte Rezazadeh: "Ich glaube nicht." Anschließend sollte die Pressekonferenz beendet werden.

Es hob ein kleiner Tumult an, in dessen Verlauf sich zur Übersetzerin ein Landsmann von Rezazadeh aufs Podium gesellte und böse auf die Reporter blickte. Wie konnte man den Olympiasieger so etwas fragen? Dann: ein Zeichen des Olympiasiegers, er hob den Arm, dann redete er auf die Übersetzerin ein. Schließlich: "Können Sie die Frage wiederholen?"

Dem Letten Scerbatihs schien gerade etwas eingefallen zu sein (Verabredung? Essen?), er ging. Die Frage wurde wiederholt, zwei Sätze, minutenlang übersetzten nun zwei Übersetzer, vielleicht war jeder für einen Satz zuständig. Dann aber hob der Olympiasieger seine Stimme, und er sagte: "Unsere Religion verbietet Doping. Wenn es Doping-Fälle gibt, müssen Maßnahmen ergriffen werden." Erschöpft sank der Olympiasieger in das kleine Stühlchen zurück.

Dann kamen wieder die schönen Fragen ("Sie hatten eine Menge Spaß da draußen, nicht wahr?"), und Rezazadehs Gesicht hellte sich auf, er sah nun aus wie ein Junge, der den Behandlungsraum des Zahnarztes verlässt und seiner Mutter mitteilt: "Er hat gar nicht gebohrt." Die Ergebnisse der Dopingtests stehen noch aus.

In Sydney wurde lediglich der damals Drittplatzierte Aschot Danieljan erwischt. Er musste seine Medaille zurückgeben. Nun trat der Armenier wieder an, mit dem gleichen Anfangsgewicht im Reißen wie in Sydney (200 kg), und er hatte wohl in den vergangenen Monaten vergessen, ordentlich zu essen, jedenfalls platzte er, wie es die Heber nennen, er schaffte das Anfangsgewicht nicht.

In Athen hat man zehn Gewichtheber aus den Wettbewerben gezogen, zwei von drei bisher erwischten Dopern dieser Spiele waren Heber. Die Sportart droht daran zu scheitern, dass dem Betrug kein Einhalt geboten wird, es gibt so viele Medaillengewinner, die unter begründetem Dopingverdacht stehen. Der deutsche Superschwergewichtler Ronny Weller sagte mal: "Alles, was aus Bulgarien kommt, musst du im Grunde sperren."

Weller kennt sich aus, es waren in Athen seine fünften Spiele, viermal hatte er zuvor Medaillen gewonnen. Als er am Mittwochabend zum zweiten Versuch im Reißen antrat, "da hat es in der rechten Schulter geknirscht". Er ließ sich behandeln, aber es ging nicht mehr. Tags darauf wurde ein Sehnenanriss diagnostiziert. Bundestrainer Frank Mantek wirkte erschüttert, als er sah, was seinem Lieblingsschüler widerfahren war. "Ronny ist der größte deutsche Gewichtheber aller Zeiten", sagte er, "ein Jahrhunderttalent."

Ein riesiger, trauriger Mann

Doch in den vergangenen vier Jahren erlitt Weller immer wieder neue Verletzungen, ein Leben als Gewichtheber hinterlässt Spuren im Körper. "Ich glaube nicht, dass wir Ronny auf der Bühne wiedersehen", sagte Mantek jetzt. Er hatte in diesem Moment schon einen besseren Überblick als Weller selbst, der immer wieder sagte: "Es ist sehr schade", ein riesiger, trauriger Mann, und dann: "Mir kommt das alles so fern vor, was gerade passiert ist."

Er ahnte jedoch, dass er wohl nicht wiederkommen wird. Ein Ruck ging durch ihn, "ich bin jetzt 35 Jahre alt", stellte er fest, er wandte sich zum Gehen und sagte, sich eiligen Schrittes entfernend: "Vielleicht bin ich einfach zu alt für diese Scheiße. Ich geh' jetzt."

© Süddeutsche Zeitung vom 27.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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