Gerlinde Kaltenbrunner:"Ich möchte auf den Gipfeln aller Achttausender gestanden haben"

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Als erste und bisher einzige Frau hat die Profi-Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner neun der 14 Achttausender erklommen. In den kommenden Monaten stehen Nr. 10 und Nr. 11 auf dem Plan. Im Interview spricht sie über extreme Höhen, gefährliche Situationen und große Ziele.

Marcel Burkhardt

Sie gelten als die beste Bergsteigerin der Welt. Erfüllt Sie das mit Stolz?

Gerlinde Kaltenbrunner will auf alle Achttausender. (Foto: Foto: Burkhardt)

Beste Bergsteigerin der Welt, das ist weit hergeholt. Es gibt Kletterinnen, die viel schwerer klettern als ich. Deshalb bin ich von dem Titel nicht begeistert.

Sie fliegen nächste Woche in den Himalaja, wollen im April den Dhaulagiri und im Juni den K2 besteigen, den siebt- und den zweithöchsten Berg der Erde. Was treibt sie in diese extremen Höhen?

Es erfüllt mich einfach. Bergsteigen ist für mich das absolut Größte. Es ist mein Leben, meine Leidenschaft. Wenn ich am Berg bin, bin ich glücklich.

Wie bereiten Sie sich vor?

Mit sehr intensivem Ausdauertraining - Langlauf, Mountainbiken, Ski-Touren. Zusätzlich klettere ich sehr viel. Ganz wichtig ist aber auch der Kopf. Dass ich zum Dhaulagiri und K2 möchte, daran denke ich bei jeder Trainingseinheit. Das motiviert mich, treibt mich bei Wind und Wetter raus.

Sie leben im Schwarzwald. Der höchste Berg dort, der Feldberg, ist gerade mal 1493 Meter hoch. Können Sie da überhaupt optimal trainieren?

Ich komme mitten aus den Bergen, aus Oberösterreich, und bin in die Weinberge gezogen! (lacht) Ich kann dort schon gut trainieren. Es gibt wunderschöne, anspruchsvolle Radelstrecken. Ganz ideal ist, dass ich schnell in die Schweiz fahren kann, in die Westalpen, wo es etliche Viertausender gibt. Da habe ich viele Höhenmeter gemacht. Aber auch im Schwarzwald kann ich sehr gut klettern.

Selbst in extremen Höhen im Himalaja verzichten Sie auf künstlichen Sauerstoff. Warum?

Das wäre wie Doping. Mein Lebensgefährte, der Ralf, sagt immer: 'Die Tour de France gewinnt auch keiner mit dem Motorrad.' Ein bisschen weit her geholt, aber im Grunde passt das. Ich habe auch keine Hochträger, keine Fixseile. Ich möchte aus eigener Kraft auf den Gipfel kommen.

Was essen Sie da oben?

In der Hauptsache Babybrei und am Abend warmes Kartoffelpüree. Das kann man bis auf 8000 Meter gut essen, und schmeckt mir sogar ganz gut.

Welche Eigenschaften hat ein guter Bergsteiger?

Er ist technisch perfekt drauf, kann sich in jedem Gelände optimal und sicher bewegen. Auf brüchigem Material genauso wie in steilen Felswänden oder beim Eisklettern. Dann, ganz wichtig: Geduld! Vor allem beim Expeditionsbergsteigen. Man muss beharrlich sein Ziel verfolgen.

Gibt es gravierende Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Bergsteigern?

Ja. Viele Männer sehen das Bersteigen als Kampf, als Eroberung. Ich spüre bei männlichen Kollegen einen Druck, unbedingt auf den Berg zu müssen. Sie ignorieren Müdigkeit oder Übelkeit. Ich gehe ganz anders ran: ich möchte natürlich auch auf dem Gipfel stehen, aber nicht auf Biegen und Brechen. Ich versuche, sanfter an die Sache heranzugehen, bin immer positiv gestimmt - aber wenn es nicht geht, geht es nicht. Ich denke dann nicht: ah, jetzt ist alles vorbei. Ich probiere es ein andermal wieder.

Morgen heiraten Sie Ihren Lebenspartner Ralf Dujmovits (45). Herzlichen Glückwunsch! Ralf ist auch Ihr ständiger Begleiter in den Bergen. Wie arbeiten Sie zusammen?

Wir wissen genau, wo unsere Stärken und Schwächen sind. Wir gehen ganz ehrlich am Berg miteinander um, das ist unser Erfolgsrezept. Ich könnte keinen Achttausender mit einem Wildfremden besteigen.

Am Berg gibt es kein Verstecken mehr. Es gibt wochenlang keine Duschen, keine Toiletten. Gibt es da nicht manchmal Situationen, die einem vor dem Partner peinlich sind?

Mit dem Ralf habe ich das Problem nicht, da sind wir völlig offen. Es gibt schon extreme Situationen, wenn es so arg stürmt, dass ich das Zelt nicht verlassen kann, um auf die Toilette zu gehen, da muss ich eine andere Möglichkeit finden, um das zu verrichten. Das kann ich mir mit anderen Partnern nicht vorstellen. Aber der Ralf ist mir so nah, dass das keine Rolle spielt - und umgekehrt genauso, da gibt es kein Verstecken mehr.

Ihre Expeditionen sind sehr gefährlich. Sind Gedanken an Verletzungen und Tod ihre ständigen Begleiter?

Ich setze mich schon damit auseinander, dass was passieren kann. Wenn ich aber am Berg bin, schalte ich das vollkommen aus. Da denke ich nie daran, dass ich nicht mehr herunterkommen könnte. Da bin ich völlig positiv eingestellt. Aber daheim sprechen wir öfter darüber. Wir wissen, ein gewisses Restrisiko bleibt immer. Glück und Tod liegen dicht beisammen.

Wie gehen Sie mit der Sorge ihrer Eltern und Geschwister um?

Meine Geschwister haben inzwischen großes Vertrauen in mich. Mein Vater aber wird sich bis zu seinem Lebensende Sorgen machen. Er sagt jedes Mal: Dirndl, jetzt reicht's aber. Obwohl er weiß, dass es mich immer wieder auf den Berg zieht. Ich kann nicht anders. Das ist mein Leben, meine ganz große Leidenschaft. Ich kann nicht einfach daheim bleiben.

Sie sind ausgebildete Krankenschwester. Wie sehr hilft Ihnen Ihr medizinisches Fachwissen am Berg?

Mein Beruf kommt mir sehr zu gute. Bei jeder Expedition gibt es kleine Probleme - Blasen an den Füßen, Kopfweh, Bauchschmerzen, Zahnweh. Da kann ich den Kollegen schnell helfen. Als mein Teamgefährte Hirotaka Takeuchi am Mont Everest Blut gespuckt hat und ganz schlimme Symptome der Höhenkrankheit hatte, habe ich ihm Cortison intravenös gespritzt. Das hat ihm das Leben gerettet.

Sie sind in der Höhe extremer Kälte ausgeliefert. Wie überlebt man eine Nacht bei minus 40 Grad im Zelt?

Ab 6500 Metern habe ich immer einen Daunenanzug an. Damit lege ich mich in meinem Schlafsack. Damit hat man's einigermaßen erträglich. Es ist nicht richtig warm, das gar nicht. Aber es schützt vor Erfrierungen. Und im Kopf habe ich mein Ziel, dann kann ich die Kälte einigermaßen gut wegstecken.

Was ist ihr Ziel?

Kurzfristig immer, auf einer anspruchsvollen Route auf den Gipfel zu kommen und auch heil wieder ins Tal zu finden. Das übergeordnete Ziel - ich möchte auf den Gipfeln aller Achttausender gestanden haben.

Ihr alter Pfarrer Erich Tischler (75) im österreichischen Spital am Pyhrn bezeichnet Sie als tiefgläubig. Fühlen Sie sich Gott in der großen Höhe nahe?

Er begleitet mich immer. Ich hab's meinem Pfarrer schon gesagt: ich hoffe, er ist mir nicht bös', weil in schwierigen, extremen, gefährlichen Situationen bet' ich immer noch a bisserl mehr (lacht) - und manchmal wieder überhaupt nicht. Aber ich glaube, Gott steht mir bei.

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