Gegen Argentinien:Steil in die Bruchstellen

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Was beim Spiel gegen die Schweden noch lässliche Sünden waren, könnte beim Spiel gegen Argentinien in die Hose gehen - ein paar Tricks könnten weiterhelfen.

Moritz Kielbassa

Es gab Zeiten, da bestand der ganze Einfallsreichtum im deutschen Angriff aus hohen Flanken und stahlharter Kopfballwucht. Anders mit Podolski und Klose, dem neuen Harmonieduo. Beide Stürmer können auch am Boden erfolgreich kombinieren.

Mit guter Technik und geschicktem Körpereinsatz binden sie die Bälle, lassen sich ins Mittelfeld fallen, bieten sich als Doppelpasspartner an, sind athletisch und agil, Klose kopfballstark dazu - und sie schießen schöne Tore.

Neue Laufwege ausgeheckt

Die Analysechefs des DFB, Urs Siegenthaler und Joachim Löw, stimmen beide Angreifer genau aufeinander ab, vor jeder Partie werden per Videounterricht neue Laufwege ausgeheckt.

Dabei gibt es unterschiedliche Vorlieben: Klose dreht sich gerne in Räume hinein und fordert Bälle in den Lauf; Podolski bevorzugt präzise Zuspiele in den Fuß. Perfektes Zusammenwirken zeigten beide beim 2:0 gegen Schweden.

Klose dribbelte mit Tempo auf die Abwehrreihe zu und zog mehrere Verteidiger auf sich, Podolski kreuzte seinen diagonalen Laufweg (Fachbegriff: Hinterlaufen) - und stand nach Kloses Pass frei vor dem Tor.

Häufig schlüpfen beide durch Bruchstellen der Abwehrkette, vor allem Ballacks Steilvorlagen werden dann optimal verwertet (2:0 gegen Ecuador, 1:0 gegen Schweden).

Und nun, gegen Argentinien? Kaum ein WM-Team verknappt die Spielräume des Gegners so gekonnt wie die Südamerikaner, ihre Abwehr hält stets dichten Anschluss an Mittelfeld. Durch so ein vielbeiniges Gestrüpp fällt Kombinieren schwer - dafür lockt der Raum in der Tiefe.

Sprinten Podolski oder Klose blitzschnell in den Rücken der weit aufrückenden Viererkette, sind "tödliche" Steilpässe möglich. Der startende Stürmer bewegt sich vorher am besten parallel zur Kette - oder kommt sogar aus dem Mittelfeld, um mit seinem plötzlichen Antritt in die Tiefe die Verteidiger zu überraschen.

Der zweite Stürmer läuft im Idealfall in die andere Richtung, dem ballführenden Passgeber entgegen. So lenkt er die Aufmerksamkeit der Abwehrspieler auf sich - und sein Sturmpartner schlägt zu.

Alle DFB-Offensiven sollten weiterhin Mut zu Einzelaktionen haben, denn einen so homogenen Teamverbund wie den argentinischen bringen nur Dribblings, ansatzlose Pässe oder überraschende Positionswechsel durcheinander. Effektiv könnten auch schnelle Seitenwechsel sein, die den Angriff zügig dorthin verlagern, wo die Argentinier durch ihr seitliches Verschieben Freiräume preisgeben.

Diagonalbälle in diese Lücken sind ideale Sprintvorlagen für die deutschen Flügelflitzer. Rechts könnten Schneider und Friedrich ausnutzen, dass Linksverteidiger Sorin häufig marschiert. Erobern die Deutschen in solchen Momenten den Ball, müssen sie überfallartig in die verwaiste Seite kontern (bevor sie der Sechser Mascherano dicht macht).

Am wackligsten ist Argentinien hinten rechts (Burdisso) - ein Vorteil für Tempoläufe von Lahm und Schweinsteiger! Die Innendecker Heinze (1,78) und Ayala (1,77) sind klein und trotz guter Kopfballtechnik bei hohen Bällen verwundbar - also fleißig von außen flanken! Auch bei Ecken oder Freistößen könnte man die Lufthoheit nutzen. Doch die deutschen Standards waren bisher harmloses Stümperwerk.

Die Künstler bekämpfen

Entscheidend wird das Abwehrverhalten sein. Kann Deutschland dem atemberaubenden Flachpasstempo der Argentinier Stand halten - mit den alten Primärtugenden: aggressiv stören, kein Laufduell scheuen und den Künstlern ständig auf die Zehen treten? Taktisch muss das Mittelfeld tief auf einer Höhe agieren und die Passwege in die Spitze versperren - vor allem jene von Riquelme, Argentiniens Herz.

Seine genialen Steilvorlagen sind die größte Gefahr, sein Ausschalten wäre der Schlüssel. Frings und Ballack müssen Riquelmes Spiellust gemeinsam lähmen. Für die Verteidiger gilt: Extrem eng an die Stürmer heranrücken und möglichst schon den Pass in die Spitze abfangen!

Stets sollte ein zweiter Abwehrspieler den Angreifenden absichern. Gibt es keine Anspielstationen vorne , muss Riquelme das Spiel langsam in die Breite ziehen. Dann wäre viel erreicht.

Die rechte DFB-Seite muss Sorin aufhalten, der zwar hinten Schwächen im Zweikampf hat, mit seinen Kraftvorstößen aber oft für die entscheidende Überzahl im Angriff sorgt. Knifflig wird es für die langen Innenverteidiger Mertesacker und Metzelder.

Dribbeln kleine, drehfreudige Stürmer wie Saviola, Messi oder Tevez explosiv und mit Körpertäuschungen auf sie zu, ist es für erfolgreiche Tacklings zu spät. Die Lösung gegen solche Angreifer: sofort bei der Ballannahme hart dazwischenfunken!

Gegen Schweden hatten Fehler keine Folgen. Das mögliche 1:1 von Larsson verhinderte alleine die Geistesgegenwart Ballacks, der nach bravourösem Rückwärtssprint dem Stürmer so störend vor die Füße grätschte, dass Larsson überhastet vorbeischoss.

Vor dem Elfmeterfoul von Metzelder konnten Schneider, Friedrich und Ballack trotz einer 3:1-Überzahl am Flügel die Flanke nicht verhindern. Nach Siegen sind dies lässliche Sünden - gegen Argentinien nicht.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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