Galopp-Unfall:Sturz in Kurve eins

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Jockey Frederik Tylicki gerät nach einer Kollision unter die Hufe und ist derzeit gelähmt. Die Galopp-Szene organisiert eine weltweite Hilfsaktion.

Von Ulrich Hartmann, München

An jenem schicksalhaften Tag vor zehn Tagen um 16.20 Uhr auf der Galopprennbahn Kempton Park südwestlich von London hat der Jockey Frederik Tylicki das getan, was er am liebsten macht und am besten kann. Er hat sich im dritten Rennen des Tages in der ersten Kurve an die verheißungsvolle zweite Position geschoben, und dort hat er auf eine Lücke gelauert, die sich auftun könnte im engen Feld, das ihn zu allen Seiten umgab. Es war extrem eng in diesem 1600-Meter-Rennen um 6500 Pfund Preisgeld. Es war also ein Rennen, in dem es finanziell um gar nicht so viel ging. Aber so etwas interessiert einen Vollblutjockey natürlich nicht. Tylicki - vor 30 Jahren in Köln geboren und wohnhaft im englischen Newmarket - ritt wie immer mit Herz, Leidenschaft und Mut, als sein Pferd Nellie Deen plötzlich den Halt verlor und zu Boden stürzte.

Es sind schreckliche Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Zumal wenn man weiß, dass Tylicki derzeit noch immer im St. George's Hospital in Süd-London liegt, bis zuletzt intensivmedizinisch betreut wurde und noch immer von der Hüfte abwärts gelähmt ist. In der ersten Kurve hatte sich der Führende Graham Gibbons auf Madame Butterfly plötzlich umgeschaut, weil er spürte, dass sein Pferd hinter ihm ein anderes Pferd touchierte. Gibbons drehte, im Höchsttempo reitend, den Kopf plötzlich erst nach rechts und dann nach links, weil er nicht wusste, wo genau sich Tylicki und Nellie Deen hinter ihm befanden - und just als Gibbons sich nach links umblickte, riss es Nellie Deen die Beine weg. Sie stürzte inmitten des galoppierenden Feldes zu Boden.

Tylicki kugelte über ihren Kopf aufs Geläuf, und das ganze Feld trampelte über ihn hinweg. 500 bis 600 Kilogramm wiegt so ein Vollblüter. Vier Pferde stürzten, vier Jockeys gingen zu Boden, der Rest lief das Rennen zu Ende, während Tylicki regungslos im Sand liegen blieb. Der Renntag wurde abgebrochen und Tylicki mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen, wo man eine Beschädigung des Wirbels T7 diagnostizierte. Tylicki droht von der Hüfte abwärts gelähmt zu bleiben.

Erika Mäder hat momentan keinen Kontakt zu ihm. Die Krefelder Galopptrainerin sitzt dem Deutschen Trainer- und Jockey-Verband vor, in dem Tylicki als Jockey mit einer englischen Lizenz zwar nicht Mitglied ist, von dem er aber trotzdem eine Zuwendung bekommt. "Wir werden eine fünfstellige Summe spenden", sagt Mäder, "er war Freelancer, er hatte also keine festen Gehälter und braucht nun jede Unterstützung - wenn so etwas passiert, dann rückt man zusammen."

Das Gestüt Australian Bloodstock stellt nun also auf Initiative des Pferde-Agenten Ronald Rauscher einen Decksprung des Deckhengstes Protectionist zur Verfügung, dieser wird kommende Woche von der Baden-Badener Auktionsgesellschaft im Internet versteigert. Der Zuschlagspreis geht als Spende an die Familie Tylicki. In einen in England für Tylicki eingerichteten Fonds haben bis Mittwoch zudem binnen weniger Tage fast 4000 Spender mehr als 266 000 englische Pfund (300 000 Euro) einbezahlt. Eine enorme Summe. "Es ist bislang schon mehr Geld zusammengekommen, als ich mir vorstellen konnte. Es soll aber niemand glauben, wir hätten schon genug gesammelt", sagte der britische Reitsport-Reporter Matt Chapman, der den Fonds aufgelegt hatte. "Da spenden auch viele große Besitzer", sagt Trainerin Mäder, "in England ist der Galoppsport ein Wirtschaftsbetrieb."

Die Galoppbranche wird immer wieder von schwerwiegenden Unfällen erschüttert. Harro Remmert (1967), Christian Zschache (1999), Neil Grant (2000), Peter Gehm (2004) oder Peter Heugl (2009) sind Fälle bekannter Jockeys, die nach Stürzen auf deutschen Bahnen oder in deutschen Ställen Lähmungen erlitten haben und ihre Jockey-Karrieren beenden mussten.

Tylicki, Sohn des 2003 verstorbenen dreimaligen Champion-Jockeys Andrzej Tylicki, war einer der meistgebuchten Jockeys der Branche. Auf der Stute Speedy Boarding siegte er vor einem Monat im Prix de l'Opera in Paris-Chantilly, nachdem er im Sommer mit Savoir Vivre Zweiter im Deutschen Derby in Hamburg geworden war. In Deutschland hat Tylicki viele Geschäftspartner und Freunde, aber im Krankenhaus in London besuchen darf ihn derzeit niemand. Die hiesigen Jockeys sorgen sich um seinen Zustand, aber sie erfahren bislang wenig Neues. "Die Familie schirmt ihn ab", sagt der Österreicher Andreas Suborics.

Mit den bislang gesammelten Spenden wollen Tylickis Mutter Irene und seine Schwester Madeleine einen weiteren Hilfsfonds einrichten. Der englische Trainer Rod Millman, der Tylicki dieses Jahr so oft wie kein anderer als Jockey engagiert hat, hofft, dass sein "Kampfgeist" Frederik Tylicki heil durch die schwere Zeit bringen wird.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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