Fußball-Nationalmannschaft:Poker im Wohlfühl-Biotop

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Derweil der gesamte Fußball unter dem Orkan der Schiedsrichter-Affäre ächzt und stöhnt, umgibt die Auswahl der hervorragendsten Fußballer des Landes eine friedliche Stille. Anderthalb Jahre vor Anpfiff wird schon einmal die WM-Prämien verhandelt.

von Ludger Schulze

Düsseldorf - "Crisis? What crisis?", fragten die Melodic-Rocker von Supertramp vor ein paar Jährchen, welche Krise denn? Sie hatten den Song keineswegs der deutschen Fußball-Nationalelf vom Februar 2005 gewidmet, obwohl man sich während der ersten Pressekonferenz vor dem Länderspiel in Düsseldorf (Mittwoch, 20.45 Uhr, ARD) gegen die großmächtigen Argentinier dieses Eindrucks nicht erwehren konnte.

"Niemand ist eine Insel"? Doch: die deutschen Nationalmannschaft ist eine. Hier bereiten sie sich in einem Trainingsraum in Düsseldorf auf das Länderspiel gegen Argentinien vor. (Foto: Foto: AP)

War da was? Ein Skandal, der den gutgläubigen Teil der Fußballrepublik bis ins Knochenmark gebeutelt hat? I wo, keine Spur, womit wir denn bei Johannes Mario Simmel angekommen wären, der einst mit seinem Romantitel behauptet hat, "Niemand ist eine Insel", was nun fulminant widerlegt ist: Doch, doch, die Nationalmannschaft ist eine.

Derweil der gesamte Fußball von Flensburg über Fulda bis Berchtesgaden unter dem Orkan der Schiedsrichter-Affäre ächzt und stöhnt wie eine morsche Linde bei Windstärke zehn, umgibt die Auswahl der hervorragendsten Fußballer des Landes eine friedliche Stille.

"Gar net erst ignorieren"

Schon in den Tagen vor dem Treffen der zwanzig Erwählten hatte Chef Jürgen Klinsmann die Grenzen zu seinem Wohlfühl-Biotop dergestalt abgesteckt, dass der "Manipulationsgeschichte" möglichst so wenig Raum gelassen werde wie einem Mittelfeldregisseur unter Manndeckung.

"Wir konzentrieren uns nur auf das Sportliche", fuhr der DFB-Reformierer fort, was wiederum einen weiteren Künstler ins Spiel bringt, den großen Tragikomödianten Karl Valentin, der diese Haltung solchermaßen auf den Punkt gebracht hat: "Gar net erst ignorieren."

Doch vermutlich tun Klinsmann und seine Leute gut daran, das pikante Thema weiträumig zu umfahren, um das frische, belebt-belebende Jugend-Image dieses Teams nicht zu gefährden, jegliches querverweisendes Gerede gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Nach der Fülle schlechter Nachrichten verschickte der DFB in Person des Teammanagers Oliver Bierhoff also ein wuchtiges Paket mit Frohbotschaften.

Darin befand sich etwa die Mitteilung, bei den Südamerikanern handle es sich "vielleicht um die stärkste Mannschaft der Welt", wogegen niemand Einrede halten wird.

Bierhoff selbst, bis vor zweieinhalb Jahren ein gefürchteter Torjäger in der italienischen Serie A, hat dortselbst etliche Menschen dieser Herkunft fürchten und, wenn sie denn in der eigenen Mannschaft spielten, schätzen gelernt.

"Sie sind technisch gut", könnten aber auch ein hohes Tempo anschlagen und bei Bedarf "hauen sie auch mal dazwischen". Heißt: Sie verbinden die eher nüchterne europäische Herangehensweise mit südamerikanischer Ballfertigkeit.

In einer fernen Vor-Zeit

Nun haben die Deutschen, mit Verlaub, letztmals in einer fernen Vor-Zeit gegen eine Elf von international gehobenem Zuschnitt gewonnen, genau gesagt am 17. Oktober 2000 im Wembley-Stadion gegen England (1:0), was erstens eine mittlere Demütigung ist und zweitens auf der Stelle behoben werden soll.

Unter der neuen Führung unter Klinsmann immerhin darf man sich dem erwartungsfrohen Wonnegefühl hingeben, der Albtraum an Pleiten könne endlich ein Ende nehmen, wie sich beim 1:1 gegen Brasilien im Spätsommer andeutete.

Ein bisschen Aqua-Jogging hat noch niemandem geschadet. (Foto: Foto: dpa)

"Es wird Zeit", fordert Bierhoff ungeduldig, "dass wir einen der Großen mal schlagen".

Mit derlei Erkenntnissen lässt sich freilich keine halbstündige Pressekonferenz füllen, weshalb der Vollständigkeit halber folgende Nachrichten aus der DFB-Zentrale notiert seien: dass sich der Spielerrat der Nationalmannschaft unter Leitung von Kapitän Michael Ballack und Torwart Oliver Kahn mit den Verbandsgranden Gerhard Mayer-Vorfelder (Präsident) und Horst R. Schmidt (Generalsekretär) zusammensetzte, um die Prämien für eine erfolgreiche WM 2006 auszukarten.

"Beide Parteien werden sich schnell einigen", versprach Bierhoff. Wen wundert, dass der Poker bereits eineinhalb Jahre vor dem Turnier ausgetragen wird und dass dabei offenbar alle Beteiligten vier muntere Asse in der Hand halten, der sei an die WM 1974 erinnert, als ein Streit ums Prämiengeld beinahe zum Ende der Nationalmannschaft geführt hätte; weil nämlich eine Gruppe um Paul Breitner mit fristloser Kündigung und sofortiger Abreise gedroht hatte.

Undenkbar heute, weswegen die Behauptung, früher sei alles besser gewesen, beweiskräftig dementiert werden kann.

Und sonst? Sonst befindet sich der DFB, oder besser die Gruppe um Klinsmann auf der Suche nach einem Chef-scout, der u.a. die internationale Konkurrenz beobachten und eine Datenbank anlegen soll.

Kurz ein Mann, "der analytisch denken" und das Gesehene "in Berichtsform zu Papier bringen" (Bierhoff) können soll. Da wird sich jemand finden lassen, so wie sich jemand gefunden hat für den eminent wichtigen Job des alleinigen Mediendirektors, nachdem der Teil-Inhaber dieses Tätigkeitsbereiches, der von Präsident Mayer-Vorfelder ins Amt gehobene Gerhard Meier-Röhn dieses wiederum entledigt wurde.

Mit der Arbeit des zweiten Presse-Verantwortlichen Harald Stenger "sind wir hochzufrieden", sagte Bierhoff, und weil's ausnahmsweise auch mal die Journalisten sind, darf Stenger zur Belohnung die Sisyphus-Arbeit ganz alleine machen.

Wer darf halten?

Bleibt noch zu erwähnen, dass für den leicht verletzten Oliver Neuville (Mönchengladbach), der den verletzten Lukas Podolski (Köln) ersetzen sollte, der vor kurzem noch verletzte Thomas Brdaric (Wolfsburg) nachnominiert wurde.

Und schließlich, versprach Oliver Bierhoff gestern Mittag, werde auch die Frage geklärt, "morgen oder übermorgen", wer den ersehnten Sieg gegen die Argentinier zwischen den Pfosten festhalten darf.

Sollte die Entscheidung erst am Mittwoch fallen, wäre es zweckdienlich, Oliver Kahn oder wahlweise Jens Lehmann vor 20.45 Uhr zu informieren.

Und der vermaledeite Wett-Skandal? Darüber werde überall genug erzählt, erzählte Paul Freier (Leverkusen), der erstmals seit einem dreiviertel Jahr wieder dabei ist, deshalb von dieser Stelle nur die Hoffnung, "dass wir schnell wieder einen sauberen Fußball haben". Einfachste Lösung: selber sauber Fußball spielen morgen Abend.

© SZ vom 8.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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