Fußball-Nationalmannschaft:Netzwerk in Übersee

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Wie Jürgen Klinsmann mit Hilfe seiner Lehrmeister in Amerika die Aufgabe als Bundestrainer organisiert.

Von Ludger Schulze

Bangkok - Bevor Jürgen Klinsmann vor mehr als zwanzig Jahren seine Karriere als Profifußballer einschlug, verdiente er seine Brötchen als Bäckergeselle im väterlichen Laden in Stuttgart-Botnang.

Zu den abschreckenden Seiten dieses Berufs gehört sicherlich das frühe Aufstehen, Bäcker beginnen ihr Tagwerk vor drei Uhr morgens. Für Jürgen Klinsmann, inzwischen auch schon 40, hatte dieser herbe Aspekt jedoch einen Übungseffekt.

Längst ist er daran gewöhnt, die Arbeit zu beginnen, wenn andere mitten in der Tiefschlafphase stecken. "Ich stehe immer um halb sechs auf", erzählt er, sehr ordentlich, doch was in Kalifornien, wo er seit 1998 mit seiner Familie lebt, verboten früh ist, ist in Europa schon fast zu spät.

Gegen acht Uhr bringt der Bundestrainer den sechsjährigen Sohn Jonathan in die Schule, das ist sommers 17 Uhr in Mitteleuropa "und weil da die Büros Schluss machen, muss ich die Dinge bis dahin vom Tisch bekommen haben".

Konferenz mit Codenummer

Zu diesen Aufgaben gehört die tägliche Kontaktaufnahme mit seinen Assistenten Joachim Löw und Andreas Köpke sowie Manager Oliver Bierhoff.

Das ist in heutigen Zeiten auch 9000 Kilometer über den Teich hinweg keine Sache mehr. Täglich vereinbaren die Vier einen Gesprächstermin über ein "Conference Center", mit einer Codenummer kann sich jeder einwählen, demnächst wird beim DFB auch eine Video-Anlage installiert.

Klinsmann findet diese Arbeitsweise völlig normal, "in der Wirtschaft läuft das schon seit zehn Jahren so". Und im Fußball hat es sich ebenfalls durchgesetzt, dass zwischen Arbeits- und Wohnort häufig ein Weltmeer liegt.

"Arie Haan ist Nationaltrainer Chinas und lebt in Stuttgart. Carlos Parreira als Coach Brasiliens hat seine Spieler in Europa, lebt aber in Rio. Rehhagel geht zwischen Essen und Griechenland hin und her", zählt Klinsmann auf.

Zahlreiche Angebote als Vereinstrainer, wo die tägliche Arbeit auf dem Platz Voraussetzung ist, hat er "prinzipiell abgelehnt, weil sich das nicht mit der Familie und unserer Lebensauffassung vereinbaren lässt".

Horst R. Schmidt ist Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes und Vizepräsident des WM-OK 2006. Schon in den siebziger Jahren war er beim DFB, er hat die Bundestrainer und Teamchefs von Schön über Derwall, Beckenbauer, Vogts, Ribbeck und Völler bis zu Klinsmann kommen und gehen sehen.

Schmidt gilt als kompetent und als viel zu diskret, um Vergleiche zwischen den Trainern anzustellen. Er flog seinerzeit mit Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder auf einen Wink von Berti Vogts nach New York, wo sie Jürgen Klinsmann zum ersten Gespräch trafen.

Die beiden waren, vorsichtig ausgedrückt, sehr überrascht über den 108-maligen Nationalspieler, der zuletzt doch sehr weit weg war vom deutschen Fußballgeschehen.

"Jürgen war sehr gut vorbereitet", erzählt Schmidt, "er besaß relativ klare Vorstellungen über Nationalmannschaft und DFB, und wie man mit der aktuellen Situation umgehen kann", der Situation nach einer mauen Europameisterschaft und zwei Jahre vor dem Staatsereignis WM im eigenen Land.

"Genau das, was wir uns gewünscht hatten" "Er wusste genau, welche Partner er braucht, und wie er das Umfeld der Nationalmannschaft neu gestalten wird." Beim DFB-Bundestag im Oktober in Osnabrück stellten die neuen Leute ihr Konzept detailliert vor, die Delegierten zeigten sich stark angetan.

Schmidt: "Das war genau das, was wir uns gewünscht hatten." Die Aufbruchstimmung, die trotz des 1:3 gegen Südkorea um die Nationalelf unverändert herrscht, registriert der Generalsekretär. "Ich persönlich spüre das, das spürt der ganze DFB."

Klinsmann wiederum freut sich über den Rückhalt innerhalb des DFB. "Sie haben gemerkt, dass hinter allem ein Plan steht, eine Logik, und sie haben verstanden, dass jeder von uns Vier sein eigenes Netzwerk hat mit Leuten, die wiederum uns zuarbeiten. Bei mir persönlich, und das weiß kein Mensch in Deutschland, sind das Warren Mersereau und Mick Hoban, mit denen zusammen ich eine Sportagentur in USA geleitet habe."

Die beiden sind altgediente Fachleute des Sportmanagements, der Amerikaner Mersereau war unter anderem Marketingboss von adidas in Amsterdam, der Engländer Hoban spielte einst für Aston Villa und in der amerikanischen Soccer League gegen Größen wie Pelé, Beckenbauer und Cruyff. Beide waren zudem Vizepräsidenten beim Sportartikelhersteller Umbro.

"Unglaublich sorgfältig"

"Sie sind meine Lehrmeister", sagt Klinsmann. "Von ihnen habe ich in sechs Jahren so viel mitbekommen, dass ich keine Angst vor großen Aufgaben habe."

Richtig kennen gelernt hat Klinsmann sie nach Beendigung seiner aktiven Karriere, "als ich nach neuen Inhalten suchte, die braucht man ja, sonst wirst du verrückt". Mersereau und Hoban gaben ihm Ratschläge, welche Voraussetzungen für das Business wichtig waren.

Klinsmann belegte an der Uni IT-Kurse, verbesserte seine Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch), eröffnete ein Internet-Portal für Jugendfußballer namens D21 ("das erreicht inzwischen 300.000 Kinder und Jugendliche") und absolvierte die Trainerausbildung in Köln.

Als der US-Milliardär Phil Anschutz ihn als Berater für ein großes Sport-, Stadion- und Freizeitprojekt in Los Angeles anheuern wollte, ahnte Klinsmann, dass er vor allem juristisch zu viele Defizite haben würde.

"Das geht nur, habe ich den beiden gesagt, wenn ich als dritter Mann in eure Firma einsteige." Die Firma heißt "soccersolutions".

Täglich steht Jürgen Klinsmann mit beiden Freunden in Kontakt. Obwohl sie den DFB nicht kennen, haben sie großen Einfluss auf die Geschicke der Nationalelf. Denn viele Ideen Klinsmanns über Fitness, Sportpsychologie oder Mannschaftsstruktur wurden gemeinsam erarbeitet.

"Das zeichnet ihn aus", sagt Horst R. Schmidt, "er lässt sich nicht nur beraten, sondern ist unglaublich sorgfältig vorbereitet, so dass keine Überraschungseffekte eintreten."

Den ständigen Wechsel zwischen Kalifornien und Deutschland will Jürgen Klinsmann bis zur WM beibehalten. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies das Beste für die Familie ist. Es hat keinen Sinn, die Familie nach Deutschland zu holen, weil ich ohnehin nie zu Hause wäre."

Selbst die Wohnung in Stuttgart in der Nähe seiner Eltern bleibt so gut wie ungenutzt, weil der Bundestrainer dann ein Leben in Hotels führt.

Einen weiteren Vorteil hat das Dasein in zwei Welten für die Kinder. "Es ist ganz gut, wenn sie nicht mit dem Alltagsstress ihres Vaters konfrontiert werden", glaubt Klinsmann.

Und für ihn, der nun einer der bekanntesten Menschen in Deutschland ist, signalisiert die Ankunft am Flughafen Los Angeles die Zeit der geistigen Erholung, zum Verschnaufen. "Sobald ich da ins Auto steige, kennt mich absolut kein Mensch mehr."

© SZ vom 21.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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