Fußball-Nationalmannschaft:Das blaue Wunder

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Die Generalprobe ging gründlich daneben und Teamchef Rudi Völler war "total unzufrieden": Beim Jubiläumsspiel gegen Ungarn ignorierte die deutsche Fußball-Auswahl den ungarischen Torjäger Torghelle hartnäckig. Resultat beim letzten EM-Test war ein ernüchterndes 0:2.

Das Wunder von Bern vor 50 Jahren, der 3:2-WM-Sieg der deutschen Nationalelf, war Anlass für dieses Freundschaftsspiel gegen Ungarn am Sonntagabend, aus deutscher Sicht aber war diesmal nur das blaue Wunder von Kaiserslautern zu besichtigen.

Zwei Tore von Mittelstürmer Sandor Torghelle sicherten den von Lothar Matthäus trainierten Ungarn einen verdienten 2:0 (2:0)-Sieg, die DFB-Elf hatte den international zweitklassigen Gästen Tage vor der Abreise zur EM nach Portugal nichts entgegenzusetzen.

Insofern sahen 37.000 enttäuschte Zuschauer tatsächlich eine Art Jubiläumsspiel, die deutsche Auswahl spielte ein Tempo wie vor 50 Jahren. Dem Selbstbewusstsein vor der EM war der Auftritt wenig dienlich.

Auf drei Positionen hatte Rudi Völler seine Auswahl gegenüber dem Schweiz-Länderspiel verändert. In der Vierer-Abwehrkette fand sich Andreas Hinkel ein, umrahmte mit seinem Stuttgarter Kollegen Lahm am linken Flügel die Innenverteidiger Nowotny und Wörns.

Im Mittelfeld besetzte Frings seinen Stammplatz, und im Angriff neben dem Lauterer Publikumsliebling Klose stürmte Bobic anstelle von Kuranyi - ein klares Zeichen, dass der Doppeltorschütze von Basel fest gesetzt ist für den EM-Auftakt am 15. Juni gegen die niederländische Auswahl.

Torghelle: Hartnäckig ignoriert

Wer Ungarns Farben vertrat, war Völlers stolzen Euro-Fahrern zunächst ziemlich schnuppe, vor allem einen Akteur namens Sandor Torghelle ignorierten sie hartnäckig.

Dabei hatte der Mittelstürmer des MTK Budapest schon nach 100 Sekunden die erste Großchance, allein scheiterte er vor Kahn. Auch Torghelles zweiter Schussversuch kurz darauf hinterließ keinen größeren Eindruck, so dass sich Manndecker Wörns in der siebten Minute den Luxus leistete, einen Meter zu weit weg zu stehen von seinem tatendurstigen Gegenspieler.

So hielt sich Torghelle den Bewacher mühelos vom Leib und nahm aus 14 Metern erneut Maß: Flach und unhaltbar für Kahn rauschte die Kugel ins lange Toreck. Das 0:1 - eine kleine Betriebspanne?

Als solche wurde es jedenfalls von der deutschen Auswahl wahrgenommen. Die mühte sich nun zwar, hin und wieder einen Zweikampf zu gewinnen, Klose hüpfte an Bobics Flanke vorbei (10.) und ein abgefälschter Schuss von Frings bereitete Ungarns Keeper Kiraly Mühe (25.).

Tatsächlich aber fanden Völlers Mannen keine spielerischen Mittel, nicht eine strategische Variante gegen die wackeren Magyaren - und stellten sich selbst ein entmutigendes Zwischenzeugnis für die EM aus.

Frings, Hamann und Schneider blieben Schatten ihrer selbst, Ballack stand überdies häufiger mit dem Spielgerät auf Kriegsfuß. Und als er in der 31.Minute nach einem verlorenen Zweikampf wieder mal reklamierend zu Boden sank, nutzten die Ungarn dies kühl zum Kontervorstoß.

Weit entfernt vom Wunder von Bern

Von Leandro kam der Ball zu Spielmacher Gera, dessen präzise Flanke erreichte einmal mehr Torghelle, der Hinkel enteilte und den Ball an Kahn vorbei ins Netz spitzelte - 2:0.

So stand es bekanntlich auch vor 50 Jahren, im WM-Finale 1954 zu Bern, nur hatte die damalige DFB-Auswahl den Rückstand bis zum Pausenpfiff bereits wettgemacht. Ihre professionellen Nachfahren indes vermieden bis zur Halbzeit erfolgreich den Eindruck, sie hätten den in Europa eher unbedeutenden Ungarn etwas entgegenzusetzen.

"Total unzufrieden", stellten Völler und Assistent Skibbe in der Pause um. Bastian Schweinsteiger debütierte für Hinkel, Thomas Brdaric kam für Klose. Bobic durfte bleiben und versiebte gleich nach Wiederanpfiff eine Großchance, als er Schneiders Flanke mit dem Absatz am Tor vorbeilenkte.

Die Ungarn zeigten sich auch weiterhin mäßig beeindruckt, wenngleich Torwart Kiraly nun mehr beschäftigt wurde - etwa bei Ballacks Kopfball nach Schneiders Freistoß (53.).

Wesentlich brisanter die Situation drei Minuten später auf der Gegenseite: Wieder war Mittelstürmer Torghelle allein durch, seinen Querpass nach innen versuchte Gera dummerweise per Kunstschuss an Kahn vorbei zu manövrieren, statt den Ball einfach aus acht Metern ins Tor zu dreschen.

Lang und länger wurden die Mienen der Ehrengäste im Fritz-Walter-Stadion, darunter Bundespräsident Johannes Rau und Ungarns Staatspräsident Ferenc Madl sowie die 54er Bern-Veteranen Horst Eckel und Ottmar Walter.

Und deren Nachfolger unten auf dem Rasen begriffen so allmählich, dass sie am Rande eines kleinen Desasters wandelten. Sie versuchten es fortan mit der Brechstange. Brdarics Kopfball, Schneiders Freistoß, ein Gewaltschuss des agilen Schweinsteiger - nichts davon fand den Weg ins Gästegehäuse. Völler brachte den Bremer Frank Baumann für Abwehrchef Nowotny, doch im deutschen Angriff wurde nur weiter fleißig herumgestümpert.

Und so forderte das Pfälzer Publikum, 70 Minuten waren bereits gespielt, lautstark einen Mann, den noch vor Wochen gar niemand kannte in Zusammenhang mit der nationalen Fußballauswahl: "Lukas Podolski!" Nach 74 Minuten kam er für Bobic, der 19-Jährige Kölner.

Nur Uwe Seeler und Olaf Thon waren jünger bei ihren Debüts im DFB-Trikot. Aber es klappte nichts mehr im deutschen Spiel, lediglich Schweinsteiger schaffte es noch, den Ball freistehend aus vier Metern über das ungarische Tor zu treten (86.). Fazit: In dieser Form ist bei der EM wohl nicht einmal der Gruppengegner Lettland ernsthaft in Verlegenheit zu bringen.

Deutschland: Kahn (Bayern) 34 Jahre/69 Länderspiele - Hinkel (Stuttgart) 22/7/ab 46. Schweinsteiger (Bayern/19/1), Wörns (Dortmund) 32/56, Nowotny (Leverkusen) 30/43/61. Baumann (Bremen/24/22), Lahm (Stuttgart) 20/6 - Schneider (Leverkusen) 30/37, Hamann (Liverpool) 30/55, Frings (Dortmund) 27/29 - Ballack (Bayern München) 27/41 - Bobic (Hertha) 32/35, 74. Podolski (Köln/19/1), Klose (Kaiserslautern) 25/38, 46. Brdraric (Hannover/29/3). Ungarn: Kiraly - Bodnar, Juhasz, Stark, Andras Toth - Huszti (90. Bodor), Rosa, Szelesi, Leandro (63. Toth) - Torghelle, Gera (89. Gyepes). Tore: 0:1, 0: 2 Torghelle (7., 31.). - Zuschauer: 37.000 (ausverkauft).

© SZ vom 7.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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