Fußball-Kunst:Die Mienen des Mimen

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Der Künstler Olaf Nicolai wollte wissen: Wem gehört das Gesicht von Michael Ballack? So entstand das Porträt eines Ungreifbaren.

Holger Liebs

Nehmen wir zum Beispiel mal Thorsten Frings. Der ist, jetzt mal mimisch betrachtet, kein Meister der Expression, sondern in dieser Hinsicht eher sparsam veranlagt, ja man könnte fast sagen, ein echter Gesichts-Stoiker.

Wahrscheinlich um von dieser muskulären Askese abzulenken, hat Frings die Körpergegend um sein Antlitz herum zeichentechnisch kräftig aufgerüstet, mit Käppi, Zottelschnitt, baumelndem i-Pod Nano,Oberarm-Tattoos und allerlei anderen Gadgets.

In den abstrusesten Situationen

Ganz anders, wie auf diesen vergrößerten Ausschnitten von Pressefotos unschwer zu erkennen, Michael Ballack, dessen wuselig mittelgescheitelte Frisur zwar auch zum Alleinstellungmerkmal taugt - obwohl oder gerade weil sie als it's-so-last-year gelten darf. Aber darüber hinaus ist Ballack auf dem Platz auch mühelos imstande, die ganze Palette an Zorn, Spott, Tadel, Trauer, Freude, Frust und Aggression abzurufen, die die Gesichtsmuskulatur ermöglicht - und die bei einem Fußballspiel nun mal angebracht erscheint.

Als der Künstler Olaf Nicolai im vergangenen Jahr damit anfing, Pressefotos zu sammeln, die den Spieler Ballack Grimassen ziehend oder mit anderweitig entgleistem Mienenspiel in Aktion zeigen, fiel ihm zunächst mal auf, dass Ballack - erstens - so oft fotografiert wird wie kein anderer Bundesligaakteur.

Und dass er, zweitens, wie viele andere Spieler auch sehr oft in den "abstrusesten Situationen" abgelichtet wird: also nachdem er gefoult wurde, während er sich - und das kommt ziemlich oft vor - lauthals beim Schiri beschwert, und derlei mehr.

Du Schauspieler!

Nicolai, 1962 in Halle an der Saale geboren, hat durch zahlreiche Interventionen in dem Medienraum, den wir Öffentlichkeit zu nennen pflegen, von sich reden gemacht. So erklärte er zur Biennale 2005 in Venedig das ultimative abstrakte und ungreifbare Bild schlechthin, den Himmel, genauer: den jährlichen Meteoritenregen der "Perseiden" im August, zum Kunstwerk - ein ironischer Seitenhieb auf die Vermarktungsstrategien der Kunst und auf unsere romantischen Sehnsüchte nach Unendlichkeit.

An Ballack faszinierte Nicolai, dass er ebenfalls eine perfekte mediale Projektionsfläche darstellt - was sich in seinen Werbeverträgen dokumentiert. Und dass er mit seinem Repertoire an theatralischer Mimik und Gestik bestens geeignet ist, die Fußball-Dramatik zu transportieren. Der Künstler fragte sich, ob man diese zentrale Medienfigur porträtieren kann, wie es im traditionellen Sinn üblich war: also als Individuum, dessen Charakterzüge besonders hervortreten.

Er hat Presseaufnahmen des Spielers gesammelt, die Gesichtsausschnitte vergrößert und diese ,Porträts' in einem Buch zusammengefasst, das demnächst in limitierter Auflage bei onestarpress in Paris erscheint.

Doch was weiß Nicolai, was wissen wir schon von Michael Ballack, der öffentlichen Figur? Medial betrachtet ist er eine Art leeres Gefäß, in das sich jegliche Eigenschaft gleichsam hineingießen lässt.

Er gilt als arrogant - nach der EM 2000 urteilte sein Mitspieler Christian Ziege über den damals 23-jährigen Görlitzer: "Der lässt sich nichts mehr sagen, der ist schon Weltmeister." Gleichzeitig finden ihn Frauen erotisch, schwärmen Kleinkinder vom "Michael".

Was auch kein Zufall ist - und vielleicht damit zusammenhängt, dass Ballack gemeinhin auch als "Schauspieler" gilt, als Mime also, als Star. Womit wir wieder bei seinem überaus reichen Mienenspiel wären.

Im 17. Jahrhundert, zur Zeit Ludwig XIV., entwickelte der Künstler Charles Le Brun eine Art Katalog mimischer Darstellungen. Für die Adligen, die vom Sonnenkönig an dessen Hof berufen wurden, waren solche physiognomischen Bilderbücher und Traktate bitter nötig, weil sie sich unentbehrlich machen mussten, um bei Hofe als jemand zu gelten - und ein Auskommen zu haben.

Also ließen sie sich in Porträts verewigen, nach vorgegebenem Muster. Was dabei entstand, waren im Grunde Bilder von Masken, nicht von Individuen.

In vergleichbarer Weise, aufs Medienzeitalter und seine anonymisierte Porträt-Massenware übertragen, frage man sich laut Nicolai auch bei Ballack: Wem gehört eigentlich sein Gesicht? Man habe immer das Gefühl, "dass er damit ringt, die Position einzunehmen, die man von ihm erwartet".

Welche Erwartungshaltung gemeint ist, ist auch klar: die der Werbung, des Marketings. Weshalb Ballacks Antlitz auch eine ungeheuer wichtige Bedeutung in diesem Medienraum hat - selbst wenn er mal ausrastet, hämisch lächelt oder verbissen kämpft: Sein Gesicht ist das Spielfeld von Kräften, die stärker sind als er.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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