Fußball:Kulturschock auf Spanisch

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Jupp Heynckes verblüfft am ersten Tag in Schalke das Publikum.

Christoph Biermann

(SZ vom 25.6.2003) - Zufrieden beschaute Gerd Rehberg die Szenerie, als Schalkes neuer Trainer Jupp Heynckes immer noch von dankbaren Kamerateams umdrängt wurde und die letzte Frage noch längst nicht gestellt war. "Hoffentlich ist der Rudi jetzt nicht beleidigt", spottete Schalkes Präsident milde und schaute vergnügt durch den Presseraum der Arena AufSchalke. Dort war Rudi Assauer an diesem Tag des Kulturschocks nämlich so wenig gefragt wie lange nicht mehr. Nur ein paar einsame Neugierige verloren sich zum Manager, der nach kurzer Begrüßung während der Pressekonferenz weitgehend schweigend neben dem neuen Trainer gesessen hatte.

Eine Dreiviertel Stunde gab Heynckes auf dem Podium Auskunft, und das kam nach fünf langen Jahren dürrer Trainerworte bei Schalke 04 einem Entrinnen aus der Wüste gleich. Nicht, dass der neue Coach viel mehr zu erzählen gehabt hätte als in den zahlreichen Interviews während der vergangenen Tage. Aber allein der Ton war ganz anders als bei Huub Stevens, Frank Neubarth und Marc Wilmots.

Verbindlich, auskunftsfreudig und weltläufig wirkte Heynckes. Zugleich hatten seine Ausführungen genug Unschärfen, als dass er demnächst nicht an einer zu vollmundigen Regierungserklärung gemessen werden kann. Die Vorgabe des Vereins ist laut Assauer ein Platz unter den ersten Fünf in der kommenden Saison. Heynckes selbst möchte "an die Erfolge im letzten Jahrzehnt anknüpfen", sieht sich zudem als ganador, wie er auf spanisch sagte. Als Siegertyp also, der seinen Mannschaften in der Vergangenheit stets beizubringen verstanden habe, "auf nichts zu verzichten". Womit die Chancen auf Trophäen und Titel gemeint sind.

Starker Angriff

Nur 36 Stunden nach seinem Abschied aus Bilbao und angesichts der kurzfristigen Absprache mit dem Klub waren präzise Auskünfte zu Heynckes Plänen kaum zu erwarten. Er sei "voller Tatendrang und emoción", sagte der neue Trainer, der wohl erst richtig nach Hause kommen muss. Denn bislang nennt er die Tabelle noch clasificación und die Vorbeugung vor Verletzungen eine prevención. Erkennbar wurde aber, welche Arbeitsweise sich Heynckes vorstellt.

In der Vergangenheit hatte er sich wiederholt kritisch über deutsche Profis geäußert, einen Tag vor dem ersten Training mit seiner neuen Mannschaft warb er für eine Kultur des Dialogs. "Wir müssen uns erst einmal kennen lernen, aufeinander zugehen und ein Kollektiv bilden. Dazu braucht man Geduld", sagte Heynckes. Das klang anders als die Forderungen Assauers, der sich von seinem neuen Trainer vor allem die Wiederherstellung der Disziplin wünscht. Aber Heynckes will das gleiche Ziel wohl ohne demonstrative Härte erreichen.

Offenbar können die Fans von Schalke 04 zudem auf Glasnost auf dem Rasen hoffen. Zu Heynckes' Zielen gehört eine Abkehr von den Sicherheitskonzepten, die in den vergangenen Jahren gepflegt wurden. Nicht zufällig sagte er, "dass es wichtig ist, eine starke Offensive zu haben". Dort mangelte es Schalke in der jüngsten Saison trotz nominell guter Besetzung mit Sand, Agali und Mpenza besonders. Schalke hatte mit 40 Gegentreffern zwar die fünftbeste Defensive der Liga, mit 45 Treffern aber nur die neuntbeste Offensive. "Im Vergleich hinkt es da", sagte Heynckes.

Assauer im Abseits

Zufrieden notierten die Reporter dies, und angesichts der wohlwollenden Atmosphäre bei der Vorstellung des neuen Trainers wirkte Rudi Assauer nicht sonderlich unglücklich darüber, abseits des Interesses zu stehen. Eher stolz schaute er auf seinen neuen Coach, der mit dem Manager "ein Tandem bilden" will und nicht vergaß, ihn eifrig zu loben. "Ich habe ein sehr gutes Gefühl, weil ich Rudi seit Jahren kenne", sagte Heynckes, der sich als Assauers "Wunschtrainer" fühlt. Außerdem sprach er vom "Fußballverstand" des mächtigen Mannes im Klub und "wie viel Spaß es macht, mit ihm über Fußball zu diskutieren". Überhaupt habe er in der Vergangenheit mit starken Managern wie Helmut Grasshoff in Mönchengladbach oder Uli Hoeneß in München nie Schwierigkeiten gehabt, hob Heynckes hervor.

Wie gut oder schlecht das in Gelsenkirchen funktionieren wird, dies dürfte auch das Karriereende von Jupp Heynckes bestimmen: "Mit 58 Jahren ist man als Trainer schließlich nicht mehr der jüngste." Die Rückkehr nach Deutschland ist für Heynckes der 22. Umzug, und es soll der letzte sein. Deshalb hatte auch Iris Heynckes für Schalke votiert. "Sie hat gesagt: Das musst du machen", erklärte Heynckes, "und Sie wissen, die Frauen haben das Sagen." Da allerdings schaute Rudi Assauer doch etwas irritiert.

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