Fußball in England:Märchenkonto und Monotonie

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Mit Ergebnisfußball bedroht der FC Chelsea die Attraktivität der Premier League.

Von Raphael Honigstein

Der Vergleich mit Hollywood liegt bei der Traumfabrik Fußball nahe. Leider muss man erkennen, dass nicht das berühmte Londoner Genie Alfred Hitchcock, sondern wohl eher ein minder talentierter Student von der Film-Hochschule in Kentucky das Drehbuch für den Streifen dieses Winters geschrieben hat: Mit Originalität und Spannung ist es nicht weit her, weil die Guten doch immer gewinnen.

Dietmar Hamann (hinten) durfte bei den Reds aus Liverpool zwar wieder ran - doch die Blues aus Chelsea, hier mit Frank Lampard, blieben cool im Regen. (Foto: Foto: AP)

Seit Wochen mischt das Führungstrio-Trio Chelsea, Arsenal und Manchester United die Statisten der Liga fast nach Belieben auf. Die Meisterschaftsrivalen geben sich keine Blöße, weil aber der irrwitzig dichte Spielplan nur laue Fernduelle zulässt, kann von einem echten Schlagabtausch nicht die Rede sein. Zu schwach ist derzeit die Gegenwehr der Premier-League-Komparsen.

Am Neujahrstag schien der ruhmreiche FC Liverpool zumindest gewillt, dem designierten Meister das Rampenlicht ein wenig streitig zu machen. Der leicht überspielte Tabellenführer Chelsea lief in Anfield - ohne den verletzten deutschen Nationalspieler Robert Huth - Ball und Gegner in der ersten Hälfte meist schlapp hinterher.

Hamann als Ballverteiler

Dietmar Hamann, zuletzt nur Einwechselspieler, durfte für Liverpool die Bälle verteilen, in den Strafräumen tat sich wenig bis nichts. Ohne die verletzten Stürmer Milan Baros und Djibril Cissé konnten die Reds die stärkste Abwehr das Landes kaum beschäftigen. Auf der anderen Seite blieb das viel gerühmte dynamic duo der Flügelstürmer Damien Duff und Arjen Robben ähnlich harmlos.

Aufregung nur, als der unermüdliche Frank Lampard seinem Gegenspieler Xabi Alonso mit einer fiesen Grätsche in die Beine rauschte. Diagnose: Knöchelbruch. Wenig später hätte es nach Handspiel des Portugiesen Tiago zudem Elfmeter für Liverpool geben müssen. Nach der Pause jedoch erkämpfte sich José Mourinhos taktisch wieder perfekt aufgestelltes Luxusensemble mehr und mehr Ballbesitz, und am Ende traf der kleine Joe Cole wie schon im Hinspiel im August kurz vor Abpfiff zum 1:0 ins Netz (80.) - der Ball wurde von Carragher abgefälscht.

Zwar brachte Liverpools Trainer Rafael Benítez Neil "Gerd" Mellor noch als Joker, aber die Blues blieben cool im Regen. "Das ist das Glück, das Meister brauchen", sagte Mourinho, obwohl ein Remis sicher "das gerechte Resultat" gewesen wäre. Bescheiden wird der 41-Jährige wohl doch nicht mehr: "Die Einstellung war gut, die Mannschaft war gut, der Charakter war gut, der Trainer war gut."

"Für eine Dekade unbesiegbar"

Eigenlob stinkt, mag sein, aber riechen müssen es die Verfolger. Wer mit fünf Punkten Vorsprung oben steht, atmet frische Luft. An die Spitze möchte auch Liverpools Lokalmatador Steven Gerrard, und das so schnell wie möglich. Schon im Sommer wäre Englands Mittelfeldgröße nur zu gerne den Verlockungen von Roman Abramowitsch erlegen, gutes Zureden seines neuen spanischen Trainers und Morddrohungen von Fanatikern hatten ihn umgestimmt.

Doch nun muss der 24-Jährige einsehen, dass es wohl Jahre dauern wird, bis sich Gerard Houlliers grausame Catenaccio-Truppe in eine moderne Mannschaft verwandeln lässt, die - wie es Benítez beim FC Valencia gelang - mit schneidigem Konzeptfußball begeistern kann. Fernando Morientes (Real Madrid) wird als Torjäger umworben, doch Steven Gerrard, um den auch Manchester United buhlt, steht vor dem Absprung.

Weil die Reds auf der Suche nach einem Geldgeber trotz eines Angebots des thailändischen Premierministers nicht fündig wurden, werden sie ihren Regisseur kaum halten können.

Chelsea ist derweil nach einer begeisternden Phase der 4:0-Kantersiege wegen zahlreicher Ausfälle zu jenem granitharten Ergebnisfußball zurück gekehrt, der die Zeitungen im Sommer schon um die Attraktivität der Liga und ihrer Fernsehrechte fürchten ließ.

Noch halten der FC Arsenal und Manchester United - mit Siegen in Charlton (3:1) bzw. Middlesbrough (2:0) - Schritt, doch die Wettbewerbsfähigkeit erscheint Woche für Woche als mehr gefährdet, Chelseas erster Meistertitel seit 1955 im 100. Vereinsjahr beschlossene Sache zu sein.

Und die 334 Millionen Euro, die Abramowitsch seit der freundlichen Übernahme des Klubs vor 18 Monaten laut offiziellen Angaben in den Verein gepumpt hat, waren ja erst ein generöser Anfang.

Boltons Trainer Sam Allardyce schwant bereits, dass der Russe mit dem märchenhaftem Kontostand die Premier League "eine Dekade lang" beherrschen werde. Wer also auch einmal wieder die Kleinen gewinnen sehen will, sollte vielleicht nicht mehr nur auf die Premier League setzen - und lieber einen Film einschalten.

© SZ vom 3.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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